OGH 9ObA53/23v

OGH9ObA53/23v26.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Christian Lewol (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Mag. Nikolay Dimitrov, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch Maga. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, wegen 14.542,89 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Mai 2023, GZ 7 Ra 7/23p‑29, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00053.23V.0726.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach ständiger Rechtsprechung können vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963), es sei denn, das Berufungsgericht hätte infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen (RS0043086 [T8]) oder die Mängelrüge mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen (RS0043086 [T7]). Solches behauptet der Kläger jedoch gar nicht.

[2] 2. Nach § 82 lit f GewO 1859 kann ein Arbeitnehmer dann entlassen werden, wenn er beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Unter Pflichtvernachlässigung im Sinne dieser Bestimmung ist die Nichterfüllung oder nicht gehörige Erfüllung der dem Dienstnehmer aus dem Dienstvertrag, der Arbeitsordnung, dem Kollektivvertrag oder Gesetz treffenden, mit der Ausübung des Dienstes verbundenen und ihm zumutbaren Pflichten zu verstehen (RS0060172). Eine Pflichtenverletzung ist unter anderem dann beharrlich, wenn der Arbeitnehmer trotz vorangegangener Ermahnung die Befolgung der Anordnung des Arbeitgebers ungerechtfertigt verweigert hat (vgl RS0104124; RS0029746 [T18, T28]). Die Beurteilung der Pflichtwidrigkeit und der Beharrlichkeit des Verhaltens eines Arbeitnehmers hängt regelmäßig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0105987 [T3] ua).

[3] 3. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend die am 2. 12. 2021 erfolgte Entlassung des bei der Beklagten als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesenen Klägers wegen beharrlicher Pflichtenvernachlässigung nach § 82 lit f GewO 1859 als berechtigt erkannt, weil dieser trotz zweimaliger Verwarnung die Einhaltung der vom Verordnungsgeber eingeführten 3G‑Nachweispflicht am Arbeitsplatz verweigert habe.

[4] 4. Der Oberste Gerichtshof hat sich bei der Prüfung der Frage, ob eine außerordentliche Revision einer weiteren Behandlung unterzogen oder verworfen werden soll, auf jene Gründe zu beschränken, die in der Zulassungsbeschwerde als solche angeführt wurden (RS0107501). Mit diesen Gründen vermag der Revisionswerber aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen:

[5] 4.1. Richtig ist, dass die Entscheidungen 8 ObA 42/21s und 8 ObA 11/22h, die die Kündigung bzw Entlassung von Arbeitnehmern wegen beharrlicher Weigerung regelmäßiger Testungen auf SARS‑CoV‑2 für berechtigt angesehen haben, zum einen einen Diplomkrankenpfleger und zum anderen die Mitarbeiterin einer Krankenanstalt betrafen. Darin wurde für die rechtliche Beurteilung entscheidend festgehalten, dass aus der den Arbeitgeber als unmittelbaren Adressaten der COVID‑19-Notmaßnahmenverordnung treffenden Verpflichtung, Arbeitnehmern ohne Vorliegen eines negativen Testergebnisses (bzw einer der in der Verordnung statuierten Ausnahmen) das Betreten der Betriebsstätte zu verwehren, zumindest mittelbar für den Arbeitnehmer die Verpflichtung erwächst, sich den kostenlos angebotenen Tests zu unterziehen, um seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen zu können (idS auch 9 ObA 79/22s Rz 6 betreffend eine Lehrerin; RS0133973; vgl 8 ObA 1/23i betreffend die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds). Auch wenn daher der Kläger als Gärtner nicht mit einer vulnerablen Personengruppe in Kontakt kam, so bleibt dennoch die Verletzung seiner Verpflichtung, als Ungeimpfter (und unstrittig auch Ungenesener) aufgrund der damals geltenden 3G-Regel (§ 8 Abs 2 der 5. COVID‑19NotMV, inhaltsgleich mit dem vom Kläger angesprochenen § 9 Abs 1 der 3. COVID‑19‑MV) einen kostenlosen Test in der Apotheke durchzuführen oder sich der – ihm von der Beklagten auch kostenlos angebotenen – Testung durch den Arbeitsmediziner zu unterziehen.

[6] 4.2. Wenn der Kläger in seiner außerordentlichen Revision wiederholt betont, er habe stets im Außenbereich (im Freien) gearbeitet, weshalb es an einer potentiellen Gefährdungslage, wie sie im Gesundheits- bzw Schulbereich vorliege, gefehlt habe, und sich damit auf die Ausnahmebestimmung des § 9 Abs 1 der 3. COVID‑19-MV (hier: § 8 Abs 2 Satz 2 der 5. COVID‑19NotMV) stützen will, ist seine Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht. Danach hat der Kläger zwar „hauptsächlich“ alleine und im Freien gearbeitet, täglich fand aber eine Diensteinteilung der in der Abteilung Grünraum/Winterdienst beschäftigten Mitarbeiter in einem Lagerraum statt. Weiters besorgten sich die Mitarbeiter in der Nähe des Sozialraums ihre Fahrzeugschlüssel, wobei es immer wieder zu einem Gedränge kam. Es war auch notwendig, sich ab und zu Spezialwerkzeug aus dem Lagerraum zu holen, in dem sich stets andere Mitarbeiter aufhielten. Insbesondere, wenn Arbeiten im Freien witterungsbedingt nicht möglich waren, verrichtete der Kläger Arbeiten im Lager, wobei zumeist mindestens 20 Mitarbeiter zugleich anwesend waren. Wenn das Berufungsgericht daher davon ausging, dass beim Arbeitsort des Klägers physische Kontakte zu anderen Personen nicht ausgeschlossen werden konnten, so ist dies nicht zu beanstanden.

[7] 4.3. Ein (unverhältnismäßiger) Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers durch die regelmäßigen Testungen auf SARS‑CoV‑2 lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Seine Behauptung, er habe die Tests wegen „Angstschüben und der Angst vor Verletzungen“ abgelehnt, findet keine Deckung im Sachverhalt.

[8] 4.4. Mit dem in der außerordentlichen Revision angesprochenen „Treuegebot“, stellt der Kläger erkennbar auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ab. Diese geht aber nicht so weit, dass die Beklagte die Organisation der Abteilung des Klägers so (wenn überhaupt möglich) ändern hätte müssen, damit für den Kläger die Ausnahme von der 3G‑Regel gegolten hätte.

[9] Da der Kläger auch in den Revisionsausführungen keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO geltend macht, ist seine außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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