European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00080.22D.0914.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wirdFolge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verworfen wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.587,68 EUR (darin enthalten 431,28 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Beklagte ist Bürgermeister einer österreichischen Landeshauptstadt. Er gab am 26. 10. 2020 vor einem von der Klägerin errichteten Gebäude ein Fernsehinterview, in dem er unter anderem ausführte, dass „von 173 Wohnungen [dieses Gebäudes] mehr als 90 Wohnungen, also rund die Hälfte der Wohnungen leer stehen“.
[2] Diese Aussage beruhte auf einer Auswertung aus dem von der Statistik Austria geführten lokalen Gebäude- und Wohnungsregister durch den Magistrat, die der Beklagte in Vorbereitung auf das Interview hatte vornehmen lassen. Konkret hatte das Interview, soweit hier relevant, folgenden Inhalt:
Moderator: „Wien hat schon eine Abgabe auf leerstehende Wohnungen, Amsterdam auch, in Tirol hingegen bleibt es ein jahrelanges Warten auf die Leerstandsabgabe und das, obwohl sie von der schwarz-grünen Landesregierung ausdrücklich begrüßt und letztes Jahr in einem umfassenden Wohnpaket beschlossen worden ist. Die Landtagsgrünen und der grüne Bürgermeister machen jetzt Druck, doch alles scheint wie so oft rechtlich kompliziert.“
Sprecherin: „Innsbruck ist eines der sündteuren Immobilienpflaster Österreichs. Mit ein Grund sollen leer stehende Wohnungen sein, davon hat die Landeshauptstadt nach einer groben Erhebung rund drei- bis viertausend. Der Bürgermeister in seiner sündteuren Stadt und vor seinem Lieblingsobjekt, dem P* Turm Nähe Bahnhof.“
Beklagter: „Hinter mir ist der berühmte P* Turm, architektonisch sehr markant, er wurde gebaut unter dem Motto ′junges urbanes Leben′ ′young urban living′ und das sind 173 Wohnungen, von denen aktuell knapp über 90 leer stehen, also mehr als die Hälfte steht leer, obwohl nagelneu gebaut.“
Sprecherin: „Leerstand ist nicht gleich Leerstand. Es gibt einen vorübergehenden, etwa wegen Mieterwechsel oder Sanierung. Es gibt Wohnungseigentümer, die nicht vermieten, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Es gibt Eigentümer, die Wohnraumvorsorge für ihre Kinder treffen wollen und es gibt einen spekulativen Leerstand. Das sind Wohnungen, die einzig und allein deswegen leer stehen, um die Preise in die Höhe zu treiben. Das sind in Innsbruck geschätzte 40 % aller leerstehenden Wohnungen. Politisch ist man sich auf Stadt- und Landesebene einig, es braucht die Leerstandsabgabe, doch wo bleibt sie?“
Beklagter: „Wir haben das, was wir tun konnten, getan, wir haben grob den Leerstand erfasst, mit den rechtlichen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.“
[3] Die im Gemeinderat vertretenen Parteienhatten vor dem Interview ein Arbeitsübereinkommen für die Periode 2018 bis 2024 geschlossen, das die Grundlage der städtischen Regierungskoalition bildete. Darin findet sich im Kapitel „Wohnen“ unter anderem Folgendes:
„Wir wollen gemeinsam mit dem Land Tirol nach Durchführung einer Leerstandserhebung als Grundlage ein Mobilisierungskonzept entwickeln, um derzeit ungenutzten Wohnraum zu beleben sowie eine Leerstands- und Zweitwohnsitzabgabe zu prüfen.“
Auf Landesebene hatte der Landtag, ebenfalls vor dem Interview, folgende Entschließung verabschiedet:
„Die Landesregierung wird aufgefordert, in Zusammenarbeit mit der Stadt Innsbruck sowie weiteren Partnern ein Modell für eine effektive Leerstandserhebung auszuarbeiten, um zu erheben, wie viele Immobilien (Wohnungen und Häuser) in der Landeshauptstadt Innsbruck tatsächlich leer stehen. Das Modell dieser Leerstandserhebung soll nach Erprobung auf weitere Ballungsräume ausgeweitet werden.
