OGH 3Ob218/22p

OGH3Ob218/22p15.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*, vertreten durch Dr. Bruno Pedevilla, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei Gemeinde *, vertreten durch Haslwanter Rechtsanwälte GmbH in Telfs, wegen 57.500,79 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 13. Oktober 2022, GZ 2 R 101/22b‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 27. Mai 2022, GZ 6 Cg 119/21t‑9a, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00218.22P.0315.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr vereinbarte mit der beklagten Gemeinde, dass die Feuerwehr in dem der Beklagten gehörenden Veranstaltungszentrum einen „Stefani-Ball“ veranstalte. In der in die Vereinbarung aufgenommenen Hausordnung der Beklagten war dazu geregelt: „Ansprechpartner für die Organisation von Veranstaltungen ist nur eine namhaft gemachte Person eines Vereins. Der Veranstalter hat weiters für den geordneten Ablauf der Veranstaltung Sorge zu tragen und es müssen der Gemeinde zwei verantwortliche Personen dafür genannt werden.

[2] Der Kläger besuchte den Stefani-Ball und konsumierte dort alkoholische Getränke. Er stürzte dann über eine Treppe und verletzte sich schwer.

[3] Der Kläger begehrte von der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes die Zahlung von 57.500,79 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung für alle künftigen Schäden aus diesem Unfall. Ursache für seinen Sturz sei der mangelhafte Zustand der Treppe gewesen: Der auf den Trittflächen der Stiege aufgebrachte Kunststoffbelag sei einerseits nicht rutschfest, andererseits bereits so stark abgetreten gewesen, dass das an der Stirnfläche der Stufen angebrachte Edelstahlblech einen Überstand von mehreren Millimetern gehabt habe. Aus diesem Grund sei der Kläger gestolpert; Alkoholkonsum sei nicht ursächlich gewesen. Der Beklagten, die dort wiederholt selbst Veranstaltungen durchgeführt oder anderen gestattet habe, sei der mangelhafte Zustand der Stiege bekannt gewesen. Sie habe kurz nach dem Unfall den schadhaften Stufenbelag gegen Fliesen austauschen lassen. Der Freiwilligen Feuerwehr als Veranstalterin seien keine Verkehrssicherungspflichten übertragen worden.

[4] Die Beklagte wendete mangelnde Passivlegitimation ein, weil sie zum Kläger in keinem Vertragsverhältnis gestanden sei. Verkehrssicherungspflichten habe ausschließlich die Freiwillige Feuerwehr wahrnehmen müssen. Die Stiege sei auch nicht mangelhaft und der Kläger stark alkoholisiert sowie unachtsam gewesen.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der wesentlichen Begründung ab, dass zwischen den Streitteilen kein Vertragsverhältnis bestanden und die Beklagte deshalb keine Verkehrssicherungspflichten getroffen hätten. Die Freiwillige Feuerwehr sei zum Unfallszeitpunkt Inhaberin der Räumlichkeiten und der Stiege gewesen.

[6] Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Die Beklagte habe zwar nicht selbst ihr Veranstaltungszentrum für die Ballbesucher geöffnet, aber einen – auf die Ballbesucher eingeschränkten – Verkehr eröffnet, indem sie das Haus der Freiwilligen Feuerwehr für die Veranstaltung überlassen habe. Die Beklagte sei daher verkehrssicherungspflichtig gewesen und hätte Ballbesucher im Rahmen des Zumutbaren schützen müssen.

[7] Da sich der Oberste Gerichtshof noch nicht mit der Frage befasst habe, ob derjenige, der seine Liegenschaft einem Dritten zu einem bestimmten Zweck überlasse, damit einen Verkehr eröffne und ihn gegenüber den Besuchern Verkehrssicherungspflichten träfen, sei der Rekurs zuzulassen.

[8] Gegen diese Entscheidung wendet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen.

[9] Der Kläger beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Zu Fragen der Verkehrssicherungspflichten und deren mögliche Übertragung liegt bereits eine reichhaltige Judikatur vor, die aus Anlass des vorliegenden Falls keiner Verbreiterung bedarf. Die Zurückweisung wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a ZPO iVm § 510 Abs 3 ZPO).

[11] 1.1 Die auch von der Beklagten nicht grundsätzlich in Frage gestellten Verkehrssicherungspflichten bestehen – unabhängig von Sonderhaftungsnormen – dann, wenn jemand eine Gefahrenquelle schafft. Auch wer eine Gefahrenquelle bestehen lässt, obwohl er sie erkennen kann oder bei gehöriger Sorgfalt erkennen könnte, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (Ingerenzprinzip; RS0022778, RS0023719).

[12] 1.2 Verkehrssicherungspflichten bestehen nicht nur, wenn (bewusst) ein Verkehr eröffnet wird, sondern schon dann, wenn der Verkehr bloß geduldet wird (RS0023355 [T37]). Jeden, der eine seiner Verfügung unterliegende Anlage dem Zutritt eines Personenkreises eröffnet, trifft eine Verkehrssicherungspflicht; er muss die Anlage für die befugten Benützer in einem verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand erhalten und vor erkennbaren Gefahren schützen (RS0023355 [T39]).

[13] 1.3 Die Verkehrssicherungspflichten treffen denjenigen, der die entsprechenden Vorkehrungen treffen kann. Entscheidend ist das Kriterium der Gefahrenbeherrschung. Es muss im Einzelfall geprüft werden, wer die Gefahr hätte abwenden können (6 Ob 106/07t). Diesen Grundsätzen entspricht die Ansicht des Berufungsgerichts, das die Verantwortlichkeit für einen Baumangel (schadhafte Stiege) im vorliegenden Fall der Beklagten zuordnet.

[14] 2.1 Die Beurteilung, ob die Durchführung der Verkehrssicherungsmaßnahmen einem anderen übertragen wurde (vgl dazu RS0128699), ist von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass dabei eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO im Regelfall nicht zu beantworten ist (RS0029874 [T10]).

[15] 2.2 Die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach mit der wiedergegebenen Bestimmung der Hausordnung keine vertragliche Übertragung sämtlicher Verkehrssicherungsmaßnahmen betreffend das Gebäude auf die Freiwillige Feuerwehr erfolgte, ist nicht korrekturbedürftig. Auch die im Rekurs der Beklagten erwähnten Bestimmungen der Hausordnung betreffen nur den „geordneten Ablauf“ der Veranstaltung und als „Sicherungsmaßnahmen“ etwa den Ordnungsdienst und das Freihalten der Fluchtwege. Das Verständnis der Beklagten, sie habe damit für die Dauer der Veranstaltung sämtliche Verkehrssicherungspflichten „vollständig“ auf die Freiwillige Feuerwehr als Veranstalterin übertragen, wovon auch allfällige Gebäudeschäden wie die angeblich schadhafte Stiege umfasst sein sollten, steht mit Wortlaut und Zweck der getroffenen Vereinbarung sowie den Grundsätzen der Vertragsauslegung nicht in Einklang.

[16] 3. Die Beklagte zeigt somit insgesamt die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht auf. Die Revision ist daher nicht zulässig und zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf dies nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[17] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Bei der mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage ausgesprochenen Zurückweisung eines nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO erhobenen Rekurses findet kein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO statt (RS0123222). Der Kläger hat auf die fehlende Zulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen, weshalb seine Rekursbeantwortung nicht zu honorieren ist (vgl RS0123222 [T11]).

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