European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00025.23X.0418.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Klauselentscheidungen, Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I.
1. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.
2. Die Urkundenvorlage der beklagten Partei vom 9. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
II. Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.051,12 EUR (darin 508,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens, die mit 13.903,44 EUR (darin 2.317,24 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof und die mit 5.058,80 EUR (darin 366,30 EUR USt und 2.861 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist ein nach § 29 KSchG klagebefugter Verein zur Durchsetzung von Verbraucherinteressen. Die Beklagte ist ein Kreditinstitut und bietet ihre Leistungen bundesweit an. Sie ist Unternehmerin und verwendet im Verkehr mit Verbrauchern im Zusammenhang mit dem Abschluss hypothekarisch sichergestellter Darlehensverträge Vertragsformblätter, die unter dem Punkt „Vorzeitige Rückzahlung“ das Recht auf vorzeitige Darlehensrückzahlung durch den Darlehensnehmer sowie die Verringerung der von ihm diesfalls zu zahlenden Zinsen und der laufzeitabhängigen Kosten regeln. Diese Verträge enthalten zuletzt den Satz: „Klargestellt wird, dass die laufzeitunabhängigen Bearbeitungsspesen nicht – auch nicht anteilig – rückerstattet werden.“
[2] Jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 25. 8. 2020 hat die Beklagte in ihren Vertragswerken diese Klausel gegenüber Verbrauchern im geschäftlichen Verkehr verwendet. Einer Aufforderung des Klägers im Abmahnschreiben vom 25. 2. 2020, eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung iSd § 28 Abs 2 KSchG bezüglich dieser Klausel bis spätestens 17. 3. 2020 abzugeben, kam die Beklagte nicht nur nicht nach, sondern teilte dem Kläger mit, dass sie von der Zulässigkeit der Klausel ausgehe.
[3] Der klagende Verein begehrte die Verpflichtung der Beklagten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt, und/oder bei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung dieser Klausel oder die Verwendung sinngleicher Klauseln sowie die Berufung auf diese oder sinngleiche Klauseln zu unterlassen und die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung.
[4] Die Klausel widerspreche Art 25 Abs 1 der Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2014/17/EU (WiKrRL), wonach der Verbraucher bei vorzeitiger Rückzahlung das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits habe, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit eines Vertrags richten. Zum im Wesentlichen gleichlautenden Art 16 Abs 1 der RL 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 4. 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der RL 87/102/EWG des Rates (VKrRL) habe der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C‑383/18 am 11. 9. 2019 (Lexitor) ausgesprochen, dass sowohl laufzeitabhängige als auch laufzeitunabhängige Kosten zu ermäßigen seien. Diese Rechtsprechung sei auch auf Hypothekar‑ und Immobilienkredite anzuwenden. Der in Umsetzung der WiKrRL erlassene § 20 Abs 1 des Hypothekar‑ und Immobilienkreditgesetzes (HiKrG) habe sich an dem in Umsetzung der VKrRL geschaffenen § 16 Abs 1 des Verbraucherkreditgesetzes (VKrG) orientiert. Die Bestimmungen hätten gleichermaßen für den Fall der vorzeitigen Rückzahlung eine verhältnismäßige Verringerung der vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen und laufzeitabhängigen Kosten vorgesehen, über laufzeitunabhängige Kosten hingegen keine Aussage getroffen. Beide Bestimmungen seien richtlinienkonform im Sinn der Entscheidung des EuGH Lexitor dahin auszulegen, dass auch laufzeitunabhängige Kosten zu reduzieren seien. Die Klausel beeinträchtige den Verbraucher im übrigen auch gröblich iSd § 879 Abs 3 ABGB.
[5] Die Beklagte wendete ein, die Entscheidung des EuGH Lexitor sei nur zur VKrRL ergangen und auf Immobilienkredite nicht anzuwenden. Wenn auch die Bestimmungen der Richtlinien und der sie umsetzenden Gesetze nahezu gleich seien, sei aufgrund der Besonderheiten von Hypothekarverträgen und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Definition der Gesamtkosten des Kredits in den Richtlinien zu differenzieren. Bei Hypothekar- und Immobilienkrediten fielen wesentlich mehr laufzeitunabhängige Kosten an. Die Entscheidung Lexitor wirke sich auf die inkriminierte Klausel daher nicht aus. Selbst wenn man das anders sehen wollte, wäre § 20 Abs 1 HiKrG aufgrund seines klaren Wortlauts und des eindeutigen Willens des Gesetzgebers einer richtlinenkonformen Interpretation in diesem Sinn nicht zugänglich. Das Veröffentlichungsbegehren sei nicht berechtigt. Die Beklagte begehrte ihrerseits die Gegenveröffentlichung eines abweisenden Urteils und berief sich darauf, dass im konkreten Fall ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehe, zumal die inkriminierte Klausel zwingender Vertragsinhalt sei und der Rechtsstreit aufgrund der Veröffentlichungen durch den klagenden Verein auf www.verbraucherrecht.at publik geworden sei.