Im Rahmen dieser Erhebung soll auch eine Analyse des Leerstandes nach der Art der Immobilien bzw. der Lage der Immobilien ermöglicht werden. Das Modell soll dabei unter Berücksichtigung von bloß temporärem Leerstand, der sich u.a. durch Wohnungswechsel, Sanierungen oder vorübergehende Ortsabwesenheiten ergeben kann, das theoretische Mobilisierungspotenzial darstellen.“
[4] Die Klägerin begehrt, dem Beklagten das Aufstellen und/oder Verbreitender eingangs genannten oder sinngleicher Äußerungen zu untersagen und ihn zu deren Widerruf in einer bestimmten Fernsehsendung zu verpflichten. Der Beklagte habe tatsachenwidrig behauptet, dass in dem Wohnhaus mehr als 90 Wohnungen leer stünden, wobei ihm die Unrichtigkeit dieser Behauptung vor Aufzeichnung des Interviews bekannt gewesen sei. Diese Äußerung sei geeignet, den Kredit der Klägerin zu schädigen (§ 1330 ABGB), weil dadurch der Eindruck erweckt werde, die Wohnungen seien am Markt nicht verwertbar; dies schrecke potentielle Anleger ab. Der Beklagte habe die Äußerung nicht in Vollziehung der Gesetze getätigt, sodass der Rechtsweg zulässig sei.
[5] Der Beklagte wendet, soweit hier relevant, ein, dass er als Bürgermeister interviewt worden sei und daher als Organ im öffentlichen Interesse gehandelt habe. Im Arbeitsübereinkommen der im Gemeinderat vertretenen Parteien sei als Grundlage der städtischen Regierungskoalition, der er als Bürgermeister vorstehe, ausgeführt, dass gemeinsam mit dem Land nach Durchführung einer Leerstandserhebung ein Mobilisierungskonzept entwickelt werden solle, um ungenützten Wohnraum zu beleben und eine Leerstandsabgabe zu prüfen. Auf Landesebene habe der Landtag die Landesregierung aufgefordert, in Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt ein Modell für eine effektive Leerstandserhebung auszuarbeiten. Er sei daher legitimiert gewesen, die in Vollziehung der einschlägigen Vorschriften gewonnenen Erhebungsergebnisse der interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.
[6] Das Erstgericht wies die Klagebegehren zurück. Der Beklagte habe die beanstandeten Äußerungen als Bürgermeister, sohin als Organ iSd § 1 AHG getätigt. Das Interview weise auch einen ausreichend engen Zusammenhang mit den ihm obliegenden hoheitlichen Aufgaben auf, weswegen nach § 9 Abs 5 AHG gegen ihn der Rechtsweg nicht beschritten werden könne.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ den Revisionsrekurs zu.
[8] Es bestehe kein Zweifel, dass der Beklagte das Interview in seiner Eigenschaft als Bürgermeister, somit als Organ, und nicht als Parteifunktionär gegeben habe. Es bestehe auch ein hinreichend enger innerer und äußerer Zusammenhang mit der – näher begründeten – in der Landesverfassung verankerten hoheitlichen Zielsetzung, ausreichend leistbare Wohnmöglichkeiten für die Bewohner der Landeshauptstadt zu schaffen und zu erhalten, und den dazu dem Beklagten als Bürgermeister – im Einzelnen dargelegten – zur Verfügung gestellten gesetzlichen Möglichkeiten. Liege – wie hier – hoheitliches Handeln vor, sei für Unterlassungs- und Widerrufsklagen gegen das Organ der ordentliche Rechtsweg nicht zulässig. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Frage, ob die Äußerung eines Bürgermeisters in einem TV‑Interview im Zusammenhang mit der Problematik dauerhaft leerstehender Wohnungen seiner hoheitlichen Tätigkeit zuzuordnen sei, erhebliche Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der vom Beklagten beantwortete Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil das Rekursgericht im Ergebnis von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Handeln in Vollziehung der Gesetze abgewichen ist; er ist aus diesem Grund auch berechtigt.
[10] 1. Nach ständiger Rechtsprechung des Fachsenats kann eine Person, die in ihrem Erwerb oder Fortkommen durch Äußerungen eines Organs iSd § 1 AHG Schaden erleidet, die Haftung des Rechtsträgers nach diesem Gesetz in Anspruch nehmen (RS0031951). Unterlassungs- und Widerrufsklage gegen das Organ sind dann nach § 9 Abs 5 AHG unzulässig (für viele 1 Ob 186/13d mwN).
