OGH 3Ob74/23p

OGH3Ob74/23p25.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen L* S*, geboren am * 2012, in Pflege und Erziehung ihres Vaters H* S*, und in Unterhaltsangelegenheiten vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Land Niederösterreich (§ 208 Abs 2 ABGB), dieser vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld, 3180 Lilienfeld, Am Anger 2, über den Revisionsrekurs der Mutter M* S*, diese vertreten durch Mag. Andrea Schmidt, Rechtsanwältin in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 8. Februar 2023, GZ 23 R 52/23d‑12, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Lilienfeld vom 4. Jänner 2023, GZ 1 PU 173/22f‑8, aufgehoben und dem Erstgericht die inhaltliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00074.23P.0525.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Die Ehe der Eltern der minderjährigen L* wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 1. 10. 2020 im Einvernehmen gemäß § 55a EheG geschieden. Im Scheidungsfolgenvergleich vereinbarten die Eltern die gemeinsame Obsorge für L* und deren hauptsächliche Betreuung im Haushalt des Vaters, ein Kontaktrecht der Mutter bestimmten Inhalts und – in Bezug auf die Unterhaltsansprüche der Minderjährigen – das Folgende:

„Der Ehemann verzichtet für seine Person auf die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen hinsichtlich der mj. L*, geboren am * 2012, gegenüber der Ehefrau. Die Ehefrau muss dem Ehemann somit keine Unterhaltszahlungen für die mj. L* leisten. Zur Tragung des allfällig fehlenden Unterhaltes für die minderjährige L* S* verpflichtet sich, im Verhältnis zwischen den Vertragsteilen, H* S* aufzukommen und Frau M* S* diesbezüglich vollkommen schad- und klaglos zu halten. Sollten von dritter Seite oder von der Minderjährigen selbst Unterhaltsansprüche geltend gemacht werden, verpflichtet sich der Ehemann, die Ehefrau schad- und klaglos zu halten.

Alle anfallenden Kosten für Schule, Freizeitaktivitäten, Schullandwochen, Schikurse, diverse schulische Aktivitäten und medizinische Heilbehelfe wie z.B. Zahnspange, werden zu gleichen Teilen von beiden Elternteilen bezahlt.“

 

[2] Die – dabei von der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld gemäß § 208 Abs 2 ABGB vertretene – Minderjährige stellte im Oktober und im Dezember 2022 jeweils einen gegen ihre Mutter gerichteten Unterhaltsantrag bestimmten Inhalts.

[3] Die Mutter beantragte – irrig von einem Antrag des Vaters ausgehend – die Zurückweisung dieser Unterhaltsanträge.

[4] Das Erstgericht wies die Unterhaltsanträge mit der Begründung zurück, die von den Eltern getroffene Vereinbarung sei sowohl für die Mutter als Unterhaltsschuldnerin als auch das Kind als Unterhaltsberechtigten bindend, und weil die Vereinbarung das Innenverhältnis der Eltern betreffe könne dem Begehren des Kindes im Unterhaltsverfahren nicht entsprochen werden, sodass der Vater mit der Forderung zur Bezahlung von anteiligen Kosten auf den Zivilrechtsweg zu verweisen und der Antrag des Kindes zurückzuweisen sei.

[5] Das Rekursgericht hob über Rekurs der Minderjährigen mit der angefochtenen Entscheidung den Beschluss des Erstgerichts auf und trug diesem die inhaltliche Entscheidung (über die Unterhaltsanträge) unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Schon bisher sei die Auffassung vertreten worden, dass eine Vereinbarung wie die vorliegende nur das Verhältnis zwischen den Eltern betreffe, der Unterhaltsanspruch des Kindes selbst davon unberührt bleibe und er vom Kind gerichtlich im Außerstreitverfahren geltend gemacht werden könne. Es stünde dem Kind daher frei, seinen gesamten Unterhalt im außerstreitigen Unterhaltsverfahren geltend zu machen. Nun habe sich das Kind aber offenbar dazu entschlossen, ohnedies nur jenen Teil seines Unterhaltsanspruchs geltend zu machen, der nach der Vereinbarung der Eltern jedenfalls auf die Mutter entfalle. Da das Kind nicht verpflichtet sei, seinen gesamten Unterhaltsanspruch geltend zu machen, stehe ihm dies frei. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs im Wesentlichen mit der Begründung zu, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob in Übereinstimmung mit der durch das KindNamRÄG 2013 eingeführten Bestimmung des § 231 Abs 4 ABGB abgeschlossene Vereinbarungen im Sinne der früheren Rechtsprechung den Unterhaltsanspruch des Kindes unberührt lassen.

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revisionsrekurs der Mutter mit einem auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses abzielenden Abänderungsantrag.

[7] Das Kind beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

[9] In ihrer Rechtsrüge führt die Mutter für die Richtigkeit der vom Erstgericht beschlossenen Zurückweisung der Unterhaltsanträge aus formellen Gründen ins Treffen, nach dem Rechtssatz RS0047324 sei eine Exekutionsführung des Kindes gegen den unterhaltspflichtigen Elternteil unzulässig, wenn die Eltern hinsichtlich der Unterhaltsschuld des einen Elternteils eine Erfüllungsübernahme iSd § 1404 ABGB vereinbarten und der Unterhaltsanspruch des Kindes aufgrund einer solchen Vereinbarung in der Weise erfüllt wird, dass der Elternteil, bei dem es sich befindet, die Kosten seiner Lebensführung in demselben Ausmaß bestreitet, wie er es getan hätte, wenn ihm der andere Elternteil die Unterhaltsbeträge bezahlt hätte.

