OGH 9Ob32/23f

OGH9Ob32/23f26.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. R*, und 2. E*, beide vertreten durch Eberl, Hubner, Krivanec, Ramsauer & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Verlassenschaft nach * E* J*, 2. R*, und 3. E*, alle vertreten durch Mag. Dieter Kocher, Rechtsanwalt in St. Michael im Lungau, wegen Feststellung und Unterlassung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 11. Mai 2023, GZ 22 R 92/23t‑25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00032.23F.0726.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Strittig ist, ob die zu Gunsten der Grundstücke der Beklagten im Jahr 1940 vereinbarte Grunddienstbarkeit, „bei möglichster Schonung der Substanz all jene Vorkehrungen zu treffen, welche für eine allfällige Reparatur der Gebäulichkeiten auf [dem Grundstück der Beklagten] erforderlich sind, sohin für Zwecke der in Rede stehenden Reparaturen mit Arbeitern [das Grundstück der Kläger] zu betreten, zu befahren und auch Material für die Reparatur abzulagern, wie überhaupt alles vorzukehren, was für die Reparatur notwendig erscheint“, auch das Recht beinhaltet, dass die Beklagten das Grundstück der Kläger zur Durchführung von Instandhaltungs-, Pflege- oder Wartungsarbeiten (ohne Ausführung von Reparaturen) betreten.

[2] Der Rechtsvorgänger des Erstbeklagten, die Zweitbeklagte und der Drittbeklagte (idF „die Beklagten“) betraten das Grundstück der Kläger, um die auf ihren Grundstücken befindlichen Dächer samt Dachrinnen bzw Zaun von Schnee, Laub oder Schmutz zu befreien bzw um den Zaun samt Sockel zu streichen. Sie führten diese Tätigkeiten mit dem Ziel aus, die Dächer, Gebäude und den Zaun länger zu erhalten und um dem Eintritt von Schäden vorzubeugen, und haben dies auch in Zukunft vor.

[3] Die Kläger begehren gegenüber den Beklagten die Feststellung, dass die Beklagten nicht berechtigt sind, die vereinbarte Grunddienstbarkeit dadurch unzulässig zu erweitern, dass die Beklagten das Grundstück der Kläger zur Durchführung von Instandhaltungs-, Pflege- oder Wartungsarbeiten zu betreten, sowie die Unterlassung der von den Beklagten durchgeführten und ähnlichen Tätigkeiten.

[4] Die Vorinstanzen gaben den Klagebegehren statt. Die klagegegenständlichen Instandhaltungs-, Pflege- und Wartungsarbeiten der Beklagten seien vom Dienstbarkeitsvertrag aus dem Jahr 1940 nicht umfasst. Es werde eindeutig nur auf allfällige „Reparaturen“ an den Gebäuden und damit zusammenhängende notwendige Vorkehrungen abgestellt und nicht auf regelmäßige Arbeiten, die – wie die von den Beklagten gesetzten Maßnahmen – künftige Reparaturen nur vermeiden sollten. Bei Beurteilung, ob die Dienstbarkeit unzulässig erweitert worden sei, sei keine Interessenabwägung vorzunehmen, weil Inhalt und Zweck im Bestellungsvertrag ausreichend bestimmt seien. Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[5] In ihrer außerordentlichen Revision beantragen die Beklagten, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Abweisung der Klagebegehren abzuändern; hilfsweise wird ein Abänderungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision der Beklagten ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[7] 1. Für den Inhalt einer ungemessenen Dienstbarkeit kommt es auf die jeweiligen Bedürfnisse des herrschenden Guts im Rahmen der ursprünglichen oder der vorhersehbaren Bewirtschaftungsart an (RS0097856; RS0016364 [T4]; RS0016368 [T6, T7, T11, T20]). Der Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und jenen des Belasteten einer Dienstbarkeit erfordert gemäß § 484 ABGB eine Interessenabwägung, in die auch wirtschaftliche Vorteile und Nachteile einzubeziehen sind (RS0011733 [T16]). Eine unzulässige Erweiterung einer Wegeservitut liegt vor, wenn der Weg zu anderen Zwecken als ursprünglich vereinbart benutzt wird oder wenn sich die Belastung des dienenden Grundstücks erheblich erhöht (RS0011691 [T20]; RS0011725 [T31]). Wurde im Dienstbarkeitsbestellungsvertrag eine bestimmte Ausübungsart der Servitut ausdrücklich ausgeschlossen, ist eine Ausdehnung auf diese ausgeschlossene Ausübungsart unter Berufung auf eine Interessenabwägung iSd § 484 ABGB jedenfalls unzulässig (RS0011720 [T3]).