[6] Das Erstgericht wies das Unterlassungs- und Veröffentlichungsbegehren ab und gab dem Gegenveröffentlichungsbegehren statt. Die EuGH Entscheidung Lexitor beziehe sich nur auf Art 16 VKrRL. VKrRL und WiKrRL regelten unterschiedliche Systeme mit voneinander abzugrenzenden Anwendungsbereichen, wobei der Europäische Gesetzgeber für Immobilienkredite erst Jahre später bewusst ein eigenes System geschaffen habe, um den Besonderheiten derartiger Verträge Rechnung zu tragen. Es sei daher ein differenzierender Ansatz gerechtfertigt, zumal Unterschiede der Richtlinien auch beim Begriff der Gesamtkosten bestünden. Die Auslegung von § 20 Abs 1 HiKrG im Sinn der Entscheidung Lexitor wäre auch unzulässig, weil sie dem Gesetzeswortlaut und dem Willen des historischen Gesetzgebers widerspreche. An den Gegenveröffentlichungsanspruch eines Beklagten seien zwar strengere Voraussetzungen zu knüpfen als an das Urteilsveröffentlichungsbegehren des Klägers. Voraussetzung sei, dass der Rechtsstreit publik geworden sei. Auch der Schutz des wirtschaftlichen Rufs einer obsiegenden beklagten Partei könne aber eine Veröffentlichung rechtfertigen, wenn das In-Frage-Stellen ihrer Klausel einem breiten Publikum bekannt geworden sei. Dies sei hier der Fall, zumal die Beklagte aufgezeigt habe, dass in den Medien darüber berichtet worden sei, dass infolge der Entscheidung Lexitor von den Banken auch laufzeitunabhängige Kosten allgemein (ohne Differenzierung zwischen VKrG und HiKrG) rückzuerstatten seien. Der klagende Verein habe auf der Webseite www.verbraucherrechte.at darüber informiert, dass bei richtlinienkonformer Auslegung des § 16 Abs 1 VKrG alle Kosten bei vorzeitiger Kreditrückzahlung zu refundieren seien und dies auch für § 20 Abs 1 HiKrG gelte. Die Beschränkung auf laufzeitabhängige Kosten in § 16 Abs 1 VKrG und § 20 Abs 1 HiKrG sei in der Öffentlichkeit in Frage gestellt worden. Die Veröffentlichung des klageabweisenden Urteils liege daher im allgemeinen Interesse und diene der Information der Öffentlichkeit. Die strittige Klausel sei im Übrigen zwingende Angabe eines Verbraucherkreditvertrags nach § 7 Z 1 HiKrG.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des klagenden Vereins Folge und der Klage statt. Es ging davon aus, die zu beurteilende Wortfolge in Art 16 Abs 1 VKrRL und Art 25 der WiKrRL sei gleich auszulegen. Unter Berücksichtigung der Erwägungen des EuGH in der Rechtssache Lexitor zu Art 16 Abs 1 der VKrRL sei das Ergebnis der Auslegung des Unionsrechts unzweifelhaft, sodass im Sinn der acte-claire-Doktrin die Anrufung des EuGH entbehrlich sei. Eine generelle Nichtrückerstattung laufzeitunabhängiger Kosten lasse sich aus der WiKrRL nicht ableiten. § 20 Abs 1 HiKrG sei daher richtlinienkonform auszulegen, weil durch die Entscheidung Lexitor – nachträglich – eine Gesetzeslücke entstanden sei, der Gesetzgeber des HiKrG aber einen Generalumsetzungswillen der WiKrRL gehabt habe. Eine Lückenschließung mittels Analogie sei zulässig. Die verwendete Klausel sei daher nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung unzulässig. Mittlerweile sei das Wort „laufzeitabhängig“ in § 20 Abs 1 HiKrG (in Umsetzung der Entscheidung Lexitor) gestrichen worden. Die Rechtslage habe sich nach Schluss der Verhandlung erster Instanz geändert. Mit Wirkung ab 1. 1. 2021 sei eine Anordnung der Rückerstattung nur von laufzeitabhängigen Kosten nicht mehr zulässig. Auch bei Prüfung nach der neuen Rechtslage sei die beanstandete Klausel unzulässig.
