OGH 6Ob8/23d

OGH6Ob8/23d25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*, vertreten durch Mag. Jasmin Oberlohr, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte Partei D*, vertreten durch Mag. Annamaria Lechthaler, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen 9.564,50 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. Oktober 2022, GZ 4 R 96/22d‑44, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 2. März 2022, ON 38, berichtigt mit dessen Beschluss vom 27. März 2022, ON 40, jeweils AZ 5 C 330/19b, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00008.23D.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrt Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung für die anlässlich ihrer Teilnahme an einem vom Beklagten als Trainer geleiteten Selbstverteidigungskurs erlittene Verletzung.

[2] Der Beklagte zeigte mit seiner Tochter eine Übung vor, bei der die Teilnehmerinnen ein Gefühl dafür bekommen sollten, wie es ist, wenn man von hinten umklammert wird und es einem nicht gelingt, sich durch die erste übliche Reaktion, nämlich den Versuch, die Hände wieder freizubekommen, zu befreien. Die Klägerin versuchte als Erste der Gruppe diese Übung. Es gelang ihr nicht, sich durch Bewegungen mit dem Oberkörper und der Arme bzw Hände zu befreien. Sie verhakte dann ihren rechten Fuß hinter dem rechten Fuß des Beklagten und zog nach links, wodurch beide aus dem Gleichgewicht gerieten und der Beklagte auf das rechte Knie der Klägerin stürzte. Für den Beklagten war es nicht mehr möglich, durch eine Gegenreaktion (etwa auch nicht durch ein Abbruchsignal wie „Stopp“) den Sturz zu verhindern.

[3] Es steht nicht fest, ob der Beklagte die Teilnehmerinnen (insbesondere die Klägerin) vor oder während des Vorführens und der Durchführung der Übung ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass ein Befreiungsversuch lediglich durch Bewegen der Arme oder des Oberkörpers, nicht aber durch andere Abwehrtechniken erfolgen solle.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt.

[5] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in eine Klagsabweisung ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision der Klägerin nicht zulässig.

[7] 1. Das Berufungsgericht hat ohnehin zugrundegelegt, dass den Beklagten als Trainer Instruktions‑, Hilfeleistungs‑ und Aufsichtspflichten trafen. Es hat aber gleichzeitig ohne Fehlbeurteilung erkannt, dass die Bejahung von Sorgfaltspflichten für sich noch nicht zur Haftung führen kann, sondern erst deren (allenfalls auch durch Unterlassung erfolgende) Verletzung. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Geschädigte nicht nur das Bestehen der Sorgfaltspflicht, sondern auch deren Verletzung sowie die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden behaupten und beweisen. Haftungsansatz ist stets die (jedenfalls im Regelfall) vom Geschädigten zu beweisende Pflichtverletzung (10 Ob 53/15i mwN; 9 Ob 22/21g).

[8] Im vorliegenden Fall gelang dieser Beweis der Klägerin nicht, konnte doch nicht festgestellt werden, dass ihr keine entsprechende Belehrung vor der Übung erteilt worden war; es wurde dazu vielmehr eine Negativfeststellung getroffen.

[9] 2.1. Das Berufungsgericht beschäftigte sich in seiner Entscheidung aber auch mit der Frage des Vorliegens eines – ein rechtswidriges Verhalten indizierenden – objektiv rechtswidrigen Zustands im Sinne der zu 10 Ob 53/15i ergangenen Rechtsprechung. Es verneinte, dass ein solcher bestanden hätte.

[10] In dieser in der Zulassungsbegründung genannten Entscheidung war es als objektiv rechtswidriger Zustand bzw Mangel angesehen worden, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem sich viele Kunden im Geschäft befanden, am Boden in einem stark frequentierten – zur Kassa führenden – Gang in einem Supermarkt eine (durch Austritt von Flüssigkeit aus einer Getränkedose entstandene) Lacke vorhanden gewesen war. Das Bestehen einer derartigen Gefahrenquelle in einem häufig frequentierten Bereich wurde als ausreichendes Indiz dafür angesehen, dass die geforderte Kontroll‑ und Beseitigungspflicht nicht eingehalten worden war, und eine Beweislastumkehr daran geknüpft. Damit hätte dann (anders als nach der Grundregel) der als Schädiger Belangte die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt (positiv) nachzuweisen, wenn er nicht zur Haftung herangezogen werden will. Eine Negativfeststellung zur Sorgfaltspflichtverletzung bzw zur Einhaltung der gebotenen Sorgfalt schlüge in diesem Fall zu seinem Nachteil aus.

