OGH 3Ob185/22k

OGH3Ob185/22k15.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Kodek und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Dr. A*, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth, Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, gegen die verpflichtete Partei I* GmbH, *, vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen zwangsweiser Räumung, über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. August 2022, GZ 40 R 104/22y‑20, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 8. April 2022, GZ 49 E 11/22w‑3, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00185.22K.1215.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Exekutionsrecht, Zivilverfahrensrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurswird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der erstgerichtliche Beschluss wiederhergestellt wird.

Die mit 2.025,84 EUR (hierin enthalten 287,64 EUR USt und 300 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses werden der betreibenden Partei als weitere Exekutionskosten bestimmt.

 

Begründung:

[1] Mit rechtskräftigem und vollstreckbarem Urteil des Handelsgerichts Wien vom 1. April 2021 wurde zwischen dem Betreibenden als Kläger und der beklagten Partei, einer Gesellschaft nach englischem Recht mit Sitz in Großbritannien, festgestellt, dass der Treuhandvertrag zwischen den Streitteilen bezüglich einer (in Wien gelegenen) Liegenschaft samt darauf errichtetem Zinshaus aufgelöst ist. Die Beklagte wurde verpflichtet, diese Liegenschaft dem Betreibenden geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben und in die Einverleibung des Eigentumsrechts des Betreibenden an der Liegenschaft einzuwilligen.

[2] Diesem Urteil lag insbesondere der Sachverhalt zugrunde, dass der Betreibende die Treuhandschaft mit der Beklagten im Herbst oder Winter 2015 beendete und diese zur Rückübertragung der Liegenschaft aufforderte. Es kam allerdings zu keiner entsprechenden Vereinbarung. Vielmehr verkaufte die Beklagte die Liegenschaft mit Kaufvertrag vom 24. Jänner 2019 – knapp zweieinhalb Jahre nach Einbringung der dem Titel zugrunde liegenden Klage – an die nunmehrige Verpflichtete, eine österreichische GmbH, deren Eigentum in der Folge im Grundbuch einverleibt wurde. Die Verpflichtete trat dem Titelverfahren als Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten bei.

[3] Der Betreibende beantragte unter Vorlage des genannten Titels, eines aktuellen Grundbuchauszugs und des notariellen Kaufvertrags zwischen der Beklagten und der Verpflichteten unter anderem die Bewilligung der zwangsweisen Räumung.

[4] Das Erstgericht bewilligte die Exekution antragsgemäß.

[5] Das Rekursgericht wies infolge Rekurses der Verpflichteten den Antrag auf Bewilligung der Räumungsexekution ab. Die Bewilligung einer Exekution gegen einen anderen als dendurch den Titel Verpflichteten setze gemäß § 9 EO voraus, dass die titulierte Verpflichtung auf jene Person übergegangen sei, gegen die die Exekution beantragt werde. Aus dem vom Betreibenden vorgelegten Kaufvertrag ergebe sich, dass im Grundbuch kein Veräußerungsverbot einverleibt gewesen sei und dass keine privative Schuldübernahme durch die Käuferin erfolgt sei. Der im Kaufvertrag enthaltene Hinweis auf das anhängige (Titel‑)Verfahren betreffe nur die Frage der Gut‑ oder Schlechtgläubigkeit der Käuferin, begründe aber keine Übernahme einer allfälligen Rückübertragungspflicht der Verkäuferin.

[6] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs des Betreibenden ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist auch berechtigt.

[8] 1. Gemäß § 9 EO kann gegen einen anderen als den im Exekutionstitel Verpflichteten die Exekution nur soweit stattfinden, als durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden bewiesen wird, dass die im Titel festgestellte Verpflichtung auf jene Person übergegangen ist, gegen die die Exekution beantragt wird. Zweck dieser Regelung ist es, Änderungen des Sachverhalts, die nach Schaffung des Titels eingetreten sind und eine Verschiebung der Rechtszuständigkeit mit sich gebracht haben, für die Exekutionsführung berücksichtigen zu können (vgl 3 Ob 14/11x mwN). Grundsätzlich muss für die Anwendbarkeit des § 9 EO daher der Rechtsübergang nach Entstehung des Titels erfolgt sein (Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 9 EO Rz 8 mwN).

[9] 2.1. Gemäß § 234 ZPO hat die Veräußerung einer in Streit verfangenen Sache oder Forderung auf den Prozess keinen Einfluss; der Erwerber ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners als Hauptpartei in den Prozess einzutreten. Diese Bestimmung verhindert, dass durch eine Rechtsnachfolge nach Streitanhängigkeit der Verlust der Sachlegitimation einer Partei zur Abweisung einer sonst begründeten Klage führt und ein zweiter Prozess mit dem Rechtsnachfolger geführt werden muss, wobei sich diese Kette theoretisch ad infinitum fortsetzen könnte (Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 234 ZPO Rz 1 mwN; vgl auch RS0039314).

