OGH 3Ob72/23v

OGH3Ob72/23v25.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E* GmbH, 2. N* GmbH, *, beide vertreten durch Mag. Alexander Todor-Kostic, Mag. Silke Todor-Kostic, Rechtsanwälte in Velden, gegen die beklagte Partei R*, vertreten durch Mag. Karl Komann, Rechtsanwalt in Villach, und ihre Nebenintervenientin K* GmbH, *, vertreten durch Dumfarth Klausberger Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Linz, wegen Leistung, Herausgabe und Unterlassung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. Jänner 2023, GZ 2 R 200/22g‑94, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 19. September 2022, GZ 20 Cg 8/20h‑87, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00072.23V.0525.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin die mit jeweils 4.452,77 EUR (hierin enthalten 742,13 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht bestätigte im zweiten Rechtsgang (neuerlich) die Abweisung des Klagebegehrens durch das Erstgericht. Es ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass es die Wortfolge „ab Erhalt“ in der Vereinbarung vom 18. Februar 2019 anders als der Oberste Gerichtshof im ersten Rechtsgang ausgelegt habe.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die Revision der Kläger ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[3] 1. Der von den Klägerinnen behauptete Verstoß des Berufungsgerichts gegen die Bindungswirkung gemäß § 511 Abs 1 ZPO liegt nicht vor: Der Oberste Gerichtshof hat zwar in seinem Aufhebungsbeschluss zu 3 Ob 155/21x im ersten Rechtsgang die von den Klägerinnen vertretene – von jener des Berufungsgerichts im zweiten Rechtsgang abweichende – Auslegung der Vereinbarung vom 18. Februar 2019 für denkmöglich gehalten („nicht von der Hand zu weisen“), allerdings diesen Streitpunkt damit nicht abschließend erledigt, sondern die Rechtssache vielmehr zur Verfahrensergänzung auch zu diesem Thema an das Erstgericht zurückverwiesen. Es war dem Berufungsgericht deshalb nicht verwehrt, auf Basis der vom Erstgericht verbreiterten Tatsachengrundlage ein anderes Auslegungsergebnis zu erzielen.

[4] 2. In diesem Zusammenhang kann auch von einer unzulässigen Überraschungsentscheidung des Berufungsgerichts keine Rede sein. Vielmehr war die Auslegung der Vereinbarung zwischen den Parteien strittig, und das Berufungsgericht hat sich für eine der beiden möglichen Varianten entschieden.

[5] 3. Die Auslegung einer vertraglichen Vereinbarung hat stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu erfolgen und wirft damit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl RS0042936 ua). Dass das Berufungsgericht die in der Vereinbarung vom 18. Februar 2019 über die Gewährung von Mezzanine-Kapital enthaltene Formulierung, wonach die „ab Erhalt“ zu leistenden Zinsen von 10 % jährlich nicht erst ab Fälligkeit des – damit von den Klägerinnen teilweise kreditierten – Kaufpreises zu zahlen gewesen wären, sondern im Hinblick auf den Vertragszweck – nämlich die Erlangung des von der damals für die Finanzierung des Kaufpreises in Aussicht genommenen Bank geforderten Eigenkapitals der vermögenslosen Klägerinnen – bereits ab Abschluss des genannten Vertrags, stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

[6] 4. Ob die Beklagte selbst, die wegen ihres ständigen Auslandsaufenthalts durchgängig durch einen Bevollmächtigten vertreten war, seinerzeit davon ausging, dass Zinsen aus der Vereinbarung bereits fällig seien oder nicht, ist ohne Relevanz; entscheidend ist bloß, dass sie sich zur Begründung der Berechtigung ihres Rücktritts vom Kaufvertrag hilfsweise – und im Sinn der Auslegung des Berufungsgerichts zu Recht – auch auf den Verzug der Klägerinnen mit der Zinsenzahlung gestützt hat. Einer Mahnung samt Nachfristsetzung bedurfte es, wie bereits zu 3 Ob 155/21x dargelegt, im vorliegenden Fall angesichts der Formulierung des Kaufvertrags nicht.

[7] 5. Darauf, ob die Beklagte ihren Vertragsrücktritt zusätzlich auf den von ihr behaupteten völligen Vertrauensverlust stützen konnte, kommt es daher nicht mehr an.

[8] 6. Nach den Feststellungen übermittelte der Bevollmächtigte der Beklagten dem (neuen) Treuhänder das Original der Vereinbarung vom 27. Dezember 2019 nicht; entgegen der Behauptung der Klägerinnen steht allerdings nicht fest, dass die Beklagte ihm eine entsprechende Weisung erteilt hätte, und den Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, aus welchem Grund die Übermittlung durch den Bevollmächtigten unterblieb. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Beklagte insoweit selbst ihre vertraglichen Pflichten verletzt hätte und daher aus diesem Grund kein Recht zum Rücktritt nach § 918 ABGB gehabt hätte (vgl dazu RS0016326 [T2]).

[9] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte und ihre Nebenintervenientin haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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