[11] 2.2. Mit der Entscheidung 10 Ob 53/15i oder der ihr nachfolgenden Rechtsprechung (die Verkehrssicherungspflichten betraf: s etwa 5 Ob 89/17z [Nässe im Supermarkt]; 6 Ob 221/18w [Scherben auf dem Boden im Gasthaus]; 10 Ob 32/20h [Lacke im Supermarkt]), der vom Berufungsgericht angezogenen „fraglichen Nutzbarmachung des Begriffes eines – ein rechtswidriges Verhalten indizierenden – objektiv rechtswidrigen Zustands außerhalb der klassischen Verkehrssicherungsfälle“ oder der Frage des „Ausmaßes der Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB bei reinen Sorgfaltspflichtverletzungen“ setzt sich die Klägerin (verständlicherweise) in der Revision nicht auseinander. Eine Befassung damit könnte nämlich höchstens (zu ihren Ungunsten) die Folge der Beweislastumkehr (bei bloßer „Indizwirkung“ durch einen objektiv rechtswidrigen Zustand) in Frage stellen.

[12] 2.3. Ungeachtet der Frage, ob und inwiefern der vorliegende Fall überhaupt Anlass für die Anwendung dieser zu Stürzen auf „objektiv verkehrsunsicheren“ Böden entwickelten Rechtsprechung sein könnte, begegnet die Verneinung des Bestehens eines solchen „objektiv rechtswidrigen Zustands“ in Ansehung des „Umklammerns“ durch das Berufungsgericht (das vom Beklagten zuvor vorgeführte und von der Klägerin dann freiwillig hingenommene Umklammern sei nicht als rechtswidriges Verhalten oder auch nur als ein rechtswidriges Verhalten indizierender, objektiv rechtswidriger Zustand anzusehen) keinen Bedenken; dies umso weniger, als sich die Klägerin damit ebenfalls nicht befasst. Sie behauptet unter teilweiser Wiedergabe von Feststellungen, unter Berufung auf das Rücksichtnahmegebot und den „höheren Sorgfaltsmaßstab eines Trainers“ in unverständlicher Weise, es zeige sich „unter diesen Voraussetzungen“, dass der Beklagte den Sorgfaltspflichten nicht ausreichend nachgekommen sei und „dadurch ein – ein rechtswidriges Verhalten indizierender – objektiv rechtswidriger Zustand herbeigeführt“ worden sei, ist aber nicht in der Lage, den angeblich vorliegenden „objektiv rechtswidrigen Zustand“ (der das Unterbleiben der Instruktion indizieren können soll) überhaupt zu umschreiben.

[13] 3. Wieso aus der Entgeltlichkeit des Kurses und „im Rahmen einer Interessensabwägung in Anbetracht der besonderen Schutzwürdigkeit der Klägerin“ auf eine Rechtswidrigkeit der Handlung des Beklagten geschlossen werden könnte, bleibt unerfindlich. Der Vorhalt, ein sorgfältiger Trainer hätte früher reagieren müssen, ignoriert die getroffenen Feststellungen. Einen sekundären Verfahrensmangel zum Fehlen einer Feststellung, wonach der Beklagte „seinen Überwachungspflichten“ nicht nachgekommen sei, kann sie nicht aufzeigen, wenn sie diese Pflichten weder konkretisiert noch deren Relevanz für den – nach dem festgestellten Sachverhalt nach Einhaken und Links-Ziehen mit dem Fuß – nicht mehr vermeidbaren Sturz (und die erlittene Verletzung) aufzeigt.

[14] 4. Die Revision, die insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage anspricht, ist demnach zurückzuweisen.

[15] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Für die Revisionsbeantwortung steht kein Kostenersatz zu, weil der Beklagte darin die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht geltend gemacht hat (RS0035979 [T12, T25]).

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