[11] Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Hinweis auf eine Rechtsschutzlücke, weil eine Klageführung des von einer kreditschädigenden Äußerung eines Organs Betroffenen vor dem Eintritt eines geldwerten Schadens ausgeschlossen sei. Zu den in der Literatur in diesem Zusammenhang geäußerten Bedenken (vgl nur Kletečka, ecolex 1993, 442), auf die sich auch die Klägerin bezieht, hat der Oberste Gerichtshof aber bereits wiederholt Stellung genommen (1 Ob 8/96; 1 Ob 306/98a ua) und eine teleologische Reduktion der Bestimmung des § 9 Abs 5 AHG in dem auch von ihr gewünschten Sinn abgelehnt. Eine allfällige Rechtsschutzlücke zum Nachteil des von einer hoheitlich erfolgten (kreditschädigenden) Äußerung Betroffenen entziehe sich einer Schließung durch die Rechtsprechungsorgane (1 Ob 303/97h; 1 Ob 140/98i; 1 Ob 306/98a).
[12] 2. Auf diese Frage kommt es hier aber nicht an. Denn der Rechtsweg wäre nur dann unzulässig, wenn der Beklagte die Äußerung tatsächlich als Organ in Vollziehung der Gesetze getätigt hätte.
[13] 2.1. Organe iSd § 1 Abs 2 AHG sind alle Personen, die in Vollziehung der Gesetze handeln, also im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig werden (RS0049876). Das ist der Fall, wenn die Handlung in einen Tätigkeitsbereich fällt, der an sich mit Befehls‑ und Zwangsgewalt ausgestattet ist (RS0049876 [T5]). Merkmal der Hoheitsverwaltung ist daher, dass der Staat, vertreten durch seine Organe, als Träger des „Imperiums“ auftritt, wobei die Befugnis zu einem solchen Handeln gegenüber den Rechtsunterworfenen nicht aus dem Wesen einer Aufgabe oder der besonderen Bedeutung eines entscheidungsbefugten Organs folgt, sondern durch Gesetz konstituiert wird (vgl B. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht6 [2021] Rz 684 f, Rz 696 mwN).
[14] 2.2. Ist eine Aufgabe ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, so sind es nach ständiger Rechtsprechung auch alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Handlungen, wenn sie nur einen hinreichenden engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RS0049948). Ist ein solcher Zusammenhang mit der hoheitlichen Materie gegeben, bleibt die Handlung selbst dann hoheitlich, wenn einzelne Teile dieser Aufgaben so erfüllt werden, wie sie für sich genommen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild von jedermann vorgenommen werden könnten (RS0049948 [T3]).
[15] 2.3. Die für die Beurteilung des Rechtswegs notwendige Abgrenzung des Handelns als entweder hoheitlich oder nichthoheitlich samt der Zuordnung der um den „Handlungskern“ gesetzten vorbereitenden oder abschließenden, somit als zu einer Aufgabe zugehörig erlebten Maßnahmen, bereitet mitunter dann Probleme, wenn ein Organträgernicht nur Aufgaben der Hoheitsverwaltung wahrnimmt, sondern darüber hinaus auch weitere (außerdienstliche) Funktionen im „öffentlichen“ Leben außerhalb des Staatsdiensts oder im Geschäftsleben (Parteifunktionen, Vereinstätigkeiten, unternehmerisches Tätigwerden) ausübt (vgl 1 Ob 201/16i [Pkt 3.5]).
[16] 2.4. Ein solcher Fall liegt hier vor: Der Beklagte könnte als Bürgermeisterohne Zweifelals Organ der Hoheitsverwaltung handeln. Vor Ausstrahlung des Interviews wurde er auch als „grüner Bürgermeister“ anmoderiert. Allein aus der Bezugnahme auf eine bestimmte Organfunktion kann aber noch nicht der Schluss gezogen werden, dass jedwede Tätigkeit einer Person Verwaltung ist und in Vollziehung der Gesetze geschieht.Die Beantwortung dieser Frage erfordert vielmehr eine Differenzierung danach, ob das als Grundlage für einen behaupteten Anspruch (hier nach § 1330 ABGB) herangezogene Verhalten als Ausübung hoheitlicher Tätigkeit zu beurteilen ist. Der Umstand, dass der Beklagte das Interview als Bürgermeister gegeben hat, lässt die Annahme, er hätte dabei in Vollziehung der Gesetze gehandelt, daher für sich allein noch nicht zu (vgl 1 Ob 208/10k zum Interview einer Landeshauptfrau).Vielmehr ist das ihm von der Klägerin konkret vorgeworfene Verhalten auf einen Zusammenhang mit den ihm übertragenen Funktionen der Hoheitsverwaltung zu prüfen.
