OGH 7Ob37/23a

OGH7Ob37/23a19.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei MMag. M* F*, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts‑GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S* AG, *, vertreten durch Beer & Steinmair Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 458.463,99 EUR sA über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht von 4. Jänner 2023, GZ 4 R 159/22x‑60, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00037.23A.0419.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Der Kläger schloss im Juli 2002 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine fondsgebundene (lebenslange) Rentenversicherung. Zu Vertragsbeginn wurde ein Einmalerlag geleistet, der über einen (endfälligen) Kredit finanziert wurde, der wiederum nach 15 Jahren durch einen Tilgungsträger vollständig bezahltsein sollte. Sowohl die Kreditzinsen als auch der Tilgungsträger sollten gänzlich durch die sofort nach Abschluss quartalsweise ausgeschütteten Renten bedient werden. Nach Ablauf von 15 Jahren und Tilgung des Kredits sollten die Rentenzahlungen voll zur Verfügung stehen.

[2] 1. Die Anwendung liechtensteinischen Rechts steht außer Streit.

[3] 2. Nicht mehr bestritten wird, dass im Versicherungsvertrag die Höhe der monatlichen Rentenzahlungen für die ersten 15 Jahre und die Höhe des Deckungsstocks nach Ablauf dieser 15 Jahre garantiert wurde. Die Beklagte vertritt aber, dass diese Garantien durch eine mit 1. 1. 2009 erfolgte Vertragsänderung aufgehoben worden seien.

[4] 2.1 Die Auslegung von Willenserklärungen hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet nur bei einem unvertretbaren Auslegungsergebnis eine erhebliche Rechtsfrage (RS0044358 [T6, T11]).

[5] 2.2 Der Fürstliche Oberste Gerichtshof (02 Cg 2020.286) vertritt, dass gemäß § 914 FL‑ABGB bei der Auslegung von Verträgen nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen ist, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Ziel der einfachen Auslegung ist die Ermittlung der Absicht der Parteien. „Absicht der Parteien“ wird als Absicht des Erklärenden verstanden, die dem Erklärungsempfänger erkennbar ist und von ihm widerspruchslos zur Kenntnis genommen wird. Dabei kommt dem Wortsinn der Erklärung kein Vorrang bei der Auslegung zu. Es ist nicht an der schriftlichen Erklärung zu haften, sondern es sind alle Umstände heranzuziehen, aus denen Schlüsse auf die Absicht der Parteien zu ziehen sind. Die Buchstabeninterpretation darf der Ermittlung der Absicht der Parteien nicht im Weg stehen. Eine teleologische, am Zweck des Rechtsgeschäfts orientierte Auslegung wird auch bei Verträgen stets als wichtigstes Ziel angestrebt.

[6] 2.3 Die Vorinstanzen wandten diese Grundsätze an und gelangten aufgrund einer Gesamtbetrachtung der vorliegenden Umstände zu dem Ergebnis, dass keine Vertragsänderung erfolgt sei. Dieses Auslegungsergebnis ist jedenfalls vertretbar: Bereits im Jahr 2004 wurde im Zuge eines Umstrukturierungsprozesses eine temporäre Rentenreduktion vorgenommen und der Kläger ausdrücklich darüber informiert, dass diese Maßnahmen keine Abänderung des Vertrags bewirkten. Dem Schreiben vom 20. 11. 2008 lässt sich nicht mit ausreichender Deutlichkeit der Wille der Beklagten auf Änderung des Versicherungsvertrags durch Aufhebung der Garantien entnehmen, um vom Kläger als entsprechendes Anbot und nicht bloß wiederum als temporäre Maßnahme verstanden zu werden. Abgesehen davon, dass nur unverbindliche Begriffe gebraucht wurden, wurde auch ausdrücklich darauf verwiesen, dass keiner der Vorschläge zu einer Verkürzung der Ansprüche führe. Zuletzt wurde dem Kläger nach Rückfrage auch noch versichert, dass er sich „keine Gedanken machen müsse und alles passe“.

[7] 3. Zur Verjährung nahm die Beklagte in ihrer Berufung ausschließlichim Rahmen der Beweisrüge Stellung und auch nur zur Darlegung der Relevanz der von ihr ersatzweise gewünschten Feststellungen zum Zeitpunkt der Kenntnis des Klägers über das mit der Versicherung verbundene Risiko. Eine Rechtsrüge zur Frage der Verjährung unterließ die Beklagte aber.

[8] Eine in einem selbständig beurteilbaren Teilbereich in zweiter Instanz unterlassene Rechtsrüge kann aber in der Revision nicht nachgeholt werden (RS0043573 [T33]; vgl RS0043480 [T22]), weshalb sich eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung erübrigt.

[9] 4.1 Die Vorinstanzen verpflichteten die Beklagte – unter Anführung der konkreten Polizzennummer – den dem Kläger zugeordneten Deckungsstock binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution um den Betrag von 310.072,11 EUR aufzufüllen und vertragsgemäß (nach) zu verrenten.

[10] 4.2 Die Beklagte releviert, dass die Formulierung „vertragsgemäß (nach) zu verrenten – nicht ausreichend bestimmt sei.

[11] 4.3 Während dem Erfordernis der Bestimmtheit bei Geldleistungsklagen in der Regel ohne besondere Schwierigkeiten entsprochen werden kann, stoßen andere Leistungsbegehren im Bemühen um ausreichende Bestimmtheit leicht an ihre Grenzen. Deshalb wird in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass eine jedem Zweifel und jede objektive Ungewissheit ausschließende Präzisierung des Klagebegehrens nur bei Geldleistung zu verlangen ist. Bei anderen Klagen ist dem Erfordernis des § 226 ZPO hinsichtlich der Bestimmtheit des Klagebegehrens jedenfalls dann Genüge getan, wenn man unter Berücksichtigung des Sprach- und Ortsgebrauchs und den Regeln des Verkehrs daraus entnehmen kann, was begehrt ist (RS0037874).

[12] 4.4 Die Bestimmtheit des Klagebegehrens im Hinblick auf die Verpflichtung, den Deckungsstock aufzufüllen wird von der Beklagten zu Recht nicht angezweifelt. Die von ihr inkriminierte Wortfolge determiniert hier aber ohnedies nur den Zweck (vertragsgemäße Verrentung) der Auffüllung des Deckungsstocks.

[13] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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