OGH 6Ob44/22x

OGH6Ob44/22x9.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch die Kosesnik‑Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagte Partei A*, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2021, GZ 3 R 88/21i‑18, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 2. August 2021, GZ 57 Cg 36/20z‑12, berichtigt mit Beschluss vom 23. August 2021, GZ 57 Cg 36/20z‑14, abgeändert wurde,zu Recht erkannt und beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00044.22X.1209.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

 

Spruch:

 

1. Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das (berichtigte) Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

2. Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.086,80 EUR (darin enthalten 926,80 EUR USt und 1.526 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist ein klageberechtigter Verband nach § 29 KSchG. Die Beklagte betreibt unter der Bezeichnung „*“ fünf Fitnessstudios in Wien.

[2] Der Kläger begehrt von der Beklagten, es im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern drei Klauseln zu verwenden oder sich darauf zu berufen, sowie die Veröffentlichung des klagsstattgebenden Urteils in einer bundesweit erscheinenden Samstagsausgabe der „Kronen‑Zeitung“, in eventu in deren regionaler Samstagsausgabe für das Bundesland Wien.

[3] Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung.

[4] Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren und dem Veröffentlichungsbegehren hinsichtlich einer regionalen Samstagsausgabe der „Kronen‑Zeitung“ für das Bundesland Wien statt und wies das Veröffentlichungsbegehren hinsichtlich einer bundesweit erscheinenden Ausgabe ab.

[5] Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, dass es das Unterlassungsbegehren betreffend einen Satz einer Klausel und das sich darauf beziehende Veröffentlichungsbegehren im Umfang des Erstgerichts bestätigte, das übrige Klagebegehren hingegen abwies. Es ließ die Revision wegen der Bedeutung der Klauseln, die vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden seien, für viele Kunden und somit Verbraucher zu.

[6] Beide Parteien erhoben Revision. Die Klägerin strebt die Wiederherstellung des Ersturteils an, die Beklagte die gänzliche Klagsabweisung.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt, die Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

A. Zur Revision des Klägers

1. Klausel 1.

„Bei meinem ersten Studiobesuch wird eine einmalige Aktivierungsgebühr in der Höhe von EUR 19,90 fällig.

[8] Das Erstgericht meinte, diese Klausel verstoße gegen § 879 Abs 3 ABGB, § 6 Abs 3, § 5a Abs 1 Z 3, § 6c KSchG und § 4 Abs 1 Z 4 und 5 FAGG.

[9] Das Berufungsgericht verneinte diese Gesetzesverstöße.

[10] Die Revision des Klägers vertritt die Ansicht des Erstgerichts.

1.1. Der Oberste Gerichtshof hatte jüngst folgende Klausel zu beurteilen (4 Ob 59/22p; 6 Ob 62/22v):

„Zu Beginn der Mitgliedschaft wird eine einmalige Pauschale von 19,90 € für die Verwaltung erhoben. Das Eintrittsmedium (Karte oder Chipband) bleibt im Besitz des Mitglieds und wird ebenfalls mit einer Gebühr von 19,90 € berechnet. Halbjährlich wird eine Servicepauschale in Höhe von 19,90 € erhoben. Sämtliche Beträge enthalten die gesetzliche Mehrwertsteuer.“

[11] Der Oberste Gerichtshof beurteilte zunächst jeden einzelnen Satz dieser Klausel als jeweils einen eigenständigen Regelungsbereich enthaltend und einer isolierten Wahrnehmung zugänglich. Die gesonderte Beurteilung der voneinander abzugrenzenden Klauseln sei daher zulässig und geboten.

[12] 1.2. Der erste Satz dieser Klausel ist mit der hier zu prüfenden sinngleich, geht es in beiden Fällen doch um die einmalige Verpflichtung zur Zahlung desselben Betrags bei Beginn der Mitgliedschaft bzw der Inanspruchnahme der Leistungen der Beklagten („Studiobesuch“) für nicht näher bestimmbare (angebliche) Leistungen der Beklagten („Verwaltung“, „Aktivierung“).

[13] 1.3. Der Oberste Gerichtshof hielt die Klausel vor allem unter Hinweis auf die jüngere Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (C‑224/19 , C‑259/19 , Caixabank SA ua: dort „Bereitstellungsgebühr“ für Darlehen) für gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB (4 Ob 59/22p; 6 Ob 62/22v [jeweils ErwGr 2.5.2.]). Auf die in diesen Entscheidungen dargelegten Gründe, die auch für die vorliegende Klausel gelten, wird verwiesen.

2. Klausel 2.

„Eine Kündigung ist erstmals nach 12 Monaten möglich, die Kündigung muss spätestens ein Monat davor erfolgen (Kündigungsfrist). Anschließend kann ich den Vertrag alle 6 Monate kündigen, ebenfalls unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist.“

[14] Das Erstgericht bejahte einen Verstoß der Klausel gegen § 879 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 1 Z 1 KSchG.