[8] Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Berufungsgericht mit 30.000 EUR übersteigend. Die Revision ließ es mit der Begründung nicht zu, dass die vorliegende Konstellation anhand der gesetzlichen Bestimmungen und bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden könne.
[9] In ihrer außerordentlichen Revision strebt die Beklagte die Abänderung dahin an, dass die Klage abgewiesen und sie zur Urteilsveröffentlichung ermächtigt werde. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[10] Der klagende Verein beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Zu I. 1:
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Senat hat aus Anlass der Revision mit Beschluss vom 19. 8. 2021, AZ 5 Ob 66/21g, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des EuGH über den vom Obersten Gerichtshof an diesem Tag gestellten Antrag auf Vorabentscheidung ausgesetzt. Nunmehr hat der EuGH mit Urteil vom 9. 2. 2023, C‑555/21 , UniCredit Bank Austria AG, diese Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.
Zu I.2:
[12] Die von der Beklagten am 9. 7. 2021 nach Zustellung der freigestellten Revisionsbeantwortung an sie eingebrachte Urkundenvorlage war als gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verstoßend zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041466).
Zu II.:
[13] Die Revision ist zulässig, zumal die Auslegung von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmter Geschäftsbranchen, die regelmäßig für eine größere Anzahl von Kunden und damit Verbrauchern bestimmt und von Bedeutung sind, eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, sofern derartige Klauseln bisher vom Obersten Gerichtshof noch nicht zu beurteilen waren (RS0121516). Dies ist im Hinblick auf § 20 Abs 1 HiKrG (aF) der Fall. Die Revision ist auch berechtigt.
[14] 1.1. § 20 Abs 1 HiKrG BGBl I 2015/135 lautete in der bis 31. 12. 2020 anzuwendenden Fassung wie folgt:
„Der Kreditnehmer hat das jederzeit ausübbare Recht, den Kreditbetrag vor Ablauf der bedungenen Zeit zum Teil oder zur Gänze zurückzuzahlen. Die vorzeitige Rückzahlung des gesamten Kreditbetrags samt Zinsen gilt als Kündigung des Kreditvertrags. Die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen verringern sich bei vorzeitiger Kreditrückzahlung entsprechend dem dadurch verminderten Außenstand und gegebenenfalls entsprechend der dadurch verkürzten Vertragsdauer; laufzeitabhängige Kosten verringern sich verhältnismäßig.“
[15] 1.2. Mit § 20 Abs 1 HiKrG wurde Art 25 Abs 1 der WiKrRL in das nationale Recht umgesetzt (vgl § 1 HiKrG). Danach stellten die Mitgliedstaaten sicher, dass die Verbraucher das Recht haben, ihre Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag vollständig oder teilweise vor Ablauf des Vertrags zu erfüllen. In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet.
[16] 1.3. In der Rs C‑383/18 (Lexitor) sprach der EuGH aus (Rn 36), Art 16 Abs 1 der VKrRL sei dahin auszulegen, dass das Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Rückzahlung sämtliche dem Verbraucher auferlegte Kosten betreffe. Diese Entscheidung erging ausschließlich zur Auslegung von Art 16 Abs 1 VKrRL und traf zu Art 25 WiKrRL keine Aussage.
[17] 1.4. Mit der Novelle BGBl I 2021/1 strich der Gesetzgeber aufgrund dieser Entscheidung nicht nur in § 16 Abs 1 VKrG, sondern auch in § 20 Abs 1 HiKrG (jeweils) im letzten Satz das Wort „laufzeitabhängig“. Hintergrund war die Überlegung, dass § 16 Abs 1 VKrG bei vorzeitiger Rückzahlung nur eine Verringerung der laufzeitabhängigen Kosten vorsehe, was nach dem Urteil Lexitor zu einschränkend sei (ErläutRV 478 BlgNR 27. GP 2). Aufgrund der beinahe wortgleichen Vorgaben sei § 16 Abs 1 VKrG beinahe wortgleich wie § 20 HiKrG formuliert, sodass auch § 20 HiKrG entsprechend geändert werden solle (ErläutRV 478 BlgNR 27. GP 4). § 20 Abs 1 HiKrG in der Folge dieser Novelle trat mit 1. 1. 2021 in Kraft und ist auf Kreditverträge und Kreditierungen anzuwenden, die nach dem 31. 12. 2020 geschlossen bzw gewährt werden (§ 31 Abs 5 HiKrG).