[8] Die Fragen des Ausmaßes bzw Umfangs einer Dienstbarkeit und der Grenzen der zulässigen Erweiterung (RS0016364 [T7]; RS0011691 [T11, T19]; RS0016368 [T18a]) sowie die gemäß § 484 ABGB vorzunehmende Interessenabwägung (RS0011733 [T11]; RS0011691 [T15]; RS0011720 [T17]) sind grundsätzlich einzelfallbezogen und stellen in der Regel keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.

[9] 2.1. Diese dargestellten Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung wurden von den Vorinstanzen beachtet und werden in der Revision auch nicht in Zweifel gezogen.

[10] 2.2. Der Vorwurf, die Vorinstanzen hätten keine Interessenabwägung durchgeführt und es sei zu berücksichtigen, dass seit dem Zeitpunkt des Dienstbarkeitsbestellungsvertrags 80 Jahre vergangen seien, zeigt eine aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht auf. Abgesehen davon, dass sich diesen allgemeinen Ausführungen nicht entnehmen lässt, aus welchen konkreten Gründen eine Interessenabwägung zu Gunsten der Beklagten ausfallen hätte müssen, setzen sie sich mit der Argumentation des Berufungsgerichts nicht näher auseinander, nach dem Dienstbarkeitsvertrag sei der Zweck für das Betreten des Grundstücks der Kläger auf die Durchführung von Reparaturen und damit zusammenhängende Tätigkeiten eingeschränkt.

[11] 2.3. Entgegen dem offenbaren Verständnis der Beklagten in der Revision ist dieser Zweck für das Betreten im Dienstbarkeitsvertrag also nicht die „bequemere Erreichbarkeit“ zu gewährleisten, damit (alle) Arbeiten am eigenen Gebäude der Beklagten „leichter“ durchgeführt werden. Es werden vielmehr nur Arbeiten zum Zweck der Durchführung von Reparaturen genannt. Wenn das Berufungsgericht davon ausging, dass ungemessene Dienstbarkeiten auf den Zweck ihrer Bestellung – hier der Durchführung von Reparaturen – einzuschränken sind entspricht dies der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (RS0016364 [T1]; RS0011691 [T8]). Eine Überschreitung des dem Berufungsgericht zukommenden Beurteilungsspielraums ist somit nicht ersichtlich.

[12] 2.4. Soweit die Beklagten – erstmals in der Revision – eine Unsicherheit darüber orten, bei welchen Maßnahmen eine „allfällige Reparatur“ vorliege, um feststellen zu können, ob das Grundstück der Kläger betreten werden dürfe, legen sie nicht dar, inwiefern diese Überlegungen ihre Rechtsposition verbessern könnten. Sie sind jedenfalls auf die dem Unterlassungsbegehren beispielhaft zugrunde gelegten konkreten Handlungen zu verweisen.

[13] 2.5. Ein Widerspruch der Beurteilung der Vorinstanzen zur – zur selben Grundservitut ergangenen – Entscheidung 3 Ob 51/13s liegt nicht vor. Dort ging es um die Frage, welche Gebäude von der Dienstbarkeit erfasst sind und – wie die Beklagten selbst einräumen – nicht um bestimmte Arbeiten, zu deren Zweck das Grundstück der Kläger betreten werden darf. Entgegen dem Verständnis der Beklagten legte der Oberste Gerichtshof seiner Beurteilung auch in der zitierten Entscheidung zugrunde, dass die vereinbarte Dienstbarkeit der Reparatur der Gebäude dient.

[14] 3. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten somit zurückzuweisen.

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