European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00010.23P.0329.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist seit 2013 als Vertragsbedienstete bei der Beklagten beschäftigt. Mit Änderung des Dienstvertrags vom 28. 5. 2021 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass die Dauer der anrechenbaren Vordienstzeiten für die Bemessung des Besoldungsdienstalters mit 3.534 Tagen abzüglich eines Vorbildungsausgleichs von 924 Tagen festgesetzt worden sei. Dieses Schreiben wurde von der Klägerin am 7. 6. 2021 übernommen und enthielt den Hinweis, dass sie eine unrichtige Nichtanrechnung von Vordienstzeiten binnen sechs Monaten nach Zustellung dieser Mitteilung schriftlich beim Dienstgeber geltend machen müsse und danach binnen weiterer sechs Monate Klage beim Arbeits‑ und Sozialgericht erheben könne.
[2] Die Klägerin begehrt mit ihrer am 31. 8. 2021 eingebrachten Klage die Feststellung, dass für die Ermittlung ihres Besoldungsdienstalters weitere vier Jahre und vier Monate an Vordienstzeiten anzurechnen seien, ohne dass sie dies zuvor bei der Beklagten schriftlich geltend gemacht hätte.
[3] Die Beklagte bestritt die Anrechenbarkeit weiterer Vordienstzeiten und wendete zudem ein, dass die Klage verfristet sei, weil es die Klägerin verabsäumt habe, diese Vordienstzeiten innerhalb von sechs Monaten nach der Mitteilung über die Feststellung der anrechenbaren Vordienstzeiten schriftlich geltend zu machen.
[4] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Nach § 26 Abs 6a VBG sei die Nichtanrechnung von Vordienstzeiten bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Mitteilung der anrechenbaren Vordienstzeiten schriftlich beim Dienstgeber und danach binnen weiterer sechs Monate bei Gericht geltend zu machen. Anders als das Aufforderungsverfahren im Amtshaftungsrecht, das nach der ausdrücklichen Anordnung in § 8 AHG bloß fakultativ sei, müsse die Nichtanrechnung von Vordienstzeiten nach der Intention des Gesetzgebers zuerst gegenüber dem Dienstgeber geltend gemacht werden, bevor eine gerichtliche Durchsetzung möglich werde. Da die Klägerin eine schriftliche Geltendmachung gegenüber der Beklagten unterlassen habe, sei die Klage verfristet.
[5] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des § 26 Abs 6a VBG zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.
[7] 1. Nach § 26 Abs 5 VBG hat die Personalstelle die Dauer der anrechenbaren Vordienstzeiten festzustellen und dem Vertragsbediensteten nachweislich mitzuteilen. Nach § 26 Abs 6a VBG ist eine unrichtige Nichtanrechnung von Vordienstzeiten vom Vertragsbediensteten (Z 1) bis zum Ablauf von sechs Monaten nach dem Tag der Mitteilung über die Feststellung der anrechenbaren Vordienstzeiten beim Dienstgeber schriftlich geltend zu machen und (Z 2) bis zum Ablauf von sechs Monaten nach dem Tag der Geltendmachung gegenüber dem Dienstgeber gerichtlich geltend zu machen, widrigenfalls diese Vordienstzeiten nicht zu berücksichtigen sind. Die Berichtigung einer unrichtigen Anrechnung durch den Dienstgeber ist nach § 26 Abs 6a VBG nur innerhalb von sechs Monaten nach Mitteilung an den Vertragsbediensteten zulässig.
[8] 2. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Geltendmachung zusätzlicher Vordienstzeiten mit § 26 Abs 6a VBG an eine Frist binden wollte, um die Planbarkeit für den öffentlichen Dienstgeber zu erhöhen (AB 675 BlgNR 26. GP 11). Nach den Materialien hat der Vertragsbedienstete die Anrechnung beim Dienstgeber „schriftlich geltend zu machen bzw sodann binnen spätestens sechs Monaten gerichtlich geltend zu machen“. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts lässt sich daraus aber schon im Hinblick auf die Konjunktion „bzw“ nicht ableiten, dass eine Klage ohne vorherige außergerichtliche Geltendmachung unzulässig wäre.