[10] 2.2. § 234 ZPO stellt nach der herrschenden Irrelevanztheorie insofern eine Ausnahme gegenüber § 406 ZPO dar, als für die Frage der Aktiv‑ bzw Passivlegitimation der Zeitpunkt der Streitanhängigkeit und nicht des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz entscheidend ist (vgl RS0109183 [T1]). Der Geltendmachung eines Rechtsübergangs nach § 9 EO und damit der Exekutionsführung gegen den Rechtsnachfolger des im Titel Genannten steht es daher nicht entgegen, dass der Rechtsübergang bereits vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz stattfand (Jakusch in Angst/Oberhammer 3 § 9 EO Rz 8 mwN).

[11] 2.3. Wird – wie im vorliegenden Fall – die in Streit verfangene Sache, hier also die Liegenschaft, deren Rückübertragung und geräumte Übergabe der Kläger begehrte, vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung veräußert, ist eine privative Schuldübernahme durch die Käuferin (hier die Verpflichtete) entgegen der Ansicht des Rekursgerichts nicht zu verlangen. Vielmehr geht der (erst in der Folge) titulierte Anspruch bzw wie hier die Verpflichtung ex lege auf den Erwerber (Einzelrechtsnachfolger) über (vgl Jakusch in Angst/Oberhammer 3 § 9 EO Rz 5 mwN; RS0000291 [T2]).

[12] 3. Der Betreibende hat durch mit dem Exekutionsantrag vorgelegte öffentliche Urkunden, nämlich den Titel und den Grundbuchauszug, den Erwerb der streitverfangenen Liegenschaft durch die Verpflichtete während des anhängigen Titelverfahrens nachgewiesen.

[13] 4. Entgegen der Ansicht der Verpflichteten liegt hier kein der Doppelveräußerung einer Liegenschaft (vgl dazu 6 Ob 2238/96b mwN) vergleichbarer Sachverhalt vor. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass sich die Rechtswirkungen des vom Kläger gegen die Beklagte erwirkten Titels nicht auf die Verpflichtete erstreckten (zum Räumungsanspruch des Eigentümers vgl 2 Ob 525/50 SZ 23/290).

[14] 5. Nach der Rechtsprechung wird zwar der Einzelrechtsnachfolger des Titelschuldners, der im Vertrauen auf den Grundbuchstand gutgläubig Eigentum erworben hat, von der Rechtskraftwirkung eines gegen den Vormann ergangenen Urteils nicht erfasst, sodass der gegen den Vormann (Veräußerer) erwirkte Titel gegen ihn nicht vollstreckt werden kann (vgl RS0000304 [T2]; RS0000306 [T7]). Ein gutgläubiger Eigentumserwerb der Verpflichteten würde voraussetzen, dass sie die Liegenschaft im Vertrauen auf den Grundbuchstand gekauft hätte. Allerdings ist ein gutgläubiger Eigentumserwerb nur mittels Impugnationsklage geltend zu machen, der betreibende Gläubiger hat die Schlechtgläubigkeit des Erwerbers also nicht bereits im Exekutionsantrag zu beweisen (vgl Binder in Deixler‑Hübner, EO § 9 Rz 55a; vgl auch RS0000343). Abgesehen davon ergibt sich bereits aus dem vom Betreibenden mit seinem Exekutionsantrag vorgelegten notariellen Kaufvertrag – also einer öffentlich beglaubigten Urkunde iSd § 9 EO –, dass die Verpflichtete bei Erwerb der Liegenschaft in Kenntnis vom anhängigen Titelverfahren war. Diese Kenntnis schließt einen gutgläubigen Eigentumserwerb aber in gleicher Weise aus wie eine Klageanmerkung (vgl dazu Jakusch in Angst/Oberhammer 3 § 9 EO Rz 5); in beiden Fällen besteht daher für den Erwerber die Obliegenheit, geeignete Nachforschungen über den konkreten Verfahrensgegenstand anzustellen.

[15] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 EO.

[16] Ein Zuspruch auch der Kosten der Rekursbeantwortung des Betreibenden kommt nicht in Betracht. Von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen ist das Exekutionsverfahren nämlich nach wie vor einseitig. Die vom Betreibenden erstattete Rekursbeantwortung ist zwar mangels gesetzlicher Anordnung nicht zurückzuweisen RS0118686 [T11]), sie diente allerdings nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und ist daher nicht zu honorieren (RS0118686 [T12]).

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