OGH 4Ob179/21h

OGH4Ob179/21h16.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M. als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers MK*, vertreten durch Dr. Josef Fromhold, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagte L* AG, *, vertreten durch Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 12.387,56 EUR sA, über den Revisionsrekurs des Klägers gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels vom 11. August 2021, GZ 22 R 146/21h‑22, womit das Urteil des Bezirksgerichts Wels vom 15. März 2021, GZ 9 C 583/20p‑18, samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00179.21H.1216.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungs- und Rekursgericht die Entscheidung über die Berufung der Beklagten unter Abstandnahme von dem als gegeben erachteten Nichtigkeitsgrund aufgetragen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 939,24 EUR (darin 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte mit Sitz in der Schweiz betreibt ein Geschäftssystem mit Rabattgutscheinen namens „L*“ und richtet ihre Geschäftstätigkeit auch auf Kunden in Österreich aus. Der inländische Kläger schloss eine Online‑Vereinbarung mit der Beklagten. Vor Vertragsschluss wurde ihm kommuniziert, er müsse regelmäßig Cloud-Anteile kaufen, um dann in der Folge ein „passives Einkommen“ zu erhalten. Insgesamt investierte der Kläger in der Folge mehr als 12.000 EUR.

[2] Der Kläger begehrt im Wesentlichen die Rückzahlung des investierten Kapitals. Entgegen den vollmundigen Gewinnversprechungen der Beklagten habe er nur rund 220 EUR ausbezahlt erhalten. Er sei vom Vertrag zurückgetreten. Die Beklagte betreibe in Wahrheit ein verbotenes Schneeballsystem. Das System der Beklagten sei so ausgestaltet, dass ein Mitglied nur dann auf seine Kosten komme, wenn es weitere Mitglieder anwerbe. Beim Kläger handle es sich um einen Verbraucher.

[3] Die Beklagte wendete die örtliche und internationale Unzuständigkeit ein. Außerdem fehle es an der Klagbarkeit, weil die Parteien in der L*-Vereinbarung eine obligatorische Schlichtungsklausel vereinbart hätten. Auch inhaltlich bestehe die Klagsforderung nicht zu Recht. Der Kläger habe keinen Zahlungsanspruch. Nach dem „L*-Compensation-Plan“ seien Grundlage der Vergütung ausschließlich Einkäufe bei Partnerunternehmen.

[4] Das Erstgericht verwarf die Einreden der fehlenden internationalen und örtlichen Zuständigkeit und der Unzulässigkeit des Rechtswegs und gab der Klage statt.

[5] Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten erhobenen Berufung – ohne die Beweisrüge zu erledigen – Folge, hob das angefochtene Urteil und das der Urteilsfällung vorangegangene Verfahren wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit als nichtig auf und wies die Klage zurück. Natur und Zielsetzung der L*-Vereinbarung sei es, dass der Kläger als „Marketer“ einer gewerblichen Tätigkeit als selbständiger Unternehmer nachgehe und dafür einen Vergütungsanspruch erhalte. Der Kläger sei daher im konkreten Zusammenhang nicht als Verbraucher iS des Art 15 Abs 1 LGVÜ 2007 anzusehen. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil die strittige Vertragskonstruktion österreichweit für eine große Anzahl von Kunden von Bedeutung sei.

[6] Mit seinem – von der Beklagten beantworteten – Revisionsrekurs beantragt der Kläger die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Er ist auch berechtigt.

[8] Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 29. 11. 2021, 8 Ob 71/21f, der ein vergleichbarer – auch das Geschäftsmodell der Beklagten betreffender – Sachverhalt zugrunde lag, im Hinblick auf den Sitz der Beklagten in der Schweiz die internationale Zuständigkeit nach dem – auch hier anwendbaren – LGVÜ 2007 beurteilt und ist mit ausführlicher Begründung zum Schluss gekommen, dass es sich um eine Verbrauchersache im Sinn des Art 15 Abs 1 lit c LGVÜ 2017 handle, auch wenn der dortige Kläger als „Marketer“ andere Personen für die Beklagte angeworben habe.

[9] Der erkennende Senat schließt sich dieser Beurteilung an, zumal der Kläger hier – anders als im zitierten Parallelfall – keine anderen Personen für die Beklagte angeworben hat, was noch stärker für seine Verbrauchereigenschaft spricht.

[10] Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Berufungs- und Rekursgericht die Entscheidung über die Berufung der Beklagten unter Abstandnahme von dem als gegeben erachteten Nichtigkeitsgrund aufzutragen.

[11] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Das Revisionsrekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof betrifft ausschließlich den Zwischenstreit über die internationale und örtliche Zuständigkeit, der nunmehr abschließend erledigt ist. Die in diesem Zwischenstreit unterlegene Beklagte hat dem Kläger daher die Kosten des Rechtsmittels zu ersetzen (RS0035955). Eine Pauschalgebühr fällt für das Revisionsrekursverfahren nicht an (vgl Anm 1 TP 3 GGG).

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