OGH 10ObS47/22t

OGH10ObS47/22t13.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Christina Hartl‑Wach (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Vordera (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*, geboren *1954, *, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Alterspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. Februar 2022, GZ 7 Rs 2/22 a‑17, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00047.22T.0913.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der *1954 geborene Kläger bezieht nach den Feststellungen seit *1974 eine Invaliditätspension von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt. Er betreibt seit 1989 eine Trafik und war am 1. Jänner 2020 weiterhin nach dem GSVG pflichtversichert. Mit Schreiben vom 30. Jänner 2020 kündigte der Kläger den Bestellungsvertrag, der ihn zur Führung der Trafik berechtigte; das Nachbesetzungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

[2] Mit Bescheid vom 16. April 2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Umwandlung der Invaliditätspension in eine Alterspension ab 1. Jänner 2020 ab. Da nach dem gemäß § 551 Abs 10 ASVG anwendbaren § 253 Abs 1 ASVG idF BGBl 1991/157 am 1. Jänner 2020 keine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt werden dürfe, lägen die Voraussetzungen zur Umwandlung in eine Alterspension nicht vor.

[3] Mit seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass er alle Voraussetzungen für die gesetzliche Alterspension erfülle. Hilfsweise strebt er den Zuspruch einer Alterspension in gesetzlicher Höhe ab 1. Jänner 2020 an.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Nach § 551 Abs 10 ASVG sei bei einem Antrag auf eine Alterspension das am 30. Juni 1993 geltende Recht dann weiter anzuwenden, wenn bereits ein rechtskräftig zuerkannter Anspruch auf eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG bestehe, deren Stichtag – wie hier – vor dem 1. Juli 1993 liege. Der demnach geltende § 253 Abs 1 ASVG idF des SRÄG 1991, BGBl 1991/157 (künftig: ASVG aF), knüpfe die Gewährung der Alterspension an drei Voraussetzungen: Zunächst müssten die Wartezeit erfüllt und das 65. Lebensjahr vollendet sein, was auf den Kläger zutreffe. Zusätzlich dürfe der Versicherte aber weder in der Pensionsversicherung nach dem ASVG noch einem anderen Bundesgesetz pflichtversichert sein. Da am maßgeblichen 1. Jänner 2020 unstrittig eine Pflichtversicherung nach dem GSVG bestehe, sei diese Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt.

[5] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es verwies auf die seiner Ansicht zutreffende Begründung des Erstgerichts und führte ergänzend aus, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 253 Abs 1 ASVG aF oder § 551 Abs 10 ASVG zu hegen. Nur weil die derzeit in Kraft stehende Bestimmung des § 253 ASVG das Erfordernis der fehlenden Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nicht (mehr) enthalte, mache das § 253 Abs 1 ASVG in seiner hier anzuwendenden Fassung (SRÄG 1991, BGBl 1991/157) nicht unsachlich. Zudem entspreche es der langjährigen Judikatur, dass zeitliche Differenzierungen durch eine Stichtagsregelung, wie sie § 551 Abs 10 ASVG vorsehe, nicht gleichheitswidrig seien.

Rechtliche Beurteilung

[6] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[7] Der Kläger bezweifelt die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass sein Anspruch gemäß § 551 Abs 10 ASVG nach dem am 30. Juni 1993 geltenden Recht zu beurteilen ist, nicht. Er meint vielmehr, es sei gleichheitswidrig, dass seine selbständige Tätigkeit (Pflichtversicherung nach dem GSVG) der Alterspension nur deshalb entgegenstehe, weil er eine Invaliditätspension beziehe, deren Stichtag vor dem 1. Juli 1993 liege. Denn Versicherte, die entweder nicht invalid seien oder eine Invaliditätspension mit Stichtag nach dem 1. Juli 1993 beziehen, müssten nur das Regelpensionsalter erreichen und die Wartezeit erfüllen, aber nicht ihre Erwerbstätigkeit aufgeben. Zudem verstoße § 253 Abs 1 ASVG aF gegen das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit.

[8] Damit überzeugt der Kläger nicht.

[9] 1. Der in Art 7 B‑VG normierte Gleichheitsgrundsatz verbietet unsachliche Differenzierungen (RIS‑Justiz RS0053981). Dem Gesetzgeber steht aber insoweit ein Gestaltungsspielraum zu, als er in seinen rechts- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist, sofern keine unsachliche Differenzierung vorliegt (RS0117654 [T5]; RS0053889). Gerade im Sozialversicherungsbereich sind Stichtagsregelungen in Anpassung an die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten unvermeidlich, mögen sie auch in Einzelfällen Härten mit sich bringen. Eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung verstößt daher nicht grundsätzlich gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil es im Wesen einer Änderung materiell-rechtlicher Bestimmungen liegt, dass Rechtsfälle je nach dem für maßgeblich erklärten zeitlichen Sachverhaltselement unterschiedlich nach der alten oder neuen Rechtslage behandelt werden. Es steht demnach in der rechtspolitischen Freiheit des Gesetzgebers, festzulegen, wann eine neue, den Versicherten begünstigende Bestimmung zu gelten hat (RS0117654; RS0053393 ua).

