European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00036.23I.0412.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.489,86 EUR (darin enthalten 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Das Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts, mit der es die Klage zurückgewiesen hatte, ab. Es gingvon einer Verbrauchersache im Sinn des Art 15 Abs 1 lit c LGVÜ 2007 aus, bejahte die internationale und daran anknüpfend die in Art 16 LGVÜ 2007 mitgeregelte (vgl RIS‑Justiz RS0127560) örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts und verwarf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit der Beklagten. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es über Antrag der beklagten Partei nach § 528 Abs 2a iVm § 508 ZPO zu, weil keine hinreichend gefestigte höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob die Beklagte aus dem – (hier:) nachträglichen – Lösen und der Vorlage einer Gewerbeberechtigung durch den Kläger nicht doch einen zwingenden Rückschluss auf dessen Motivationslage im Zeitpunkt der „Akzeptanz“ der in Rede stehenden Vertragsformblätter dahingehend ziehen habe können, dass dieser den Vertrag mit Bezug zu einer gegenwärtigen oder zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit abschließen habe wollen.
[2] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Das ist kurz zu begründen:
Rechtliche Beurteilung
[3] 1. Der Oberste Gerichtshof hat zur Frage, ob Vertragspartner („Marketer“) der Beklagten Verbraucher im Sinn des Art 15 Abs 1 LGVÜ 2007 sind, und daher den Gerichtsstand nach Art 16 Abs 1 LGVÜ 2007 in Anspruch nehmen können, bereits wiederholt Stellung genommen. Dabei war jeweils eine im Wesentlichen gleichlautende Vertragslage zu beurteilen.
[4] 1.1 In der Entscheidung zu 8 Ob 71/21f ist der Oberste Gerichtshof mit ausführlicher Begründung zum Schluss gekommen, dass eine Verbrauchersache im Sinn des Art 15 Abs 1 lit c LGVÜ 2007 vorliegt, auch wenn der Kläger als „Marketer“ andere Personen für die Beklagte angeworben hatte. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses habe die Beklagte davon ausgehen müssen, dass die dem Kläger eingeräumte Berechtigung zum Tätigwerden als Vertriebsmittler für diesen bloß einen ganz untergeordneten Aspekt des mit ihr eingegangenen Rechtsverhältnisses bilde. Jedenfalls könne keine Rede davon sein, dass die Beweismittel für den rechtlichen Schluss ausreichten, dass der Vertrag in nicht ganz unerheblichem Maße zur Deckung von Bedürfnissen diente, die der beruflich-gewerblichen Tätigkeit des Betroffenen zuzurechnen seien, sodass ein Verbrauchervertrag anzunehmen sei. Dass sich die Beklagte durch Akzeptanz ihrer Geschäftsbedingungen bestätigen lasse, dass der „Marketer im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit als selbständiger Unternehmer“ handle, führe zu keiner anderen Beurteilung. Bei der Unterwerfungserklärung ihres Vertragspartners handle es sich um ein reines Formalerfordernis, das von dessen tatsächlicher Tätigkeit völlig losgelöst sei. Auf die Fiktion der Unternehmereigenschaft könne sich die Beklagte daher nicht berufen, weil sonst durch entsprechende Klauseln in Geschäftsbedingungen der zwingende Verbraucherschutz umgangen werden könnte.
[5] 1.2 Diese Beurteilung wurde in weiterer Folge in mehreren Entscheidungen bekräftigt (zB zu 4 Ob 179/21h, 5 Ob 223/21m, 6 Ob 119/21z, 6 Ob 146/21w, 4 Ob 5/22x), denen jeweils das selbe Geschäftsmodell der Beklagten betreffende Sachverhalte zugrunde lagen.
[6] 2. Die Beurteilung des Rekursgerichts, es liege ungeachtet der vom Erstgericht im Zuständigkeitsstreit getroffenen Feststellungen eine Verbrauchersache vor, folgt dieser Rechtsprechung.
[7] 2.1 Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt bietet entgegen der Ansicht der Beklagten auch keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung oder von dieser Rechtsprechung abzugehen. Danach beabsichtigte der Kläger die Partizipation am Modell der Beklagten und dabei aktiv tätig zu werden, was er „mit einem unternehmerischen Zweck“ erreichen wollte, und hat als „Marketer“ nach Erwerb und Übermittlung einer Gewerbeberechtigung an die Beklagte vier weitere Personen angeworben.
