OGH 13Os63/22x

OGH13Os63/22x7.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Kornauth in der Strafvollzugssache des * G*, AZ 25 BE 176/21d des Landesgerichts Krems an der Donau, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts als Vollzugsgericht vom 10. Februar 2022 (ON 22) und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 18. März 2022, AZ 21 Bs 53/22f, (ON 27) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00063.22X.0907.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In der Strafvollzugssache des * G*, AZ 25 BE 176/21d des Landesgerichts Krems an der Donau, verletzen der Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Vollzugsgericht vom 10. Februar 2022 (ON 22) und der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 18. März 2022, AZ 21 Bs 53/22f, (ON 27) jeweils § 133a Abs 2 StVG.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 22. März 2016, GZ 6 Hv 156/15p‑1445, (ON 11) wurde der am 17. August 1992 geborene * G* mehrerer Verbrechen schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB und § 36 StGB iVm § 19 JGG nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Diese erhöhte das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 14. Oktober 2016 (ON 12) auf zwölf Jahre.

[2] Die Hälfte der Strafzeit hatte der Verurteilte am 28. November 2020 verbüßt, zwei Drittel der Strafzeit wären am 28. November 2022 verbüßt gewesen, das rechnerische Strafende fällt auf den 28. November 2025 (ON 2 S 3).

[3] Mit Beschluss vom 10. Februar 2022 (ON 22) sah das Landesgericht Krems an der Donau als Vollzugsgericht (gestützt auf § 133a StVG) vorläufig vom weiteren Vollzug der über * G* verhängten Freiheitsstrafe wegen Vorliegens eines Aufenthaltsverbots ab. Unter Bezugnahme auf die im Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 22. November 2021, AZ 21 Bs 343/21a, (ON 16) geäußerte Rechtsansicht ging der Einzelrichter davon aus, dass auf „generalpräventive Bedürfnisse“ „nicht Bedacht zu nehmen“ sei, weil der Strafgefangene bei der Begehung des die Strafdrohung bestimmenden Delikts des § 75 StGB und auch bei den überwiegenden weiteren Tathandlungen das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. § 17 JGG iVm § 19 Abs 2 JGG sehe zwar (nur) für bedingte Entlassungen, nicht aber für den Anwendungsbereich des § 133a StVG vor, dass generalpräventive Erwägungen außer Acht zu bleiben haben. Da jedoch § 133a Abs 2 StVG der bedingten Entlassung im Sinn des § 46 Abs 2 StGB nachgebildet sei, wäre von einer „planwidrigen Gesetzeslücke“ auszugehen, woraus folge, „dass auch § 133a Abs 2 StVG bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht anzuwenden und die §§ 17, 19 Abs 2 JGG analog auch auf § 133a StVG anzuwenden sind“.

[4] Der dagegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 24) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 18. März 2022, AZ 21 Bs 53/22f, (ON 27) nicht Folge. Das Oberlandesgericht hielt an seiner Rechtsansicht fest und führte aus, eine unterschiedliche Interessenlage in Ansehung der Berücksichtigung von generalpräventiven Erwägungen bei bedingten Entlassungen einerseits und vorläufigem Absehen vom weiteren Strafvollzug gemäß § 133a StVG andererseits sei nicht ersichtlich. Eine unterschiedliche Vorgangsweise bei jungen erwachsenen Straftätern, die nach einer bedingten Entlassung in Österreich bleiben, und solchen, die sich im Sinn des § 133a StVG bereit erklärt haben, einer Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat nachzukommen, erscheine nicht sachgerecht, sodass „eine planwidrige Gesetzeslücke anzunehmen ist, die durch Analogie zu schließen“ sei. Das „Unterbleiben der Erwähnung des § 133a StVG in § 17 JGG“ sei als „planwidrige Gesetzeslücke“ anzusehen, die durch „die Rechtsanwendung zu schließen“ sei. Daraus folge, dass auch bei der Prüfung der Voraussetzungen für ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen generalpräventive – wie im Übrigen auch spezialpräventive – Aspekte außer Betracht zu bleiben haben (BS 3 f).

