European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0260DS00018.21B.0921.000
Spruch:
Den Berufungen wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht Folge gegeben. Den Berufungen wegen Strafe wird Folge gegeben und über die Beschuldigten jeweils eine Geldbuße von 1.500 Euro verhängt.
Die Beschuldigten haben auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden die Beschuldigten * und * jeweils des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten (§ 1 Abs 1 erster Fall DSt) schuldig erkannt.
[2] Danach haben sie jeweils die Vertretung des * durch die * Rechtsanwälte GmbH, deren geschäftsführende Gesellschafter sie sind, [übernommen und] fortgesetzt, und zwar
[3] * „über Mitte Oktober 2018 bis heute“, obwohl er seit Mitte Oktober 2018 in Kenntnis war oder hätte sein müssen, dass die genannte Rechtsanwälte GmbH zuvor bis zum 20. September 2018 * aufgrund arbeitsrechtlicher und persönlicher Konflikte mit * gegen die * vertreten hatte, und
[4] * „über den 20. September 2018 bis heute“, obwohl er bis zum 20. September 2018 * aufgrund arbeitsrechtlicher und persönlicher Konflikte mit * gegen die * vertreten hatte.
[5] Beide Beschuldigte wurden hierfür zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von jeweils 2.000 Euro verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
[6] Den gegen dieses Erkenntnis gerichteten, in einem Schriftsatz gemeinsam ausgeführten Berufungen der beiden Beschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) kommt aus nachstehenden Erwägungen in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur keine Berechtigung zu:
[7] Die Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) verfehlt ihr Ziel.
[8] Die in Pkt 3.2. des Erkenntnisses getroffenen Feststellungen zum Gegenstand der vom Beschuldigten * übernommenen (s Pkt 3.1.) Vertretungstätigkeit der genannten Rechtsanwälte GmbH – welche insbesondere auch den Auftrag der * umfasste, „im arbeitsrechtlichen Verhältnis gegenüber der * auf Missstände hinzuweisen, wobei diese Missstände vor allem, aber insbesondere auch durch * als für * zuständigen Ausbildner verursacht wurden“, wobei „formeller Gegner“ [zwar] die * war, sich die Vorwürfe inhaltlich aber [auch] gegen den Ausbildner * richteten (ES 5) – wurden mit Bezugnahme auf die Aussagen der Zeugin * (vgl ON 28 S 3 ff, insbesondere S 5) sowie insbesondere des Beschuldigten * selbst (vgl ON 22 S 2) formal einwandfrei begründet (ES 7 iVm ES 5). Letzterer bezog sich in seiner Aussage insoweit ausdrücklich auch auf sein Schreiben vom 30. März 2018 an die * (Beilage ./V-ON B, darin Beilage ./3), aus dem sich der Ausspruch, dass sich die Vorwürfe inhaltlich auch gegen * richteten, gleichfalls ableiten ließ.
[9] Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) dahin, dass sich aus der Aussage des Beschuldigten * „nicht einmal ansatzweise“ ergebe, „dass sich die Vorwürfe inhaltlich gegen *“ richteten, ist daher auf Aktenbasis nicht nachvollziehbar und demnach nicht weiter erwiderungsfähig.
[10] Die Konstatierung (Pkt 3.6. des Erkenntnisses), dass die Zeugin * mit dem Beschuldigten * jedoch über die von * (mutmaßlich) gefälschten * gesprochen hatte, wurde, dem weiteren Berufungsvorbringen (Z 5 vierter Fall) zuwider, mit Bezugnahme auf die entsprechenden Angaben der genannten Zeugin formal einwandfrei begründet; der Disziplinarrat legte dabei auch dar, weshalb er den Angaben der Zeugin folgte (ES 8). Eine Erörterung sämtlicher Details aus deren Depositionen ist unter dem Aspekt der Vollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht erforderlich, sie würde vielmehr dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) widersprechen (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 428). Die in diesem Zusammenhang gegenteilige Aussage des Beschuldigten * (vgl insbesondere ON 28 S 6) blieb – der weiteren Behauptung der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider – nicht unberücksichtigt (vgl abermals ES 8).
[11] Inwieweit die Aussage der Zeugin *, wonach der Beschuldigte * mit ihrer Vertretung nichts zu tun gehabt habe und sie vielmehr nur mit dem Beschuldigten * (und dessen Assistentin) Kontakt gehabt habe (ON 28 S 5 und 7), sowie die Einlassung des Beschuldigten *, dass er mit * nichts zu tun gehabt habe (ON 22 S 3 und ON 28 S 9), der Konstatierung, dass (auch) der Beschuldigte * die persönliche Vertretung von * übernommen und im Oktober 2018 * in das Vertretungsteam für * einbezogen habe (Pkt 3.8. des Erkenntnisses, ES 6 f), erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall) entgegenstehen sollten, ist nicht zu ersehen.
[12] Das weitere Vorbringen der Mängelrüge, soweit es nicht überhaupt nur einen Schreibfehler und damit gar keinen Nichtigkeitsgrund anspricht, betrifft keine für die Subsumtion entscheidende Tatsache und bedurfte daher keiner Erwiderung.
[13] Auch der Schuldberufung im engeren Sinn war ein Erfolg zu versagen, weil sich der Disziplinarrat im Rahmen seiner empirisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen der Tat auseinandersetzte und seine Feststellungen überzeugend begründete, sodass gegen die Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage keine Bedenken bestehen.
[14] Die rechtlichen Einwände (aus Z 9 lit a) gehen gleichfalls fehl.