[8] 2.2 In der zu beurteilenden Vereinbarung fordert die Beklagte für den „Vergütungsanspruch“, dass der „Marketer“ in Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit handelt, selbstständig dafür Sorge trägt, dass sein Gewerbe ordnungsgemäß angemeldet ist, und über die für die Ausübung seines Gewerbes benötigten behördlichen Genehmigungen verfügt. Diese Formulierung entspricht den vom Obersten Gerichtshof bereits wiederholt beurteilten Geschäftsbedingungen der Beklagten. Aus ihr ergibt sich die Anmeldung eines Gewerbes als Formalerfordernis für den „Vergütungsanspruch“. Der 8. Senat hat in seiner Entscheidung zu 8 Ob 71/21f (Rz 33) bereits ausgesprochen, dass ein schützenswertes Vertrauen der Beklagten auf Erklärungen, die sie ihren Vertragspartnern pro forma abverlangt, nicht besteht. Dass der Kläger den ihm abverlangten Erklärungen entsprach, eine Gewerbeberechtigung erworben und der Beklagten nachgewiesen hat, kann bei gebotener Gesamtbetrachtung daher nicht anders beurteilt werden, wie seine Unterwerfungserklärung selbst. Warum die Beklagte gerade deswegen zwingend darauf (rück-)schließen hätte sollen, dass der Kläger bereits bei Annahme ihrer Bedingungen den Vertrag zur Ausübung einer gegenwärtigen oder zukünftigen gewerblichen Tätigkeit eingehen habe wollen, ist nicht zu erkennen. Darauf kommt es auch nicht an.
[9] 2.3 Wie der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt hat, bestimmt sich der Begriff des Verbrauchers nach seiner Stellung innerhalb des konkreten Vertrags in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach seiner subjektiven Vorstellung. Maßgeblich sind die für den Vertragspartner des Verbrauchers objektiv erkennbaren Umstände des Geschäfts und nicht dessen innerer Wille (8 Ob 71/21f Rz 20 mwN). Damit schadet es nicht, dass der Kläger unternehmerisch tätig sein wollte, um am Modell der Beklagten zu partizipieren, und entsprechend den ihm abverlangten Erklärungen die Voraussetzungen dafür schuf. Losgelöst von der subjektiven Vorstellung des Klägers musste die Beklagte zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vielmehr davon ausgehen, dass die ihm eingeräumte Berechtigung zum Tätigwerden als Vertriebsmittler für diesen bloß einen ganz untergeordneten Aspekt des mit ihr eingegangenen Rechtsverhältnisses bildete (8 Ob 71/21f Rz 33).
[10] 2.4 Das – bei objektiver Betrachtung – aus dem Regelwerk ersichtliche Geschäftsmodell der Beklagten im Zusammenhang mit den Rabattgutscheinen lässt sich dahin zusammenfassen, dass der „Marketer“ durch den Erwerb der Rabattgutscheine an der regelmäßigen Ausschüttung von „Shopping Points“ teilnimmt, für die wiederum periodische Auszahlungen in Geld in Aussicht gestellt werden. Der Erwerb der Rabattgutscheine ist daher grundsätzlich als Investmentform angelegt und dient nicht deren Einsatz zu Marketingzwecken (8 Ob 71/21f Rz 29 ff). Eine kompetenzrechtliche Aufteilung des Rechtsverhältnisses in einen unter das allgemeine Zuständigkeitsrecht fallenden und einen unter den Verbrauchergerichtsstand zu subsumierenden Teil kommt nicht in Betracht, weil die Tätigkeit als „Marketer“ Voraussetzung für den Erwerb von Rabattgutscheinen ist (8 Ob 71/21f Rz 25). Damit ist es im hier zu beurteilenden Kontext ohne Bedeutung, dass der Kläger als „Marketer“ vier Personen angeworben hat. Auch rechtfertigt dieser Umstand keineswegs die Annahme einer nicht ganz untergeordneten gewerblichen Tätigkeit des Klägers, die dazu führen würde, das Rechtsverhältnis insgesamt nicht als Verbrauchersache zu qualifizieren.
[11] 3. Ob im Zusammenhang mit dem Verbraucherbegriff in Art 15 LGVÜ 2007 die Rechtsprechung, wonach bei „doppelrelevanten Tatsachen“ die Richtigkeit der Klageangaben im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu unterstellen ist, angewendet werden kann, bedarf im konkreten Fall schon deshalb keiner Klärung, weil das Erstgericht ohnehin ein Beweisverfahren abgeführt und – von den Klagebehauptungen teilweise abweichende – Feststellungen getroffen hat. Dass auch bei „doppelrelvanten Tatsachen“ die Klageangaben dann nicht maßgeblich sind, wenn diese durch das bereits durchgeführte Beweisverfahren und die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen eine Änderung erfahren haben, hat der Oberste Gerichtshof im Übrigen bereits klargestellt (8 Ob 71/21f Rz 14 mwN).
[12] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
[13] 5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 51 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.
[14] Das Revisionsrekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof betrifft ausschließlich den Zwischenstreit über die internationale und örtliche Zuständigkeit, der nunmehr abschließend erledigt ist. Die in diesem Zwischenstreit unterlegene Beklagte hat dem Kläger daher die Kosten der Rechtsmittelbeantwortung zu ersetzen (RS0035955 [T17]).
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