[17] 3. Der Fachsenat hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass Interviews ein „neutrales“, nicht schon durch die Rechtsordnung in einer bestimmten Rechtsform geregeltes, nach außen in Erscheinung tretendes tatsächliches Verhalten sind (1 Ob 208/10k mwN). Die Zuordnung solcher „Informationsrealakte“ zur Hoheitsverwaltung wird durch deren Zugehörigkeit zum Kernbereich der jeweils in Betracht kommenden Verwaltungsmaterie vorgenommen (vgl dazu die Nachweise in 1 Ob 190/08k). Entscheidend ist daher auch hier, ob ein hinreichend enger innerer und äußerer Zusammenhang der Äußerungen des Beklagten im inkriminierten Interview zu einer bestimmten hoheitlich zu vollziehenden Materie vorliegt (vgl RS0049897).
[18] 3.1. Dazu steht fest, dass dem Beklagten nach der Geschäftsordnung des Magistrats als Bürgermeister die Öffentlichkeitsarbeit obliegt. Thema des Interviews vom 26. 10. 2020 war die Frage nach einer Abgabe auf leerstehende Wohnungen, die auch Gegenstand des Arbeitsübereinkommens für die Jahre 2018 bis 2024 der im Gemeinderat vertretenen Parteien ist, das die Grundlage der Regierungskoalition bildet. Zur Einführung einer solchen Abgabe äußerte sich der Beklagte nach dem festgestellten Inhalt des Interviews sinngemäß dahin, dass alles Mögliche getan und der Leerstand mit den zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten grob erfasst worden sei. Diese Äußerung bezieht sich erkennbar auf die Entschließung des Landtags vom 17. 5. 2018, mit der die Landesregierung aufgefordert wurde, in Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt sowie weiteren Partnern ein Modell für eine effektive Leerstandserhebung auszuarbeiten, um zu erheben, wie viele Immobilien (Wohnungen und Häuser) in der Landeshauptstadt tatsächlich leer stehen. Die Äußerung zum Leerstand in dem von der Klägerin errichteten Wohngebäude ist in diesem Zusammenhang als plakatives Beispiel zu sehen, das die Notwendigkeit einer Abgabe auf leer stehende Wohnungen aus Sicht der Stadt untermauern sollte.
[19] 3.2. Nach Art 66 des Landesverfassungsgesetzes vom 21. 9. 1988 über die Verfassung des Landes Tirol (TLO 1989) kann der Landtag „[…] seine Wünsche über die Führung der Landesverwaltung in Entschließungen äußern“. Das Entschließungsrecht dient dem Landtag aber lediglich dazu, seine Wünsche über die Vollziehung auszudrücken, und differenziert dabei nicht zwischen der hoheitlichen oder privatwirtschaftlichen Tätigkeit des Landes. Mit der Entschließung des Landtags vom 17. 5. 2018 kann die hier maßgebliche Abgrenzungsfrage daher ebenso wenig beantwortet werden wie mit dem Hinweis des Beklagten auf das Arbeitsübereinkommen für die Jahre 2018 bis 2024, das die Zusammenarbeit der im Gemeinderat vertretenen Parteien regelt.
[20] 3.3. Grundsätzlich zutreffend verweist das Rekursgericht darauf, dass der Bürgermeister gemäß § 12 Abs 1 des Stadtrechts der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 (IbkStadtR) nach seiner Wahl vor dem Gemeinderat in die Hand des Landeshauptmanns oder seines Vertreters zu geloben hatte, unter anderem die Landesverfassung sowie die sonstigen Gesetze des Landes Tirol zu befolgen. Es besteht auch kein Zweifel, dass er damit in Vollziehung der ihm obliegenden (hoheitlichen oder privatwirtschaftlichen) Aufgaben den Zielen der Landesverfassung verpflichtet ist. Ein hinreichend enger innerer oder äußerer Zusammenhang der Äußerungen des Beklagten im inkriminierten Interview zu einer bestimmten hoheitlichen Materie, die ihm als Bürgermeister im eigenen oder übertragenen Wirkungsbereich zum Vollzug zugewiesen ist, ist aber entgegen der Ansicht des Rekursgerichts nicht zu erkennen. Gegenstand des Interviews war ausschließlich die Forderung nach einer Leerstandsabgabe. Ein Bezug zu den dem Bürgermeister als Bezirksverwaltungsbehörde nach dem Meldegesetz in erster Instanz obliegenden Angelegenheiten (§ 31 Abs 4 IbkStadtR iVm § 22 Abs 1, 2, 3 und 6 MeldeG 1991) oder zu den dem Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck als Bezirksverwaltungsbehörde (§ 31 Abs 5 IbkStadtR) im Zusammenhang mit unzulässigen Freizeitwohnsitzen übertragenen Angelegenheiten (dazu § 13 Abs 9 iVm § 13a Abs 5 TROG 2016) wurde darin nicht im Entferntesten hergestellt. Im Interview hat der Beklagte mit keinem Wort auch nur den äußeren Anschein einer schon vorgenommenen oder noch vorzunehmenden Amtshandlung im Zusammenhang mit diesen Verwaltungsmaterien vermittelt. Entgegen dem Rekursgericht führt der Umstand, dass dem Beklagten als Bürgermeister einer Stadt mit eigenem Statut diese Kompetenzen grundsätzlich zukommen, nochnicht dazu, dass er die von der Klägerin beanstandete Äußerung in Vollziehung der Gesetze abgegeben hat.