[15] Weshalb Konstatierungen dazu, bis wann Vertretungshandlungen für * gesetzt wurden, für die rechtsrichtige Subsumtion des Sachverhalts (auch materielle Doppelvertretung, hier in Form der uneigentlichen Doppelvertretung) erforderlich sein sollten, leitet die Berufung (der Sache nach Z 9 lit a) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116569; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 588 ff).
[16] In der Berufung wird auch nicht erklärt, weshalb die von ihr vermisste Feststellung dahin, dass (auch) der Beschuldigte * erst im Oktober 2018 zur Vertretung von * beigezogen wurde, von rechtlicher Relevanz sein sollte.
[17] Da auf Basis des festgestellten Sachverhalts nicht nur von einer – in § 10 RL-BA 2015 explizit geregelten – sogenannten formellen Doppelvertretung, sondern vielmehr von einer materiellen Doppelvertretung (§ 10 Abs 1 erster Satz RAO) auszugehen ist, bedarf die Kritik der Rechtsrüge (Z 9 lit a), wonach es der Disziplinarrat unterlassen habe, „den Sachverhalt einer speziellen Ziffer des § 10 RL‑BA [2015] zuzuordnen“, und das daran anknüpfende Vorbringen, dass keine der in leg cit genannten Voraussetzungen gegeben sei, keiner weiteren Erwiderung.
[18] Desgleichen spielt es für die rechtliche Einordnung des festgestellten Sachverhalts keine Rolle, dass – was von den Berufungswerbern wiederkehrend hervorgehoben wird – das Mandatsverhältnis der genannten Rechtsanwälte GmbH mit * zu Beginn der in den Schuldsprüchen genannten Tatzeiten bereits „formell und materiell“ beendet gewesen sei. Denn das Verbot der Doppelvertretung nach § 10 Abs 1 RAO wird nicht durch den Ablauf einer bestimmten Zeitspanne beseitigt (RIS‑Justiz RS0054972).
[19] Ebensowenig von Relevanz ist auch die – von * als „engagiert“ und „gut“ bewertete – Qualität der erbrachten anwaltlichen Leistungen durch jene Rechtsanwälte GmbH.
[20] Mit dem Vorbringen, der Disziplinarrat hätte „* unrichtig als materiellen Gegner von * festgestellt“, weswegen er – so das weitere Berufungsvorbringen, „unrichtigerweise von einer materiellen Doppelvertretung“ ausgegangen sei, orientiert sich die Rechtsrüge prozessordnungswidrig (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581, 584) nicht am tatsächlich festgestellten Sachverhalt (s insbesondere ES 5 f und auch 10 f).
[21] Bei der Beurteilung, ob dieselbe oder eine zusammenhängende Sache vorliegt, ist von einem weiten Anwendungsbereich auszugehen. Davon ausgehend lag im gegebenen Fall unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen eine Konstellation vor, in der sich Interessenkollisionen zwischen den beiden von der genannten Rechtsanwälte GmbH vertretenen Parteien (* und [sodann] *) zumindest abzeichneten (vgl RIS‑Justiz RS0117715). Daran vermögen auch die Umstände, dass „beide Mandate unterschiedliche Inhalte hatten“ und „beide Verfahren gegen die * als Gegner geführt wurden“, nichts zu ändern. Denn * hatte jene Rechtsanwälte GmbH mit ihrer (arbeits‑)rechtlichen Vertretung gegenüber der * betreffend Unzulänglichkeiten ihrer Ausbildung, für die * als deren Erfüllungsgehilfe maßgeblich verantwortlich gewesen war, beauftragt, wobei in dieser arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung just gegen Letzteren entsprechend konkrete Vorwürfe erhoben worden waren und * dem Beschuldigten * während aufrechten Mandatsverhältnisses sogar von potentiellen Verfehlungen des * in Bezug auf * (die er nicht persönlich durchgeführt habe, jedoch als persönlich durchgeführt in den * habe dokumentieren lassen) berichtet hatte. Daraus erhellt unzweifelhaft die Gefahr einer Interessenkollision, zumal es in der von der Rechtsanwälte GmbH vertretenen Angelegenheit des * gegen die * ua auch um disziplinarrechtliche Vorwürfe ging (vgl ES 6 [unten] f sowie 10 f).
[22] Die Frage, ob die Kenntnis der (arbeitsrechtlichen) Belange von * für die Vertretungstätigkeit für * „tatsächlich“ einen „unlauteren Vorteil“ brachte, ist für die rechtliche Annahme der Erfüllung des Tatbestands der Verletzung der Treuepflicht wegen Interessenkollision (hier in Form der „uneigentlichen Doppelvertretung“) ebenso irrelevant wie der (von den Berufungswerbern unter Hinweis auf die Aussage des Beschuldigten * [ON 28 S 9] vermisste) Ausspruch, dass „Informationen von und über * in der Causa * [nicht] vorkamen“. Jedenfalls lag nach den getroffenen Konstatierungen in ihrer Gesamtheit die konkrete Gefahr einer Interessenkollision – und nicht nur der Anschein einer Preisgabe materieller Interessen der (ehemaligen) Klientin – vor.
[23] Den Berufungen der Beschuldigten * und * wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld war daher nicht Folge zu geben.
[24] Den Berufungen wegen Strafe war hingegen insoweit Folge zu geben, als von der durch den Disziplinarrat jeweils an sich zutreffend ausgemessenen Strafe bei jedem Beschuldigten zum Ausgleich der auch nach Fällung des angefochtenen Erkenntnisses weiterhin unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer (Art 6 MRK) noch ein Betrag von 500 Euro in Abzug zu bringen war.
[25] Der angestrebten bedingten Nachsicht stand der sich aus dem Verhalten der beiden Beschuldigten ergebende Spezialpräventionsbedarf entgegen (§ 16 Abs 2 DSt).
[26] Der Ausspruch über die Verfahrenskosten gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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