[15] Das Berufungsgericht hielt den ersten Satz der Klausel für gesetzmäßig. Der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 1 Ob 96/17z die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass bei einem Fitnessstudiovertrag eine einjährige Mindestvertragsdauer auch im Hinblick auf § 6 Abs 1 Z 1 KSchG zulässig sei, nicht beanstandet. Der zweite Satz hingegen verstoße gegen § 6 Abs 1 Z 1 KSchG, weshalb insoweit das Ersturteil samt Veröffentlichungsausspruch bestätigt wurde.

[16] Die Revision des Klägers vertritt die Ansicht des Erstgerichts.

2.1. Der Oberste Gerichtshof hatte jüngst folgende Klausel zu beurteilen (4 Ob 59/22p; 6 Ob 62/22v):

„6.1 Kündigung des Vertrages

Die Mitgliedschaftsvereinbarung kann sowohl vom Mitglied wie auch von dem Anbieter jeweils unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zu jedem Monatsletzten schriftlich gekündigt werden. Für die ersten zwölf Monate ab Beginn des Vertragsverhältnisses verzichtet das Mitglied auf die Abgabe einer Kündigungserklärung (Mindestvertragsdauer). […]

[17] Der Oberste Gerichtshof hielt die Klausel für gegen § 6 Abs 1 Z 1 KSchG bzw § 879 Abs 3 ABGB verstoßend und überdies für intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG. Von dem zu 5 Ob 205/13b entschiedenen Fall unterscheide sich der Sachverhalt dadurch, dass dort der Unternehmer eine entsprechende Personalvorsorge zu treffen gehabt habe, um die vertragsgemäßen personenbezogenen Leistungen erbringen zu können (4 Ob 59/22p; 6 Ob 62/22v [jeweils ErwGr 2.1.1.–2.1.3.]).

[18] 2.2. Auch im vorliegenden Fall werden nach den Feststellungen (zusammengefasst) die Geräte selbstständig von den Kunden benützt, wobei die Floor‑Trainer, die nur bei Fragen Hilfe leisten, lediglich die ordnungsgemäße Benützung der Geräte überwachen. Die Beklagte bietet daher – anders als in 5 Ob 205/13b – keine Leistungen an, die eine Beaufsichtigung eines Trainers notwendig machen oder eine solche überhaupt vorsehen.

2.3. Ob die Erwägungen des Obersten Gerichtshofs in den unter 2.1. zitierten Entscheidungen angesichts des dort anderen Klauselwortlauts hier uneingeschränkt anwendbar sind, kann jedoch aus den nachstehenden Erwägungen dahingestellt bleiben:

[19] 2.3.1. Im Verbandsverfahren nach § 28 KSchG kann sich die Rechtsmittelentscheidung auf rechtliche Argumente zur Unzulässigkeit einzelner Klauseln stützen, die im erstinstanzlichen Verfahren überhaupt nicht vorgetragen oder zwar vorgetragen wurden, denen das Erstgericht aber nicht gefolgt ist (6 Ob 120/15p [ErwGr 2] = RS0127694 [T4]).

[20] 2.3.2. Im Rahmen der Verbandsklage hat die Auslegung von Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen und danach ist zu prüfen, ob ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten vorliegt (RS0016590). Anders als bei Vertragsauslegung im Einzelfall ist im Verbandsverfahren keine geltungserhaltende Reduktion möglich (RS0016590 [T15]).

2.3.3. Die hier zu prüfende Klausel erlaubt zwei verschiedene Auslegungen:

[21] Sie kann so verstanden werden, dass der Kunde spätestens am Ende des elften Monats seine Kündigung zum Ablauf des zwölften Monats aussprechen kann.

[22] Bei gebotener kundenfeindlichster Auslegung ist die Klausel hingegen so zu verstehen, dass der Kunde im ersten Jahr wirksam gar keine Kündigungserklärung aussprechen kann. Denn der Begriff „Kündigung“ bedeutet im allgemeinen wie im juristischen Sprachgebrauch die auf die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses zielende Willenserklärung (vgl nur RS0028800; RS0042555 [T15]; RS0014709 [T13]), somit die Kündigungserklärung. Wenn also der erste Halbsatz der Klausel zu lesen ist als „Eine Kündungserklärung ist erstmals nach 12 Monaten möglich, …“, so kann eine Kündigungserklärung erst nach Ablauf des ersten Jahres und somit erstmals zum Ablauf der im zweiten Satz der Klausel normierten Sechsmonatsfrist abgegeben werden. Damit erhöht sich die Mindestvertragsdauer aber auf 18 Monate.

[23] 2.3.4. Aufgrund der aufgezeigten verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten erweist sich die Klausel als unklar und somit intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG, sodass sie schon deshalb unwirksam ist.

[24] Ein Eingehen darauf, ob die Klausel auch gegen § 6 Abs 1 Z 1 KSchG bzw § 879 Abs 3 ABGB verstößt – wie das Erstgericht und die klagende Partei meinen –, erübrigt sich demnach, wird aber bei der bei kundenfeindlichster Auslegung anzunehmenden Mindestbindungsfrist von 18 Monaten im Licht der zur Klausel in den zitierten Akten ergangenen Rechtsprechung (vgl 2.1.) nicht zu verneinen sein.