[18] 2.1. Da der erkennende Senat im Gegensatz zum Berufungsgericht insoweit nicht von „acte-claire“ ausging, legte er mit Beschluss vom 19. 8. 2021, 5 Ob 66/21y, dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:
„Ist Art 25 Abs 1 der WiKrRL dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass sich im Fall der Ausübung des Rechts des Kreditnehmers, den Kreditbetrag vor Ablauf der bedungenen Zeit zum Teil oder zur Gänze zurückzuzahlen, die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen und die von der Laufzeit abhängigen Kosten verhältnismäßig verringern, während es für laufzeitunabhängige Kosten an einer entsprechenden Regelung fehlt?“
[19] 2.2. Der EuGH hat mit Urteil vom 9. 2. 2023 in der Rechtssache C‑555/21 , UniCredit Bank Austria AG wie folgt geantwortet:
„Art 25 Abs 1 WiKrRL ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die vorsieht, dass das Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits nur die Zinsen und die laufzeitabhängigen Kosten umfasst, nicht entgegensteht.“ Der EuGH befasst sich mit dem Begriff der „Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ gemäß Art 4 Z 13 der WiKrRL, der sämtliche Kosten umfasse, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind. Ausdrücklich ausgenommen davon sind Notargebühren, Gebühren für die Eintragung der Eigentumsübertragung in das Grundbuch, wie Kosten für die Grundbucheintragung und damit verbundene Steuern, sowie Entgelte, die der Verbraucher für die Nichteinhaltung der im Kreditvertrag festgelegten Verpflichtungen zahlen muss (Rn 24). Ob derartige Kosten zu diesen Gesamtkosten gehören, obliegt der Prüfung des nationalen Gerichts (Rn 25). Unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe der WiKrRL stellt der EuGH weiter fest, dass die in Art 25 Abs 1 WiKrRL vorgesehene Ermäßigung den Besonderheiten des Wohnimmobilienkreditvertrags Rechnung tragen muss und nicht darauf abzielt, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, in der er sich befände, wenn der Kreditvertrag für eine kürzere Laufzeit oder einen geringeren Betrag oder ganz allgemein zu anderen Bedingungen geschlossen worden wäre, sondern darauf, den Vertrag an die sich durch die vorzeitige Rückzahlung geänderten Umstände anzupassen. Damit kann das Ermäßigungsrecht nicht die Kosten umfassen, die unabhängig von der Vertragslaufzeit dem Verbraucher entweder zu Gunsten des Kreditgebers oder zu Gunsten Dritter für Leistungen auferlegt werden, die zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung bereits vollständig erbracht worden sind (Rn 28 ff).
[20] Zur Frage, welche Kosten von der Laufzeit abhängen und der verhältnismäßigen Kürzung unterliegen können, stellt der EuGH auf das ESIS-Merkblatt ab, das der Kreditgeber dem Verbraucher gemäß Art 14 Abs 1 und 2 WiKrRL auszufolgen hat. Dieses Merkblatt sieht eine Aufschlüsselung der vom Verbraucher zu zahlenden Kosten danach vor, ob es sich um einmalige oder regelmäßige Kosten handelt (Rn 34), und ermöglicht es damit sowohl dem Verbraucher als auch dem nationalen Gericht zu prüfen, ob eine Art von Kosten objektiv mit der Vertragslaufzeit zusammenhängt (Rn 35). Diese standardisierte Aufschlüsselung verringert den Handlungsspielraum der Kreditinstitute. Die in der Entscheidung Lexitor noch angesprochene Gefahr eines missbräuchlichen Verhaltens des Kreditgebers rechtfertigt es daher nicht, die laufzeitunabhängigen Kosten in das in Art 25 Abs 1 der WiKrRL vorgesehene Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits einzubeziehen (Rn 32 ff). Sache der nationalen Gerichte ist es aber, dafür Sorge zu tragen, dass Kosten, die dem Verbraucher unabhängig von der Laufzeit des Kreditvertrags auferlegt werden, nicht objektiv ein Entgelt des Kreditgebers für die vorübergehende Verwendung des vertraglich vereinbarten Kapitals oder für Leistungen darstellen, die dem Verbraucher zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung noch erbracht werden müssten. Insoweit geht der EuGH von einer Nachweispflicht des Kreditgebers aus, ob es sich bei den betreffenden Kosten um einmalige oder regelmäßige handelt (Rn 38 f).