[10] Vor diesem Hintergrund ist dem Kläger zwar zuzustimmen, dass es in den letzten Jahrzehnten insofern zu einem Paradigmenwechsel in der Alterspension gekommen ist, als sie sich beginnend mit dem SRÄG 1993 (BGBl 1993/335), mit dem die sogenannte Teilpensionsregelung eingeführt wurde, schrittweise von einer Einkommensersatzleistung zu einer „Altersprämie“ gewandelt hat, die nicht mehr an die Aufgabe der bisherigen Erwerbstätigkeit geknüpft ist (Rainerin Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm Vor § 253 ASVG Rz 3). Die Entscheidung, wann welche (Gruppen von) Versicherten von der nunmehrigen Möglichkeit Gebrauch machen können, neben der Alterspension ein Erwerbseinkommen zu erzielen, lag aber in der freien Ingerenz des Gesetzgebers, sofern er dabei nicht nach unsachlichen Kriterien vorging. Solche sind im Umstand, dass § 551 Abs 9 ASVG idF BGBl 1993/335 (SRÄG 1993 bzw 51. ASVG‑Novelle) bzw in der Folge § 551 Abs 10 ASVG idF BGBl 1994/20 (52. ASVG‑Novelle) sowie letztendlich BGBl 1996/411 (SRÄG 1996 bzw 53. ASVG‑Novelle) darauf abstellen, ob bereits eine Pensionsleistung mit einem Stichtag vor dem 1. Juli 1993 – also aus der Zeit vor Beginn des geänderten Umgangs mit einer Erwerbstätigkeit neben der Alterspension – bezogen wird, und damit bewirkt, dass Versicherte, auf die das zutrifft, nicht von den für sie günstigeren Bestimmungen der 51. ASVG‑Novelle profitieren, nicht zu erkennen.

[11] 2. Es ist richtig, dass § 551 Abs 10 ASVG in Bezug auf die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit neben der Alterspension nicht zwingend war und in dieser Hinsicht auch nicht näher begründet wurde. Die Anordnung einer Stichtagsregelung bedarf im Allgemeinen aber keiner Rechtfertigung der Wahl des Stichtags. In diesem Sinn weist jede Stichtagsregelung auch ein gewisses Maß an Beliebigkeit auf. Es müssten daher im Gegenteil besondere Gründe vorliegen, warum gerade ein bestimmter Stichtag unsachlich ist (VfGH V 76/10 VfSlg 19.308/2011; 10 ObS 66/11w SSV‑NF 25/72). Solche Gründe zeigt der Kläger nicht auf.

[12] 3. Soweit der Kläger die Regelung des § 253 Abs 1 ASVG aF selbst als verfassungswidrig erachtet, ist ihm wiederum zuzustimmen, dass die Vorgängerbestimmung (§ 253 Abs 1 ASVG idF BGBl 1986/111) verfassungswidrig war, weil sie (verkürzt) nur darauf abstellte, ob an einem einzigen Tag keine versicherungspflichtige Beschäftigung bestand, was zur Erreichung des deklarierten Ziels, die Alterspensionen nur dann zu gewähren, wenn sich der Pensionswerber tatsächlich zur Ruhe gesetzt hatte, absolut untauglich war (VfGH G 18/90 VfSlg 12.831/1991). Die auf ihn anzuwendende Fassung des § 253 Abs 1 ASVG enthält aber keine Stichtags-, sondern eine Karenzfristregelung. Auch wenn sie es zulässt, dass eine andere als die bisherige Erwerbstätigkeit (neu) aufgenommen wird, unterscheidet sie sich doch grundlegend von der bis dahin bestehenden Regelung, zumal sichergestellt wird, dass die bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit für zumindest sechs Monate aufgegeben wird. Darauf geht die Revision aber nicht ein. Der Kläger beschränkt sich vielmehr darauf, die behauptete Verfassungswidrigkeit mit einer Wiedergabe der Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs in seinem Erkenntnis zu G 18/90 zu begründen. Die Argumentation des Klägers, die „Stichtagsregelung“ könne das von ihr verfolgte Ziel nicht erreichen, weil die Aufgabe der Erwerbstätigkeit „nur für einen einzigen Tag (dem Stichtag)“ verlangt werde,geht am tatsächlichen Inhalt des § 253 Abs 1 ASVG aF vorbei. Verfassungsrechtliche Bedenken vermag er damit nicht zu wecken.

[13] 4. Was den vermeintlichen Eingriff in die Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG) anlangt, hat der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt klargestellt, dass Regelungen, die den Bezug einer Alterspension an die Aufgabe der Erwerbstätigkeit knüpfen, verfassungsrechtlich unbedenklich sind (VfGH G 25/65 ua VfSlg 5241/1966; vgl dazu auch VfSlg B 1989/06 VfSlg 18.625/2008 [Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft]).

[14] 5. Insgesamt zeigt der Kläger somit keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb die außerordentliche Revision zurückzuweisen ist.

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