[9] 3. Eine außergerichtliche Geltendmachung kann es dem Dienstgeber freilich ermöglichen, allfällige Fehler bei der Berechnung des Besoldungsdienstalters zu berichtigen und dadurch die mit einem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten zu vermeiden. Dennoch handelt es sich bei § 26 Abs 6a VBG um keine Schutzvorschrift zu Gunsten einer erneuten Berechnung durch den Dienstgeber. Ist dem Gesetz doch nicht zu entnehmen, dass der Vertragsbedienstete mit seiner Klage so lange zuwarten müsste, bis der Dienstgeber die Berechnung des Besoldungsdienstalters neuerlich geprüft hat. Dadurch unterscheidet sich § 26 Abs 6a VBG wesentlich vom ehemals obligatorischen Aufforderungsverfahren nach § 8 AHG idF BGBl 20/1949, wonach die klagsweise Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen nur möglich war, wenn der Rechtsträger die Ansprüche nicht binnen drei Monaten nach Einlangen der Aufforderung anerkannt hat.
[10] 4. Das obligatorische Aufforderungsverfahren im Amtshaftungsrecht wurde mit der WGN 1989 abgeschafft. Nach geltender Rechtslage hat das Unterbleiben einer Aufforderung nach § 8 AHG nur mehr Kostenfolgen, steht aber einer gerichtlichen Geltendmachung des Amtshaftungsanspruchs nicht entgegen (Ziehensack, AHG § 8 Rz 3; Mader/Vollmaier in Schwimann/Kodek 4 § 8 AHG Rz 2). Dass es sich bei § 8 AHG idgF nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes um ein fakultatives Aufforderungsverfahren handelt, rechtfertigt nicht den Umkehrschluss, dass die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs auf Anrechnung von Vordienstzeiten in § 26 Abs 6a VBG obligatorisch wäre. Die ähnliche Interessenlage legt vielmehr einen Analogieschluss nahe.
[11] 5. Im Übrigen ist allgemein anerkannt, dass die strengere Form die einfachere ersetzt, sodass ein Schriftformerfordernis auch durch die Zustellung einer gerichtlichen Klage erfüllt wird (Dullinger in Rummel/Lukas 4 § 886 ABGB Rz 11; Riedler in Schwimann/Kodek 5 § 886 ABGB Rz 13). Deshalb ersetzt beispielsweise die Zustellung einer Klage nach ständiger Rechtsprechung die für eine Darlehenskündigung vereinbarte Schriftform (RIS‑Justiz RS0017258). Auch eine Erhöhung des Mietzinses aufgrund einer Indexveränderung, für die § 16 Abs 9 MRG Schriftlichkeit vorsieht, kann durch die Zustellung einer Klage erfolgen (RS0017252).
[12] 6. Letztlich würde es keinen Sinn machen, wenn man von einem Vertragsbediensteten, der sich aufgrund der Nichtanrechnung von Vordienstzeiten zur Klagsführung entschlossen hat, etwa zeitgleich ein zusätzliches Schreiben an den Dienstgeber verlangen würde. Auch im Fall des § 26 Abs 6a VBG ersetzt die Zustellung der Klage deshalb die schriftliche Geltendmachung gegenüber dem Dienstgeber. Für die Einhaltung der in § 26 Abs 6a VBG vorgesehenen Fristen reicht es demnach aus, dass innerhalb von sechs Monaten nach dem Tag der Mitteilung über die Feststellung der anrechenbaren Vordienstzeiten eine Klage eingebracht wird, ohne dass eine zusätzliche außergerichtliche Geltendmachung beim Dienstgeber erforderlich wäre.
[13] 7. Da die Klägerin ihre Ansprüche innerhalb von sechs Monaten nach dem Tag der Mitteilung über die Feststellung der anrechenbaren Vordienstzeiten gerichtlich geltend gemacht hat, ist ihre Klage nicht verfristet. Mangels Feststellungen zu den von der Klägerin behaupteten Vordienstzeiten kann die Berechtigung des von der Klägerin erhobenen Feststellungsbegehrens nicht beurteilt werden, was zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht führt.
[14] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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