3. Klausel 3.

„Ich erkläre hiermit, dass mir derzeit keine Umstände körperlicher oder gesundheitlicher Art bekannt sind, die einem Training (bzw. Benutzung der Solarien) entgegenstehen.“

[25] Das Erstgericht nahm einen Verstoß der Klausel gegen § 6 Abs 1 Z 11 KSchG an.

[26] Das Berufungsgericht hielt die Klausel für gesetzmäßig, weil hier die Beweislast für den bestätigten Umstand ohnehin den Verbraucher treffe. Der Nachweis der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung obliege dem Geschädigten. Wolle ein Verbraucher Schadenersatzansprüche mit der Behauptung geltend machen, die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, ihn aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung von der Inanspruchnahme ihrer Angebote abzuhalten oder ihn zumindest auf die damit verbundenen Risiken hinzuweisen, müsse er nachweisen, dass der Beklagten dieser Umstand bekannt oder zumindest erkennbar gewesen sei.Auch wichtige Gründe für eine vorzeitige Vertragsaufhebung müsse derjenige beweisen, der die Auflösung anstrebe.

[27] Die Revision des Klägers vertritt die Ansicht des Erstgerichts.

[28] 3.1. § 6 Abs 1 Z 11 KSchG sieht vor, dass Vertragsbestimmungen iSd § 879 ABGB für den Verbraucher jedenfalls nicht verbindlich sind, nach denen dem Verbraucher eine Beweislast auferlegt wird, die ihn von Gesetzes wegen nicht trifft.

[29] 3.2. Eine sogenannte Tatsachenbestätigung sieht eine widerlegbare Erklärung des Verbrauchers über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Tatsache vor. Erschwert eine solche Tatsachenbestätigung, wenn sie in einem Vertragsformular zum Abschluss eines Schuldverhältnisses enthalten ist, die Rechtsdurchsetzung des Verbrauchers, indem sie ihn mit einem Beweis belastet, den er sonst nicht erbringen müsste, ist die Klausel nach § 6 Abs 1 Z 11 KSchG nichtig (RS0121955). § 6 Abs 1 Z 11 KSchG ist analog anzuwenden, wenn zwar keine formelle Beweislastvereinbarung getroffen wird, der Konsument aber eine Wissenserklärung abgibt, die zumindest im Ergebnis den Wirkungen einer entsprechenden Vereinbarung nahekommen kann. Immer aber ist zu fordern, dass durch eine in AGB enthaltene Tatsachenbestätigung eine Erschwerung der Beweissituation für den Konsumenten denkbar ist (RS0121955 [T6]). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass solche Klauseln unbedenklich sind, wenn entweder den Verbraucher ohnehin die Beweislast für den bestätigenden Umstand trifft oder es sich gar nicht um eine Tatsachenbestätigung handelt (RS0121955 [T9]).

[30] 3.3. Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts handelt es sich bei dieser Klausel um eine Tatsachenbestätigung, die zumindest geeignet ist, – zwar keine Verschiebung, aber – eine Erschwerung der Beweissituation für den Konsumenten zu bewirken. Zwar würde im Fall einer vom Kunden behaupteten objektiven Sorgfaltspflichtverletzung die Beklagte die Beweislast mangelnden Verschuldens treffen, deren Beweissituation könnte sich aber durch die vom jeweiligen Kunden mit dieser Klausel abgegebene Bestätigung doch verbessern und somit jene des Kunden verschlechtern.

[31] 3.4. In diesem Zusammenhang ist auch auf ein Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs vom 20. 4. 1989, IX ZR 214/88 (NJW 1989, 817), zu verweisen. Darin hielt der Gerichtshof eine sinngemäß gleichlautende Klausel für unwirksam, weil sie die Beweislast zum Nachteil des Kunden erschwere. So müsste etwa der Kunde die Umstände beweisen, die zur Bejahung einer Aufklärungs- und Beratungspflicht des Fitnesscenterbetreibers führten. Diese dem Kunden obliegende Beweisführung werde erschwert, wenn er zu Beginn des Trainings selber seine gute körperliche Verfassung bestätige.

[32] 3.5. Die Klausel verstößt daher gegen den hier analog anzuwendenden § 6 Abs 1 Z 11 KSchG.

B. Zur Revision der Beklagten

[33] Die Revision der Beklagten wendet sich nur gegen den stattgebenden Teil des berufungsgerichtlichen Urteils. Dieser betrifft den zweiten Satz der zweiten Klausel. Hierzu kann die Beklagte auf die Ausführungen unter A.2. verwiesen werden. Bei dieser Beurteilung zeigt die Revision der Beklagten keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung auf, weshalb sie zurückzuweisen ist.

C. Kosten

[34] Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen. Die Bemessungsgrundlage für die Revisionsbeantwortung der Klägerin beträgt 6.000 EUR.

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