OGH 12Os37/23t

OGH12Os37/23t22.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Mai 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fitzthum in der Strafsache gegen * R* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 10. Jänner 2023, GZ 17 Hv 103/22d‑55, sowie dessen Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Loos zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00037.23T.0522.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen A./1./ (insoweit ersatzlos), A./2./ und B./1./, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der zugleich gefasste Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit aufgehoben, in diesem Umfang – mit Ausnahme des ersatzlos behobenen Schuldspruchs A./1./ – eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Landesgericht Steyr verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und der Beschwerde wird der Angeklagte auf die Urteilsaufhebung verwiesen.

Der Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, wurde * R* mit dem angefochtenen Urteil der Vergehen der Hehlerei nach § 164 Abs 1 StGB (A./1./) und der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB (A./2./) sowie der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (B./1./) und der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (B./2./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in S* und an anderen Orten

A./

1./ im Juni 2022 * K*, der zuvor einen Laptop der Marke Yoga gestohlen hatte, somit den Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen fremdes Vermögen, nach der Tat dabei unterstützt, eine Sache, die dieser durch die Straftat erlangt hat, zu verwerten, indem er diesen Laptop an einen unbekannten Mann übergab, der diesen dann für * K* verkaufte;

2./ von Ende Juli 2022 bis Anfang August 2022 ein ihm anvertrautes Gut, nämlich den ihm von * H* anvertrauten PKW VW Polo dadurch, dass er diesen PKW nicht mehr zurückbrachte, sich mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zugeeignet;

B./ am 31. Juli 2022

1./ * B* absichtlich schwer am Körper zu verletzen versucht, indem er auf diesen mit einem Pkw zufuhr, wobei B* zur Seite springen konnte;

2./ * Ha* schwer am Körper verletzt, indem er sie mit einem Pkw anfuhr, wodurch diese ein „SHT I“, mehrere Abschürfungen und Blutergüsse, einen Bruch des Schien- und Wadenbeins links, einen Oberschenkelbruch links, eine Verletzung des Kreuzbandes sowie des Seitenbandes links und eine Zertrümmerung der Kniescheibe rechts erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus Z 5, 8 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – teilweise berechtigt.

 

I./ Zum berechtigten Teil der Nichtigkeitsbeschwerde:

[4] 1./ Die zum Schuldspruch A./2./ erhobene Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) wendet zutreffend ein, dass der Schöffensenat die Zueignungshandlung des Angeklagten offenbar unzureichend mit einem in Wahrheit nicht abgelegten Geständnis des Angeklagten begründet hat (vgl US 8). Denn der Angeklagte hatte sowohl vor der Polizei als auch anlässlich seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung lediglich eingeräumt, dass er den Pkw von * H* geliehen, aber für einige Wochen nicht zurückgegeben habe (ON 15 S 4 f, ON 54 S 3 ff).

[5] Solcherart gestand der Angeklagte lediglich eine Überschreitung der vereinbarten Nutzungsdauer zu, aus der per se – ohne Hinzutreten weiterer Umstände – noch nicht auf eine Zueignung im Sinn des § 133 Abs 1 StGB geschlossen werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0094156; Salimi in WK2 StGB § 133 Rz 94; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 133 Rz 4).

[6] Urteilsaufhebung ist die Folge, ohne dass es eines Eingehens auf die dazu erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a) bedurfte.

[7] 2./ Im Ergebnis erweist sich auch der Einwand einer Anklageüberschreitung (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO) hinsichtlich des Schuldspruchs A./1./ als berechtigt. Insoweit hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vorgeworfen, den in Rede stehenden Laptop am 27. Mai 2022 in S* * Ho* durch Einbruch weggenommen (§§ 127, 129 Abs 1 Z 1 StGB) zu haben (vgl Anklageschrift ON 36). Die in Richtung Hehlerei weisenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (ON 15 S 5) ließ die Anklagebehörde unerwähnt (vgl dazu Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 8.23).