[21] 3.4. Die Landesverfassung räumt der Schaffung und Erhaltung von ausreichenden und leistbaren Wohnmöglichkeiten einen besonderen Stellenwert ein (Art 7 Abs 2 Tiroler Landesordnung 1989) und verankert damit ein wirtschaftliches und soziales Staatsziel. Staatsziele legen als Teil der Verfassung Rahmenbedingungen für politisches Handeln fest. Sie sind zwar bei der Auslegung bestehender Normen zu beachten, richten sich aber primär an den Gesetzgeber, der ihnen in geeigneter Weise Rechnung zu tragen hat (Budischowsky, Das Bekenntnis zur Wasserversorgung als Staatsziel, RdU 2015, 181 [182]; Zahrl, Rationalitätsanforderungen an die Gesetzgebung am Beispiel von Staatszielbestimmungen, ZfV 2021, 171 [172]; beide mwN). Die Schaffung einer Leerstandsabgabe, wie sie im inkriminierten Interview angesprochen wurde, ist ein mögliches Steuerinstrument und kann damit im Zusammenhang mit dieser landesverfassungsrechtlichen Zielvorgabe gesehen werden. Diese Vorgabe richtet sich aber primär an den Gesetzgeber.
[22] 3.5. Die Kompetenz zur gesetzlichen Einführung einer solchen Abgabe beansprucht das Land Tirol für sich (siehe dazu zuletzt die EB zum Entwurf eines Tiroler Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabegesetzes – TFLAG, GZ 353/2022, Pkt 2; zuvor schon die EB zum Entwurf eines Tiroler Freizeitwohnsitzabgabegesetzes – TFWAG, GZ 167/19, ebenfalls Pkt 2). Auf dieser Grundlage wurden – zeitlich nach dem beanstandeten Interview – zunächst das TFWAG, LGBl 79/2019, und jüngst das TFLAG, LGBl 8C/2022, beschlossen. Soweit der Beklagte mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, insbesondere durch Nutzung des von der Statistik Österreich geführten lokalen Gebäude- und Wohnungsregisters (§ 1 Abs 3 GWR‑Gesetz), tätig wurde, um den Leerstand in der Landeshauptstadt zu erheben, könnte dies allenfalls als Mitwirken an der Vorbereitung dieser Gesetzesvorhaben gewertet werden.
[23] 3.6. Selbst wenn diese Zuordnung zuträfe, könnte dieses Handeln aber von vornherein keine Amtshaftungsansprüche (und damit auch nicht die Anwendung des AHG) begründen.
[24] In der Entscheidung zu 1 Ob 231/03g führte der Fachsenat in Abkehr von älterer Rechtsprechung (dazu 1 Ob 116/97h) aus, dass die vorbereitende legistische Tätigkeit durch Verwaltungsorgane der Gesetzgebung zuzurechnen ist, für die nicht nach dem AHG gehaftet wird. Der Senat folgte dabei der Ansicht Schragels (in AHG³ § 1 Rz 56), wonach – mangels bereits bestehender Gesetze –bei der Vornahme solcher Handlungenkeine Gesetze zu vollziehen, sondern diese nur vorzubereiten seien. Die Organe träten dabei mit der Außenwelt in keinerlei Berührung; es handle sich also um rein verwaltungsinterne Vorgänge, die grundsätzlich nur dann Amtshaftung zur Folge haben könnten, wenn die Unterlassung konkrete Rechtsansprüche Dritter verletze. In der Entscheidung 1 Ob 228/07x wurde diese Ansicht grundsätzlich aufrecht erhalten. Den genannten Entscheidungen lag der Vorwurf zugrunde, es begründe einen Vollzugsfehler, dass trotz verfassungs- bzw gemeinschaftsrechtlichen Änderungsbedarfs ein Gesetzesentwurf nicht (rechtzeitig) erarbeitet, bzw dem Nationalrat ein (in der Folge tatsächlich beschlossener) verfassungswidriger Gesetzesentwurf (wider besseres Wissen) vorgelegt worden sei.
