European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00066.23P.0622.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin bezog aufgrund des Bescheids vom 24. September 2020 seit 1. September 2020 Pflegegeld der Stufe 2.
[2] Zum Zeitpunkt dieser Zuerkennung benötigte die Klägerin Betreuung bei der Zubereitung von Mahlzeiten, Betreuung bei der Verrichtung der Notdurft, Betreuung bei der Mobilitätshilfe im engeren Sinn in einem Ausmaß von durchschnittlich 7,5 Stunden pro Monat, Betreuung bei der sonstigen gründlichen Körperpflege sowie Hilfe bei der Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, Hilfe bei der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, Hilfe bei der Pflege der Leib- und Bettwäsche und Mobilitätshilfe im weiteren Sinn.
[3] Nunmehr ist die Klägerin spätestens seit 31. Dezember 2021 in der Lage, die Verrichtung der Notdurft und die Mobilität im engeren Sinn selbständig ohne fremde Hilfe unter Verwendung des ihr zur Verfügung stehenden Rollators durchzuführen.
[4] Mit Bescheid vom 2. November 2021 setzte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt das der Klägerin zuletzt in Höhe der Stufe 2 gewährte Pflegegeld ab 1. Jänner 2022 auf ein solches in Höhe der Stufe 1 herab.
[5] Die Vorinstanzen wiesen das auf Weitergewährung des Pflegegelds in Höhe der Stufe 2 über den 31. Dezember 2021 hinaus gerichtete Begehren der Klägerin ab. Das Berufungsgericht verwarf die in der Berufung enthaltene Mängel- bzw Tatsachenrüge und führte zur Rechtsrüge aus, dass diese nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehe.
[6] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.
[8] 1.1. Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963). Ob ein in der Berufung behaupteter Verfahrensmangel vom Berufungsgericht zu Recht verneint wurde, ist vom Revisionsgericht auch in Sozialrechtssachen nicht mehr zu prüfen (RS0043061). Diese Grundsätze gelten nur dann nicht, wenn eine Mängelrüge infolge unrichtiger Anwendung von Verfahrensvorschriften unerledigt blieb, oder wenn das Berufungsgericht einen gerügten Mangel erster Instanz mit einer aktenwidrigen oder rechtlich unhaltbaren Begründung verneinte.
[9] 1.2. Das Berufungsgericht ging auf die in der Berufung behaupteten Verfahrensmängel erster Instanz ein und verneinte sie mit der Begründung, dass sich der Pflegebedarf aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergebe und das Erstgericht nicht gehalten gewesen sei, der Sachverständigen einzelne Angaben der – bereits bei der Gutachtenserörterung rechtsanwaltlich vertretenen – Klägerin bei der anstaltsärztlichen Untersuchung vorzuhalten. Davon, dass sich das Berufungsgericht mit der in der Berufung enthaltenen Verfahrensrüge der Klägerin nicht auseinandersetzte, kann somit keine Rede sein. Der Grundsatz der Unanfechtbarkeit vom Berufungsgericht verneinter Verfahrensmängel kann auch nicht mit der Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren sei deshalb mangelhaft geblieben, weil das Berufungsgericht die Mängelrüge mit einer von der Klägerin nicht geteilten Begründung verworfen habe (RS0042963 [T58]; RS0043061 [T18]).
[10] 2.1. Die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über eine Beweisrüge ist dann mängelfrei, wenn es sich mit dieser befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft sowie nachvollziehbare Überlegungen dazu angestellt und in seiner Entscheidung festgehalten hat (RS0043150; RS0043268). Der Oberste Gerichtshof ist ausschließlich als Rechtsinstanz zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig (RS0123663). Eine mangelhafte oder unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht angefochten werden.
[11] 2.2. Entgegen der in der außerordentlichen Revision vertretenen Auffassung setzte sich das Berufungsgericht mit der in der Berufung erhobenen Beweisrüge auseinander, indem es auf die gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen verwies, diese als eindeutig und nachvollziehbar ansah und die von der Klägerin dagegen erhobenen Bedenken nicht teilte. Ob die im Rahmen der Beweiswürdigung gezogenen Schlussfolgerungen richtig oder fehlerhaft sind, ist im Revisionsverfahren nicht zu prüfen (RS0043150 [T7]). Auch die in der Revision weiters verlangte Prüfung, ob zur Gewinnung der erforderlichen Feststellungen noch weitere Beweise (hier: Sachverständige aus anderen medizinischen Fachgebieten) notwendig sind, ist ein Akt der nicht revisiblen Beweiswürdigung (RS0043414 [T18]).
[12] 3. Die in der Berufung enthaltene Rechtsrüge der Klägerin, wonach aufgrund der körperlichen Verfassung der Klägerin zumindest von einer teilweisen Unfähigkeit zur Verrichtung der Notdurft und zur Mobilität im engeren Sinn auszugehen sei, insbesondere weil die Klägerin zur eigenständigen Lebensführung auf einen Rollstuhl angewiesen sei, ging nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und war somit nicht gesetzmäßig ausgeführt. Soweit die Klägerin darüber hinaus erstmals in der Revision das Vorliegen eines außerordentlichen Pflegeaufwands iSd § 6 EinstV behauptet, weil ständig eine Pflegeperson rufbereit sein müsse, um im Fall eines jederzeit möglichen Sturzes schnell zur Hilfe eilen zu können, hat sie sich darauf in der Berufung nicht gestützt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann auch in Sozialrechtssachen eine in der Berufung nicht gesetzmäßig ausgeführte oder unterlassene Rechtsrüge in der Revision nicht nachgetragen werden (RS0043480; RS0043573).
[13] 4. Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin folglich zurückzuweisen.
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