European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00106.22F.1104.000
Spruch:
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 20. September 2022, AZ 39 Hv 26/22g, wurde * A* je eines Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1, Abs 2 StGB (1) und nach § 142 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie des § 36 StGB iVm § 19 Abs 1 zweiter Satz, § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe und gemäß § 366 Abs 2 erster Satz iVm § 369 StPO zur Zahlung eines Schadenersatzbetrags an den Privatbeteiligten * Ö* verurteilt. Gemeinsam mit dem Urteil fasste der Schöffensenat den Beschluss auf Widerruf einer mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 22. August 2019, AZ 39 Hv 78/19z, gewährten bedingten Strafnachsicht und einer mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 9. Juni 2020, AZ 75 BE 147/20w (nun AZ 52 BE 171/20v des Landesgerichts Feldkirch), gewährten bedingten Entlassung.
[2] Nach Urteils‑ und Beschlussverkündung sowie Rechtsmittelbelehrung ersuchte der anwaltlich vertretene Angeklagte um drei Tage Bedenkzeit (ON 37 S 7). Der letzte Tag der dreitägigen Frist für die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde, der Berufung und der Beschwerde (§§ 284 Abs 1, 294 Abs 1, 498 Abs 2 StPO) war der 23. September 2022.
Rechtliche Beurteilung
[3] Mit am 26. September 2022 beim Landesgericht Feldkirch eingebrachtem Schriftsatz beantragte der Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde, der Berufung und der Beschwerde.
[4] Er brachte vor, dass der Verfahrenshilfeverteidiger die Kanzleibedienstete angewiesen habe, die Rechtsmittelanmeldung am letzten Tag der Frist, somit am 23. September 2022 per ERV an das Landesgericht Feldkirch zu übermitteln. Der entsprechende Schriftsatz sei am 23. September 2022 um 12:31 Uhr angelegt worden. Aus einem nicht nachvollziehbaren Grund wurde der Schriftsatz von der seit 2015 in der Kanzlei des Verfahrenshelfers tätigen Kanzleiangestellten, der bislang keine Fehler im Zusammenhang mit der fristgerechten Einbringung von Schriftsätzen unterlaufen seien, nicht per ERV übermittelt worden, was erst am 26. September 2022 aufgefallen sei. Die Richtigkeit des Antragsvorbringens wurde durch die Erklärung der Kanzleikraft bescheinigt (ON 38 S 9).
[5] Der Antrag ist berechtigt.
[6] Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist Verfahrensbeteiligten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, eine Frist einzuhalten oder eine Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.
[7] Ein einmaliges Versehen einer sonst verlässlichen Kanzleiangestellten ist nach ständiger Judikatur als unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis iSd § 364 Abs 1 Z 1 StPO anzusehen (RIS‑Justiz RS0101310, RS0101329). Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass der einer Kanzleiangestellten für einen bestimmten Tag angeordnete, bloß manipulative Vorgang der Versendung (per ERV) eines vom Verteidiger freigegebenen Schriftsatzes an das vom Verteidiger bestimmte Gericht erfolgt, liegt insoweit auch kein Organisationsverschulden vor (RIS‑Justiz RS0122717 [insb T1]).
[8] Da die Wiedereinsetzung innerhalb von 14 Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses beantragt und die versäumte Verfahrenshandlung zugleich mit dem Antrag nachgeholt wurde (§ 364 Abs 1 Z 2 und 3 StPO), war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.
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