[21] 2.3. Aus der Regelung des § 20 Abs 1 HiKrG idF BGBl I 2015/135 zog (wie schon zur gleichlautenden Regelung des § 16 Abs 1 VKrG) der Oberste Gerichtshof vor der Entscheidung des EuGH Lexitor den Umkehrschluss, dass laufzeitunabhängige Entgelte bei vorzeitiger Tilgung nicht aliquot zu reduzieren seien. Während dieser Umkehrschluss aufgrund der Entscheidung Lexitor für den Bereich des VKrG zumindest zweifelhaft scheint, steht nach der Entscheidung des EuGH C‑555/21 , UniCredit Bank Austria AG Art 25 WiKrRL einem solchen Umkehrschluss nicht entgegen. Aus unionsrechtlicher Sicht ist es daher nicht geboten, bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits laufzeitunabhängige Kosten tatsächlich verhältnismäßig zu verringern. Die von den Vorinstanzen aufgeworfene Frage richtlinienkonformer Interpretation des § 20 Abs 1 HiKrG (auch) im Lichte der Entscheidung Lexitor zur VKrRL (vgl hierzu 3 Ob 216/21t; 5 Ob 197/21p, die eine richtlinienkonforme Interpretation contra legem in Bezug auf § 16 Abs 1 VKrG aF ablehnen) stellt sich daher hier nicht.
[22] 2.4. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass die beanstandete Klausel nicht dem bis vor Schluss der Verhandlung erster Instanz in Geltung stehenden § 20 Abs 1 HiKrG aF widersprach und diese Bestimmung nicht im Widerspruch zu Art 25 WiKrRL und dem dort vorgesehenen Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits stand.
[23] 3.1. Nach der Entscheidung des EuGH C‑555/21 haben die nationalen Gerichte – um den in Art 41 lit b der WiKrRL vorgesehenen Umgehungsschutz zu gewährleisten – dafür Sorge zu tragen, dass die Kosten, die dem Verbraucher unabhängig von der Laufzeit des Kreditvertrags auferlegt werden, nicht objektiv ein Entgelt des Kreditgebers für die vorübergehende Verwendung des vertraglich vereinbarten Kapitals oder für Leistungen bilden, die dem Verbraucher zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung noch erbracht werden müssten. Der EuGH verlangt vom Kreditgeber einen Nachweis, ob es sich bei betreffenden Kosten um einmalige oder unregelmäßige Kosten handelt.
[24] 3.2. Die hier beanstandete Klausel nimmt die laufzeitunabhängigen Bearbeitungsspesen pauschal von der Rückerstattung aus, wobei sich aber aus dem – unstrittigen – Inhalt des Kreditvertrags Beilage ./A und dessen Seite 2 aufgrund eines Sternchenhinweises die genaue Erläuterung der Bearbeitungsspesen ergibt, worauf die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren auch ausdrücklich hingewiesen hatte.
[25] 3.3. Die dort genannte Bearbeitung des Kredits/Darlehensantrags, die Erstellung der Kredit/Darlehensunterlagen und die Kosten der Bonitätsprüfung sind aber begrifflich einmalige und daher objektiv laufzeitunabhängige Kosten. Jedenfalls für den Verbandsprozess muss es für die vom EuGH postulierte Prüf- und Nachweispflicht ausreichen, dass die Beklagte als Kreditgeberin darlegt, welche Kosten konkret sie unter dem Begriff der „laufzeitunabhängigen Kosten“ im Sinn der beanstandeten Klausel versteht und insofern von der Ermäßigung bei vorzeitiger Rückzahlung ausschließen will. Diese vertragliche Regelung ist dann nach ihrem – im Verbandsprozess kundenfeindlichsten (RS0016590) – Bedeutungsinhalt darauf zu prüfen, ob sie tatsächlich nur laufzeitunabhängige Kosten deckt. Dies ist hier zu bejahen.
