OGH 4Ob36/23g

OGH4Ob36/23g31.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI H*, vertreten durch den Erwachsenenvertreter Dr. Markus Bernhauser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei DI Dr. E*, vertreten durch die Erwachsenenvertreterin Dr. Ulrike Bauer, Rechtsanwältin in Wien, diese vertreten durch Mag. Michael Rebasso, Rechtsanwalt in Wien, wegen 35.691,84 EUR sA und Räumung (Streitwert 12.597,12 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 15. Dezember 2022, GZ 22 R 178/22p‑23, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 15. Juni 2022, GZ 34 C 612/21v‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00036.23G.0531.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei deren mit 2.230,02 EUR (darin 371,67 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger und die Beklagte waren Lebensgefährten. Der Kläger befindet sich seit November 2020 in einer Seniorenresidenz. Er leidet unter einer cerebralen Abbausymptomatik von Krankheitswert und ist fortgeschritten dement. Er wird durch einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter vertreten. Der Kläger ist Eigentümer einer Liegenschaft, für die die Beklagte schon vor 2014 monatliche Mietzinszahlungen in Höhe von 1.049,76 EUR leistete. Spätestens mit Dezember 2018 stellte sie die Zahlungen ein.

[2] Das Erstgericht gab dem (Mietzins-)Zahlungs- und Räumungsbegehren des Klägers statt. Zwischen den Parteien sei ein mündliches Mietverhältnis zustande gekommen. Aufgrund des Zahlungsrückstands ergebe sich der Klagsbetrag. Die Räumungsverpflichtung sei Folge des Rückstands.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision in Ermangelung von Rechtsprechung zur Vertretungstauglichkeit im Zusammenhang mit einer Räumungsklage für zulässig.

[4] Die Beklagte macht mit ihrer – vom Kläger beantworteten – Revision geltend, dass mit der Durchsetzung des Räumungsanspruchs ein Eingriff in die bestehende Lebensgemeinschaft zwischen den Streitteilen einhergehe. Damit überschreite der Erwachsenenvertreter seine Vertretungsbefugnis. In der Ausführung des Berufungsgerichts, dass nicht festgestellt worden sei, dass es sich bei der Lagerung diverser Sachen beider Parteien auf der gegenständlichen Liegenschaft um eine einvernehmliche Lebensführung im Zuge der Lebensgemeinschaft handeln würde, liege eine Aktenwidrigkeit, zumal die Frage, ob die Lebensführung als Lebensgemeinschaft zu qualifizieren sei, auf eine Rechtsfrage hinaus laufe. Zudem liege in der mangelnden Individualisierung der zu räumenden Liegenschaft eine unrichtige rechtliche Beurteilung.

[5] Damit zeigt die Beklagte keine im Sinn von § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf. Die Revision ist daher, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts, nicht zulässig und folglich zurückzuweisen:

Rechtliche Beurteilung

[6] 1.1. Für die Frage, ob eine Wirtschafts-gemeinschaft und damit eine Lebensgemeinschaft vorliegt, sind die Verhältnisse des Einzelfalls maßgebend (RS0047000 [T1]).

[7] 1.2. Im vorliegenden Fall wurde nicht festgestellt, dass die Streitteile die Liegenschaft gemeinsam bewohnt haben. Jedenfalls seit November 2020 lebt der Kläger (krankheitsbedingt auf Dauer) in der Seniorenresidenz. In der Räumungsklage liegt daher – entgegen dem Vorbringen der Beklagten – keine konkludente Auflösung der Lebensgemeinschaft. Die Räumungsklage greift daher – gemäß der vertretbaren Beurteilung des Berufungsgerichts – schon deshalb nicht in den höchstpersönlichen Lebensbereich des Klägers ein. Sie führt auch nicht zu einer Wohnsitzänderung der Beklagten, die die Wohnung ja nur zur Lagerung von Gegenständen nutzte.

[8] 1.3. Der Erwachsenenvertreter des Klägers handelt daher mit der – pflegschaftsgerichtlich genehmigten – Klagsführung im Rahmen seiner Befugnis zur Vermögensverwaltung.

[9] 2.1. Eine Aktenwidrigkeit liegt dann vor, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolgedessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RS0043347).

[10] 2.2. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die beanstandete Wortfolge „dass es sich dabei um eine einvernehmliche Lebensführung im Zuge der Lebensgemeinschaft handeln würde, wurde nicht festgestellt“ steht einerseits nicht im Widerspruch zu den erstgerichtlichen Feststellungen, wonach die Streitteile in den Liegenschaften der jeweils anderen Partei private Gegenstände untergebracht haben, andererseits würde auch ein entsprechendes Einvernehmen rechtlich nichts am Umstand der Vermietung der gegenständlichen Liegenschaft durch den Kläger an die Beklagte (die ausdrücklich „Miete“ bezahlte, die vom Kläger als solche versteuert wurde) und dem jahrelangen Ausbleiben der Mietzinszahlungen ändern.

[11] 3.1. Die gerichtliche Aufkündigung muss den aufgekündigten Bestandgegenstand so genau bezeichnen, dass kein Zweifel bestehen kann, auf welches Objekt sich die Aufkündigung bezieht (RS0000083).

[12] 3.2. Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, dass sich aus dem Klagsvorbringen ergebe, dass die gesamte Liegenschaft von der Beklagten „vollgeräumt“ sei, sodass die gesamte Liegenschaft vom Begehren betroffen sei und eine nähere Bezeichnung nicht erforderlich sei, da bei einer vollständig zu räumenden Liegenschaft das Begehren bei Aufnahme der Adresse hinreichend bestimmt sei und keine Zweifel über das zu räumende Objekt offen blieben. Dem konnte auch die Revision, die im Wesentlichen (trotz jahrelanger Zahlung von „Miete“) darauf beharrt, dass gar kein Mietvertrag geschlossen worden sei, nichts Stichhältiges entgegen setzen.

[13] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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