[8] Hingegen gingen die Tatrichter davon aus, dass der Angeklagte diesen von * K* gestohlenen Gegenstand im Juni 2022 in L* übernommen und an einen Dritten im Sinne des § 164 Abs 1 StGB weitergegeben hat (US 1, 4).

[9] Damit hat allerdings das Schöffengericht einen anderen als den angeklagten Lebenssachverhalt (im Sinne des prozessualen Tatbegriffs) abgeurteilt. Denn die Staatsanwaltschaft beschränkte sich ausschließlich auf die Schilderung eines entsprechenden Einbruchsdiebstahls (Lewisch, WK‑StPO § 262 Rz 58) in ihrer (kursorischen) Anklageschrift (ON 36 S 4), womit auch kein auf Hehlerei bezogener Anklagewille auszumachen ist. Damit lag keine bloße Änderung eines rechtlichen Gesichtspunkts der angeklagten Tat im Sinn des § 262 erster Satz StPO vor. Die in Richtung § 164 Abs 1 StGB erfolgte Anhörung des Angeklagten durch den Vorsitzenden (ON 54 S 5) ging daher ins Leere. Vielmehr hätte es, wie anzumerken bleibt, einer Änderung der Anklage (etwa in Form einer Alternativanklage) im Sinn des § 263 Abs 1 erster Satz StPO bedurft.

[10] Ersatzlose Aufhebung des Schuldspruchs A./1./ ist die Folge (vgl Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 8).

 

II./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen:

[11] Die gegen den Schuldspruch B./2./ gerichtete Mängelrüge (Z 5) versucht der leugnenden Verantwortung des Angeklagten zum Durchbruch zu verhelfen, indem sie auf Basis eigenständiger Interpretation der Verfahrensergebnisse vorbringt, aus dem Geschehensablauf, den Fahrzeugschäden und den Angaben des Opfers ergäben sich lediglich Anhaltspunkte für ein fahrlässiges Verhalten des Angeklagten. Solcherart erschöpft sich die Beschwerde aber in unbeachtlicher Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter, die den Verletzungsvorsatz des Angeklagten – unter dem Aspekt der Z 5 einwandfrei (vgl RIS‑Justiz RS0098671) – im Wesentlichen aus dem objektiven Geschehen ableiteten (vgl US 7).

[12] Weshalb die (zu B./1./ getroffene) Feststellung, dass der Angeklagte, als er „mit Vollgas“ auf * B* losfuhr, die Absicht hatte, diesen anzufahren und zu verletzen (US 5), in Bezug auf das Vorsatzelement (hier § 5 Abs 2 StGB) nicht den erforderlichen Sachverhaltsbezug aufweisen soll, legt die Beschwerde (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) mit der pauschalen Behauptung substanzlosen Gebrauchs von verba legalia nicht deutlich und bestimmt dar.

[13] Insoweit war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

 

III./ Zur amtswegigen Maßnahme:

[14] Der Oberste Gerichtshof überzeugte sich – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – davon, dass dem Schuldspruch B./1./ eine von Amts wegen aufzugreifende (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) anhaftet.

[15] Nach den Feststellungen (US 5) hatte der Angeklagte, die Absicht * B* „zu verletzen“. Dass es ihm darauf angekommen wäre, das Opfer schwer zu verletzen, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

[16] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen macht die Aufhebung auch des Schuldspruchs B./1./ unumgänglich.

[17] Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und seiner (impliziten) Beschwerde war der Angeklagte auf die Urteilsaufhebung zu verweisen.

[18] Der Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der * Ha* (Schuldspruch B./2./) war nicht Folge zu geben, weil der zuerkannte Schmerzengeldbetrag von 7.500 Euro mit Blick auf die massiven und multiplen Verletzungen des Opfers jedenfalls gerechtfertigt ist.

[19] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO. Sie bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12).

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