[10] Hieraus kann entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin aber nicht abgeleitet werden, dass ein Unterhaltsantrag des Kindes gegen jenen Elternteil, welcher nach einer internen, zwischen den Elternteilen geschlossenen sogenannten Entlastungsvereinbarung von der Unterhaltspflicht gänzlich oder teilweise befreit sein soll, unzulässig wäre:

[11] Nach § 190 Abs 3 ABGB bedürfen vor Gericht geschlossene Vereinbarungen über die Höhe gesetzlicher Unterhaltsleistungen zu ihrer Rechtswirksamkeit keiner gerichtlichen Genehmigung und sind für den Unterhaltsverpflichteten verbindlich. Eine Vereinbarung iSd § 190 Abs 3 ABGB ist eine solche zwischen dem (unterhaltsverpflichteten) Elternteil und dem (unterhaltsberechtigten minderjährigen) Kind (ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP  31), wobei letzteres in der Regel durch den anderen Elternteil vertreten wird (Hopf/Höllwerth in KBB6 [2020] § 190 ABGB Rz 4). Eine solche Vereinbarung zwischen einem Elternteil und dem – für gewöhnlich durch den anderen Elternteil vertretenen – Kind kann auch im Rahmen einer Scheidung nach § 55a EheG geschlossen werden (vgl RS0057188; Stabentheiner/L. Kolbitsch in Rummel/Lukas, ABGB4 [2021] § 55a EheG Rz 27).

[12] Soweit die Vereinbarung vom 1. 10. 2020 den Kindesunterhalt betrifft, wurde sie – wie aus den Worten „Der Ehemann verzichtet für seine Person […]“ und „[…] im Verhältnis zwischen den Vertragsteilen […]“ in ihrem ersten Absatz ersichtlich – allein zwischen den Eltern geschlossen, also ohne Beteiligung der minderjährigen L*. Auch der zweite Absatz der Unterhaltsvereinbarung lässt keine Involvierung der Minderjährigen in den Abschluss erkennen, wird doch nur geregelt, dass die Eltern zu gleichen Teilen für die genannten Kosten aufzukommen haben.

[13] Mangels Abschlusses der vorliegenden Vereinbarung durch die Minderjährige ist § 190 Abs 3 ABGB unanwendbar.

[14] Vielmehr liegt eine Vereinbarung iSd § 231 Abs 4 ABGB vor, nämlich eine solche, „wonach sich ein Elternteil dem anderen gegenüber verpflichtet, für den Unterhalt des Kindes allein oder überwiegend aufzukommen und den anderen für den Fall der Inanspruchnahme mit der Unterhaltspflicht schad- und klaglos zu halten“. Eine solche Vereinbarung ist nach der zitierten Vorschrift „unwirksam, sofern sie nicht im Rahmen einer umfassenden Regelung der Folgen einer Scheidung vor Gericht geschlossen [wird]“. Diese Wirksamkeitsvoraussetzung ist hier aufgrund des Abschlusses der Vereinbarung im Rahmen der Scheidung nach § 55a EheG erfüllt.

[15] Die Vorschrift des § 231 Abs 4 ABGB wurde durch das KindNamRÄG 2013 (BGBl I 2013/15) eingeführt (ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP  33). Bereits zur vorherigen Rechtslage judizierte der Oberste Gerichtshof, dass eine von § 140 (nunmehr § 231) ABGB abweichende Vereinbarung der Eltern zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Kind der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung bedarf (RS0047552). Diese Rechtsprechung hat der Senat nach dem KindNamRÄG 2013 aufrecht erhalten (3 Ob 192/22i [Rz 16]). In der Literatur ist jedenfalls allgemein anerkannt, dass die reine (nicht pflegschaftsgerichtlich genehmigte) Vereinbarung iSd § 231 Abs 4 ABGB für das Kind unverbindlich ist (vgl Gitschthaler, Neuerungen im Kindesunterhaltsrecht, in Gitschthaler, KindNamRÄG 2013 [2013] 257 [264: „Entlastungsverträge, {…}, die ja das Kind gar nicht betreffen“]; Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB-Praxiskommentar5 [2018] § 231 Rz 4 [„Das Kind binden solche Vereinbarungen nicht.“]; Hopf/Stefula in KBB6 [2020] § 231 ABGB Rz 21 „[…] das Kind nicht bindende und daher zu ihrer Wirksamkeit keiner pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfende […] Verteilung der Unterhaltslast zwischen Vater und Mutter“]; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht10 [2022] 199: „Das Kind binden solche Vereinbarungen selbstverständlich nicht.“).

[16] Eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der zwischen den Eltern am 1. 10. 2020 getroffenen Vereinbarung ist nicht ersichtlich, weshalb die minderjährige L* an diese nicht gebunden und es jedenfalls verfehlt ist, deren Unterhaltsanträge wegen dieser Vereinbarung für unzulässig zu halten. Ob anderes zu gelten hätte, wäre die Vereinbarung pflegschaftsgerichtlich genehmigt worden (vgl dazu mzwN Melcher in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2021] § 55a EheG Rz 78 [in FN 181]), und ob diesfalls ein Unterhaltsantrag des Kindes nicht abzuweisen, sondern zurückzuweisen wäre, ist hier nicht zu beurteilen.

[17] Keinesfalls kann schließlich aus dem Rechtssatz RS0047324, wonach in der dort genannten Situation die Exekutionsführung des Kindes gegen den unterhaltspflichtigen Elternteil unzulässig ist, abgeleitet werden, es wäre bereits die Stellung eines Unterhaltsantrags gegen diesen Elternteil unzulässig.

[18] Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.

Stichworte