European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00033.23A.0321.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Das Rekursgericht qualifizierte die vorliegende Rechtssache als Verbrauchersache im Sinn des Art 15 Abs 1 lit c LGVÜ 2007, bejahte – entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts – die internationale und daran anknüpfend die in Art 16 LGVÜ 2007 mitgeregelte (vgl RS0127560) örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts und verwarf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit der Beklagten. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[2] Der dagegen gerichtete, in einen außerordentlichen Revisionsrekurs umzudeutende, mit einem ordentlichen Revisionsrekurs verbundene Antrag auf Abänderung des Zulassungsausspruchs über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses (vgl RS0123405) zeigt keine Rechtsfrage der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO auf.
[3] 1. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 8 Ob 71/21f (dieser folgend: 4 Ob 179/21h, 5 Ob 223/21m, 6 Ob 119/21z, 6 Ob 146/21w, 3 Ob 24/22h, 4 Ob 5/22x, zuletzt 6 Ob 238/22a), der ein ebenfalls das Geschäftsmodell der Beklagten betreffender Sachverhalt zugrunde lag, im Hinblick auf den Sitz der Beklagten in der Schweiz die internationale Zuständigkeit nach dem – auch hier anwendbaren – LGVÜ 2007 beurteilt. Er ist mit ausführlicher Begründung zum Schluss gekommen, dass es sich um eine Verbrauchersache im Sinn des Art 15 Abs 1 lit c LGVÜ 2007 handle, auch wenn der dortige Kläger als „Marketer“ andere Personen für die Beklagte angeworben habe.
[4] 2.1 Die Beurteilung des Rekursgerichts, es liege bei der gebotenen Gesamtbetrachtung trotz der vom Erstgericht im Zuständigkeitsstreit getroffenen Feststellung, der Kläger habe bei der Beklagten den Eindruck erwecken wollen, gewerblich als selbstständiger Vertriebsvermittler tätig zu werden und als „Marketer“ nach Übermittlung einer Gewerbeberechtigung zahlreiche Personen angeworben, eine Verbrauchersache vor, hält sich im Rahmen der oben genannten Rechtsprechung.
[5] 2.2 Wie der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt hat, bestimmt sich der Begriff des Verbrauchers nach seiner Stellung innerhalb des konkreten Vertrags in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach seiner subjektiven Stellung. Maßgeblich sind die für den Vertragspartner des Verbrauchers objektiv erkennbaren Umstände des Geschäfts und nicht dessen innerer Wille (8 Ob 71/21f Rz 20 mwN). Das – bei objektiver Betrachtung – aus dem Regelwerk ersichtliche Geschäftsmodell der Beklagten im Zusammenhang mit den Rabattgutscheinen lässt sich dahin zusammenfassen, dass der „Marketer“ durch den Erwerb der Rabattgutscheine an der regelmäßigen Ausschüttung von „Shopping Points“ teilnimmt, für die wiederum periodische Auszahlungen in Geld in Aussicht gestellt werden. Der Erwerb der Rabattgutscheine ist daher grundsätzlich als Investmentform angelegt und dient nicht deren Einsatz zu Marketingzwecken (8 Ob 71/21f Rz 29 ff). Eine kompetenzrechtliche Aufteilung des Rechtsverhältnisses in einen unter das allgemeine Zuständigkeitsrecht fallenden und einen unter den Verbrauchergerichtsstand zu subsumierenden Teil kommt nicht in Betracht, weil die Tätigkeit als „Marketer“ Voraussetzung für den Erwerb von Rabattgutscheinen ist (8 Ob 71/21f Rz 25). Dass der Kläger zahlreiche Personen für die Beklagte angeworben hat und auch subjektiv eine gewerbliche Tätigkeit als „Marketer“ ausüben und einen entsprechenden Eindruck vermitteln wollte, schadet daher nicht.
[6] Die Beklagte musste vielmehr – auch bei gegenteiliger subjektiver Vorstellung des Klägers– zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses davon ausgehen, dass die dem Kläger eingeräumte Berechtigung zum Tätigwerden als Vertriebsmittler für diesen bloß einen ganz untergeordneten Aspekt des mit ihr eingegangenen Rechtsverhältnisses darstellte (8 Ob 71/21f Rz 33). Ein schützenswertes Vertrauen der Beklagten auf Erklärungen, die sie ihren Vertragspartnern pro forma abverlangt, besteht nicht (8 Ob 71/21f Rz 33). Auch die Übermittlung einer – den abverlangten Erklärungen entsprechenden – Gewerbeberechtigung rechtfertigt ausgehend vom dargelegten objektiven Zweck des Regelwerks und des Geschäftsmodells der Beklagten nicht die Annahme einer gewerblichen Tätigkeit des Klägers als „Marketer“, die dazu führen würde, das Rechtsverhältnis insgesamt nicht als Verbrauchersache zu qualifizieren. Eine Aufspaltung kommt aber – wie bereits dargelegt – nicht in Betracht.
[7] 3. Dass der Kläger explizit (abgesehen von den Erklärungen im Regelwerk der Beklagten) darauf hingewiesen worden wäre, es handle sich – entgegen dem aus dem Regelwerk hervorleuchtenden Geschäftszweck – um einen (bloßen) Vertriebsvertrag und keine Investmentform, ist den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen. Die vom Revisionsrekurs relevierte Rechtsfrage, ob auch dann eine Verbrauchersache vorläge, stellt sich daher nicht.
[8] 4. Ob im Zusammenhang mit dem Verbraucherbegriff in Art 15 LGVÜ 2007 die Rechtsprechung, wonach bei „doppelrelevanten Tatsachen“ die Richtigkeit der Klagsangaben im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu unterstellen ist, angewendet werden kann, bedarf im konkreten Fall schon deshalb keiner Klärung, weil das Erstgericht ohnehin ein Beweisverfahren abgeführt und – von den Klagsbehauptungen teilweise abweichende – Feststellungen getroffen hat. Auch auf deren Grundlage hat aber das Rekursgericht das Vorliegen einer Verbrauchersache vertretbar bejaht. Dass auch bei „doppelrelvanten Tatsachen“ die Klagsangaben dann nicht maßgeblich sind, wenn diese durch das bereits durchgeführte Beweisverfahren und die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen eine Änderung erfahren haben, hat der Oberste Gerichtshof im Übrigen bereits klargestellt (8 Ob 71/21f Rz 14 mwN).
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