OGH 2Ob166/22h

OGH2Ob166/22h27.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikingerals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. J*, vertreten durch HSP Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Dr. Wolf Heistinger, Rechtsanwalt in Mödling, wegen zuletzt 6.881,46 EUR und Feststellung (Streitwert 100 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 13. Juni 2022, GZ 18 R 22/22x‑28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 28. Jänner 2022, GZ 14 C 499/21p‑21, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00166.22H.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben die ihnen im Rekursverfahren entstandenen Verfahrenskosten selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Der gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts erhobene Rekurs des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Auch die Zurückweisung eines solchen Rekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; RS0043691):

[2] 1.1 Das Berufungsgericht begründet seinen Zulassungsausspruch damit, dass der Oberste Gerichtshof zu den erforderlichen Sicherungsmaßnahmen beim Überholen auf einer Mountainbikestrecke noch keine Entscheidung getroffen habe.

[3] 1.2 Zur vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage kommt der Beklagte in seinem Rekurs nicht zurück. Er führt aus, dass er im Anlassfall beim Überholen mit seinem E‑Bike ohnedies einen ausreichenden Seitenabstand zum Mountainbike des Klägers eingehalten und zudem kein Warnzeichen hätte abgeben müssen. Es sei weiters irrelevant, ob er den Kläger mit einem E‑Bike oder einem herkömmlichen Fahrrad überholt habe. Damit wird jeweils keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen.

[4] 2. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass für die Forststraße, auf der der Beklagte das Überholmanöver durchführte, die StVO anzuwenden ist (vgl RS0058843). Dem tritt das Rechtsmittel nicht entgegen.

[5] 3.1 Nach § 15 Abs 4 StVO ist beim Überholen ein der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom Fahrzeug, das überholt wird, einzuhalten. Nach der Judikatur lässt sich eine allgemeine Regel über die Größe dieses Sicherheitsabstands nicht aufstellen. Sie ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entsprechend der gefahrenen Geschwindigkeiten und der Art des überholten Fahrzeugs festzulegen (RS0073973), sodass in aller Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO vorliegt.

[6] 3.2 Nach der Rechtsprechung muss beim Überholen eines Fahrrads wegen seiner Labilität immer mit Schwankungen (RS0074028) bzw einer leicht pendelnden Fahrlinie (2 Ob 53/87, RS0074003) gerechnet werden.

[7] 3.3 Wenn das Berufungsgericht den vom Beklagten beim Überholmanöver auf der geschotterten und durch mögliche Hindernisse bergab führenden Forststraße mit seinem Fahrrad gewählten Sicherheitsabstand von 60–70 cm als zu gering erachtete, weil der Beklagte bei den konkreten örtlichen Begebenheiten mit einem Seitenversatz des Klägers rechnen musste, ist das keine zu korrigierende Fehlbeurteilung.

[8] 3.4.1 Vom Beklagten wird die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass bei der Wahl der Fahrspur eines Fahrrads abseits von herkömmlichen Straßen auf mögliche Hindernisse (zB Holz, Steine, …) Bedacht zu nehmen sei, ausdrücklich nicht in Frage gestellt. Der Rekurs führt dazu aber aus, dass im Anlassfall die Fahrbahn des Forstwegs mit einer asphaltierten Fahrbahn zu vergleichen sei.

[9] 3.4.2 Diese Ausführungen lassen die Interpretation der erstgerichtlichen Feststellungen durch das Berufungsgericht außer Betracht, dass die bergabführende Forststraße zum Unfallszeitpunkt uneben war und auf ihr auch lose Steinchen und Holz vorhanden waren. Die Auslegung der in einer gerichtlichen Entscheidung enthaltenen Feststellungen ist jeweils einzelfallbezogen und bildet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0118891), zumal das Rechtsmittel nicht aufzuzeigen vermag, dass die Auslegung der erstrichterlichen Feststellungen durch die zweite Instanz eine unvertretbare Fehlbeurteilung bedeutet (RS0118891 [T5]). Die Rechtsansicht des Beklagten, dass er mit einem plötzlichen Seitenversatz/Auslenken des Klägers nicht rechnen musste, geht damit nicht von den getroffenen Feststellungen aus und kann schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage aufwerfen (4 Ob 106/21y Rz 22).

[10] 4. Die Zulässigkeit des Rekurses kann auch nicht auf die Anwendung des § 15 Abs 3 StVO gestützt werden.

[11] 4.1 Der Lenker eines überholenden Fahrzeuges hat den bevorstehenden Überholvorgang durch Abgabe von Warnsignalen rechtzeitig anzuzeigen, wenn es die Verkehrssicherheit erfordert (§ 15 Abs 3, § 22 StVO; RS0073921). Wird die Vermutung erweckt, dass der Lenker des überholten Fahrrads während des Überholmanövers in die Spur des überholenden Fahrzeugs gelangen könnte, muss mit diesem Kontakt hergestellt werden (RS0073533).

[12] 4.2 Es bedarf keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung, wenn das Berufungsgericht wegen der näher beschriebenen Umständen (gewählter Seitenabstand, Hindernisse auf der Fahrbahn) davon ausgegangen ist, dass der Beklagte (rechtzeitig) Warnzeichen hätte geben müssen.

[13] 5. Das Berufungsgericht hat die auf Verstöße gegen § 15 Abs 3 und 4 StVO gestützte Haftung des Beklagten mit Blick auf die Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls jedenfalls vertretbar bejaht, sodass es nicht darauf ankommt, ob der Beklagte darüber hinaus auch als Fahrer eines E‑Bikes besonders vorsichtig hätte überholen müssen.

[14] 6. Der Kostenausspruch beruht auf § 40 und § 50 Abs 1 ZPO. Im vorliegenden Zwischenstreit über die (mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte) Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO gibt es zwar keinen Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO (RS0123222 [T2, T4]; RS0035976 [T2]); dennoch findet ein Kostenersatz hier nicht statt, weil der Kläger auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Beklagten nicht hingewiesen hat (RS0123222 [T8]).

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