[25] Sollte das Erheben des Leerstands mit den dem Bürgermeister zur Verfügung stehenden Mitteln in diesem Sinn der Gesetzgebung zuzuordnen sein, handelte es sich ebenfalls um einen rein verwaltungsinternen Vorgang. Nach den Grundsätzen der genannten Entscheidungen könnte daher allenfalls dieses Handeln (funktionell) der Gesetzgebung zuzurechnen sein und fiele dann nicht in den Anwendungsbereich des Amtshaftungsgesetzes.
[26] Keinesfalls ist aber erkennbar, weshalb gerade der Bürgermeister die Öffentlichkeit für Zwecke der Gesetzgebung über die Ergebnisse der Erhebungen informieren sollte. Wenn überhaupt, wären dazu die Mitglieder des Landtags oder allenfalls die für die Erstellung von Gesetzesentwürfen zuständigen Organe des Amtes der Landesregierung berufen. Auch wenn dem Beklagten nach der Geschäftsordnung des Magistrats als Bürgermeister die Öffentlichkeitsarbeit obliegt, ist die Äußerung über den (möglichen) Leerstand in einem ganz bestimmten Objekt keine Tätigkeit zur Vorbereitung eines Gesetzes. Ihr fehlt jeder Zusammenhang mit einem (allfälligen) Handeln im legislativen Bereich (Leerstandserhebung). Die Frage einer allfälligen analogen Anwendung von § 9 Abs 5 AHG bei Verwaltungshandeln im Legislativprozess stellt sich daher nicht.
[27] 3.7. Umso weniger kann aber der (allenfalls unzutreffende) Bericht über die Ergebnisse einer solchen Erhebung als Handeln in Vollziehung der Gesetze angesehen werden.
[28] Für eine solche Annahme fehlt – mangels Existenz eines solchen Gesetzes im Zeitpunkt des Interviews – der enge innere und äußere Zusammenhang zu einem bereits bestehenden Gesetz über Abgaben oder sonstige Maßnahmen zur Bekämpfung von Leerständen. Der Beklagte vermittelte mit seiner Äußerung zu einem bestimmten Wohnobjekt auch sonst nicht den äußeren Anschein einer schon vorgenommenen oder noch vorzunehmenden Amtshandlung. Vielmehr fehlte seinen Äußerungen jeder Bezug zur Vollziehung ihm übertragener hoheitlicher Aufgaben.
[29] Die von der Klägerin beanstandeten Äußerungen des Beklagten sind daher im Ergebnis nur als Bekräftigung der politischen Forderung nach einer Leerstandsabgabe für die Landeshauptstadt anzusehen und damit seiner Privatsphäre zuzurechnen. Eine Anwendung des § 9 Abs 5 AHG kommt daher nicht in Betracht.
[30] 4. Da die Vorinstanzen die Zulässigkeit des Rechtswegs für die vorliegende Klage nach § 1330 ABGB zu Unrecht verneint haben, ist dem Revisionsrekurs der Klägerin Folge zu geben.
[31] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 ZPO iVm § 52 Abs 1 Satz 2 und § 41 ZPO. Der Beklagte ist im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs unterlegen; er hat der Klägerin daher deren darauf entfallende Kosten zu ersetzen (RS0035955). Die Tagsatzung vom 20. 9. 2021 hat 45 Minuten gedauert. Darin haben die Parteien vor der Beschlussfassung über die abgesonderte Verhandlung die Klage und Klagebeantwortung sowie sieben weitere Schriftsätze und damit – im weiteren Verfahren verwertbar – (auch) zur Sache vorgetragen. Der auf den Zwischenstreit entfallende Aufwand dieser Tagsatzung ist somit nicht mehr klar abgrenzbar. Darauf – sowie auf die übrigen Prozesshandlungen in erster Instanz – entfallende Kosten können im Zwischenstreit daher nicht zugesprochen werden (8 ObA 52/14a; Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.331 mwN). Der Beklagte hat dem Kläger somit nur die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen.
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