[26] 4. Damit ist es dem klagenden Verein nicht gelungen, eine Verletzung des § 20 Abs 1 HiKrG aF durch die Beklagte unter Beweis zu stellen. Eine Verletzung des § 879 Abs 3 ABGB scheidet aus, weil sich die Prüfung gröblicher Benachteiligung im Sinn dieser Vorschrift am dispositiven Recht als Maßstab eines gerechten Interessensausgleichs zwischen den Parteien zu orientieren hat (3 Ob 216/21t [zu § 16 Abs 1 VKrG]). Wenn die Klausel bestimmt, dass die laufzeitunabhängigen Bearbeitungsspesen unabhängig von der Laufzeit der Finanzierung auch bei vorzeitiger Rückzahlung der Finanzierung nicht zurückerstattet werden, entspricht dies dem dispositiven Recht.
[27] 5.1. Die Unterlassungsklage ist daher abzuweisen. Die Zulässigkeit der Klausel nach der neuen Rechtslage ab 1. 1. 2021 brauchtdaher nicht geprüft zu werden. Die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist nicht relevant, was keiner weiteren Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).
[28] 5.2. Im Hinblick auf die Abweisung des Unterlassungsbegehrens ist auch das Urteilsveröffentlichungsbegehren des klagenden Vereins abzuweisen.
[29] 6.1. Die Ermächtigung zur Veröffentlichung des abweisenden Teils eines Unterlassungsbegehrens („Gegenveröffentlichung“) ist nach ständiger Rechtsprechung an strengere Voraussetzungen geknüpft als die Urteilsveröffentlichung zu Gunsten des obsiegenden Klägers (RS0079624 [T14]). Dem Beklagten ist bei berechtigtem Interesse ein Anspruch auf Veröffentlichung des klageabweisenden Teils der Entscheidung zuzugestehen, so etwa um einen beim Publikum durch die Veröffentlichung des klagestattgebenden Teils der Entscheidung entstehenden „falschen Eindruck“ richtigzustellen oder weil gerade die betroffenen Klauseln zu den gesetzlich zwingenden Angaben in Verbraucherverträgen gehören (RS0079624 [T7]). Im Sinn des Schutzes des wirtschaftlichen Rufs der obsiegenden Beklagten ist es für eine Veröffentlichung ausreichend, wenn das In-Frage-Stellen ihrer Klauseln einem breiten Publikum bekannt geworden ist oder die Entscheidung in einem öffentlich ausgetragenen Meinungsstreit von allgemeinem Interesse ist (RS0079624 [T8]). Diese Voraussetzungen für die Gegenveröffentlichung hat die Beklagte darzutun (RS0079624 [T14]). Dies ist ihr nach der zutreffenden Auffassung des Erstgerichts gelungen.
[30] 6.2. Nach den Feststellungen wurde in mehreren Medien und vom klagenden Verein auf seiner Homepage über die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Lexitor und die damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen berichtet. Der klagende Verein vertrat (ohne Differenzierung) die Auffassung, die Erwägungen in der Sache Lexitor seien auch auf Immobilien- und Hypothekarkredite anwendbar. Der konkrete Rechtsstreit wurde überdies durch die Veröffentlichung der Entscheidung des Berufungsgerichts auf der Homepage des klagenden Vereins bekannt gemacht, die von diesem lancierte Presseaussendung von österreichischen Medien aufgegriffen. Die Frage der richtlinienkonformen Interpretation von § 16 Abs 1 VKrG und § 20 Abs 1 HiKrG ebenso wie die Frage, ob letztere Bestimmung entsprechend der Erwägungen des EuGH in der Sache Lexitor auszulegen sind, waren Gegenstand öffentlicher Diskussion. Von einem Informationsbedürfnis der beteiligten Verkehrskreise betreffend die Zulässigkeit der von der Beklagten verwendeten Klausel, insbesondere im Lichte der nunmehr vorliegenden Entscheidung des EuGH, ist daher auszugehen. Auch in Ansehung der Stattgebung des Gegenveröffentlichungsbegehrens ist die Auffassung des Erstgerichts daher zu teilen.
[31] 7. Damit war insgesamt das Ersturteil samt seiner Kostenentscheidung wiederherzustellen.
[32] 8. Gemäß §§ 41, 50 ZPO hat die Beklagte Anspruch auf Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens, des Zwischenverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof und des Revisionsverfahrens, die jeweils tarifgemäß verzeichnet wurden.
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