[5] Am 25. März 2022 ist der Verurteilte nach der Aktenlage in die Türkei ausgereist (ON 34).

Rechtliche Beurteilung

[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) zutreffend ausführt, steht die in den Beschlüssen des Landesgerichts Krems an der Donau und des Oberlandesgerichts Wien geäußerte Rechtsansicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[7] Mit dem Einfügen des § 133a in das StVG durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2008 BGBl I 2007/109 sollte ein Instrument geschaffen werden, um nicht aufenthaltsverfestigte ausländische Verurteilte nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe zur Ausreise aus dem Bundesgebiet verhalten zu können und gleichzeitig die Zwecke eines Aufenthaltsverbots effektiv, nämlich dadurch abzusichern, dass die restliche Strafe vollstreckt wird, wenn der Verurteilte seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommt oder während der Dauer des Verbots wieder in das Bundesgebiet zurückkehrt (RIS‑Justiz RS0124405 [T1], EBRV 302 BlgNr 23. GP  1).

[8] § 133a Abs 2 StVG verlangt – sofern der Verurteilte noch nicht zwei Drittel der Strafzeit verbüßt hat – vor einem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug (auch) zu überprüfen, ob es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

[9] Eine Rechtslücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung (RIS‑Justiz RS0008866). Daher liegt auch eine Gesetzeslücke nur bei planwidriger Unvollständigkeit des in Rede stehenden Gesetzes, also dann vor, wenn die aus der konkreten gesetzlichen Regelung hervorleuchtenden Zwecke und Werte die Annahme nahelegen, der Gesetzgeber habe einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (RIS‑Justiz RS0008866 [T9, T10 und T27]). Genau diese Annahme ist aber bei der Norm des § 17 JGG in Bezug auf den Regelungsbereich des § 133a StVG nicht indiziert.

[10] § 133a StVG ist nämlich kein Unterfall der bedingten Entlassung (§ 46 StGB), sondern ein Rechtsinstitut sui generis (RIS‑Justiz RS0124405; Pieber in WK2 StVG § 133a Rz 43; Drexler/Weger, StVG5 § 133a Rz 18). Während das Rechtsinstitut der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe (§ 46 Abs 1 und 2 StGB) wegen Straftaten, die vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen worden sind (§§ 17, 19 Abs 2 JGG), dem Primat der Spezialprävention (§ 5 Z 1 JGG) vor allem durch die Anordnung von (bedingt obligatorischer) Bewährungshilfe während einer Probezeit Rechnung trägt und damit bessere Chancen für das weitere Fortkommen des jungen Rechtsbrechers schaffen möchte (Schroll in WK2 StGB § 50 Rz 1 f, 6c), sieht § 133a StVG keine Betreuungs‑ oder Resozialisierungsbemühungen vor (vgl Drexler/Weger, StVG5 § 133a Rz 19), sondern entspricht einer Unterbrechung der Strafhaft, die bei rechtswidriger Rückkehr in das Bundesgebiet ex lege fortgesetzt wird (Pieber in WK² StVG § 133a Rz 30 f).

[11] Die Nichterwähnung des § 133a StVG in § 17 JGG ist somit geradezu logische Folge der Verschiedenheit der beiden Rechtsinstitute, womit insoweit auch die Annahme einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes methodisch unzulässig ist. Mangels § 133a StVG betreffende Ausnahmeregelung im JGG ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden hat (RIS‑Justiz RS0008866 [T13]), (auch) bei Straftaten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis zur Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe das vorläufige Absehen vom weiteren Strafvollzug gemäß § 133a Abs 2 StVG von der Prüfung abhängig zu machen, ob es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

[12] Da die aufgezeigte Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil des Verurteilten wirkt, kann es mit ihrer Feststellung sein Bewenden haben (§ 292 vorletzter Satz StPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte