OGH 2Ob81/22h

OGH2Ob81/22h6.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Rechtsanwälte Gruber Partnerschaft KG in Wien, wider die beklagte Partei R*, vertreten durch Mag. Armin Windhager, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 7. Februar 2022, GZ 43 R 448/21g‑23, mit dem einer Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 6. August 2021, GZ 4 C 20/21s‑11, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00081.22H.0906.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.961,82 EUR (darin enthalten 326,97 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Ehe der Streitteile wurde zu AZ 4 C 4/17g des Erstgerichts mit seit 17. 7. 2020 rechtskräftigem Urteil vom 19. 7. 2019 geschieden.

[2] Im zu AZ 4 C 33/18y des Erstgerichts anhängig gewesen Unterhaltsverfahren begehrte die Ehefrau ua die Zahlung laufenden (ehelichen) Unterhalts bis zum rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens. Das Erstgericht verhielt den Ehemann – ohne Festlegung eines Endtermins – zur Leistung laufenden Unterhalts in Höhe von 676 EUR. Der Oberste Gerichtshof verpflichtete aufgrund einer Revision der Ehefrau den Ehemann letztlich mit Urteil vom 2. 3. 2021, 1 Ob 155/20f, ua beginnend mit 1. 1. 2020 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens zwischen den Streitparteien monatlich einen Unterhaltsbetrag von 700 EUR und für die Zeit danach monatlich 676 EUR zu zahlen. Er führte – soweit hier von Relevanz – aus (Rz 38), der laufende Unterhaltsanspruch ab 1. 1. 2020 betrage grundsätzlich 700 EUR monatlich. Die Ehefrau habe ihr Begehren auf Zahlung des laufenden Unterhalts in zeitlicher Hinsicht mit dem rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens begrenzt. Dessen ungeachtet habe das Erstgericht ihr laufenden Unterhalt von 676 EUR ab 1. 1. 2020 zeitlich unbegrenzt zugesprochen. Es habe damit zwar gegen die Bestimmung des § 405 ZPO verstoßen. Ein solcher Verstoß bewirke aber bloß eine Mangelhaftigkeit der Entscheidung und könne nur aufgrund einer darauf gerichteten Rüge wahrgenommen werden. Der Ehemann habe den in erster Instanz erfolgten Zuspruch auch insoweit unbekämpft gelassen, sodass er in Rechtskraft erwachsen sei, und der Mangel in dritter Instanz nicht mehr aufgegriffen werden könne. Dies habe zur Folge, dass der Ehefrau ab 1. 1. 2020 laufender Unterhalt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens von 700 EUR monatlich zustehe; für die Zeit danach bleibe es beim Zuspruch von monatlich 676 EUR.

[3] Im vorliegenden Verfahren strebt der klagende Ehemann an, festzustellen,seine Verpflichtung zur Leistung von Ehegattenunterhalt von monatlich 676 EUR sei mit dem Tag der Rechtskraft des Scheidungsurteils am 17. 7. 2020 erloschen.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Ein Urteil, mit dem eine Unterhaltsleistung aufgetragen werde, wirke nicht über die rechtskräftige Auflösung der Ehe hinaus. Den erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Unterhaltsverfahren erfolgten Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils habe der Oberste Gerichtshof nicht wahrnehmen können.

[5] Das Berufungsgericht gab einer Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab, weil der Oberste Gerichtshof im Unterhaltsverfahren ausdrücklich auch nachehelichen Unterhalt zugesprochen habe. Mit Feststellungsklage könne die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen nicht bekämpft werden. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Verhältnis von § 405 ZPO zu § 228 ZPO in Unterhaltsverfahren vorliege und der Oberste Gerichtshof zu 1 Ob 155/20f – entgegen 3 Ob 89/09y – auch im Spruch Unterhalt für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung zuerkannt habe.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die von der Beklagten beantwortete ordentliche Revision des Klägers, mit der er die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstrebt, ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird.

[7] 1. Mit Feststellungsklage können – was die Revision auch nicht bezweifelt – weder die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen bekämpft noch diese als unwirksam festgestellt werden (Klauser/Kodek, JN-ZPO18 § 228 ZPO E 9; Frauenberger/Pfeiler in Fasching/Konecny³ III/1, § 228 ZPO Rz 10). Dass dies auch für unterhaltsrechtliche Entscheidungen gilt, ist selbstverständlich und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[8] 2. Die durch die materielle Rechtskraftbewirkte Maßgeblichkeit der Entscheidung äußert sich in einer inhaltlichen Bindung an diese, wenn der rechtskräftig entschiedene Anspruch Vorfrage, also bedingendes Rechtsverhältnis für den im zweiten Prozess erhobenen Anspruch ist (RS0041251).

[9] Vorfrage für die Berechtigung des hier zu prüfenden Feststellungsbegehrens ist, ob der Unterhaltsanspruch der Beklagten durch den rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens erloschen ist. Darüber wurde aber bereits im Unterhaltsverfahren (gegenteilig) abgesprochen.

[10] Sowohl aus dem Spruch der Entscheidung des ersten Senats als auch den zur Ermittlung des Ausmaßes der Bindungswirkung hilfsweise heranzuziehenden Entscheidungsgründen (RS0043259) geht eindeutig der Zuspruch von Unterhalt auch für den Zeitraum nach rechtskräftigem Abschluss des Scheidungsverfahrens hervor.

[11] Zwar bezieht sich die Rechtskraft auf die Sachlage, wie sie im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz vorliegt, sodass nachträgliche Änderungen des rechtserzeugenden Sachverhalts nicht von der Rechtskraftwirkung umfasst werden (RS0039887). Die Fixierung der für die Rechtskraft maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen mit dem Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz ergibt sich aber daraus, dass die Sachgrundlage privatrechtlicher Ansprüche ständigen Änderungen unterworfen ist, die aufgrund des Neuerungsverbots im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich auch nicht mehr wahrgenommen werden können. Gerichtliche Entscheidungen können Richtigkeit daher nur für die Sachlage zu einem bestimmten Zeitpunkt für sich in Anspruch nehmen (Klicka in Fasching/Konecny³ III/2 § 411 ZPO Rz 85). Der – dem ersten Senat bekannte – rechtskräftige Abschluss des Scheidungsverfahrens wurde aber entgegen der Argumentation des Revisionswerbers sowohl im Spruch der Entscheidung als auch in den Entscheidungsgründen explizit (vorweg) berücksichtigt und es wurde unter Hinweis auf die vom Kläger insoweit unterbliebene Anfechtung auch für den Zeitraum danach Unterhalt zuerkannt. Eine relevante, nicht von der Rechtskraft erfasste Sachverhaltsänderung liegt daher nicht vor, mag die Rechtskraft des Scheidungsurteils auch erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Unterhaltsverfahren eingetreten sein.

[12] 3. Ob der unbefristete Unterhaltszuspruch durch das Erstgericht im Unterhaltsverfahren im Hinblick auf den Umstand, dass eheliche Unterhaltstitel grundsätzlich mit Rechtskraft der Scheidung unwirksam werden (RS0047233; 2 Ob 58/13p Pkt 9.) einen als Mangelhaftigkeit (RS0041240; RS0041089) geltend zu machenden Verstoß gegen § 405 ZPO dargestellt hat, ist nicht zu prüfen, weil im Rahmen der Feststellungsklage die Rechtskraft der Vorentscheidung nicht bekämpft werden kann.

[13] 4. Die Revision vermag daher im Ergebnis keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

[14] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296). Der in zweiter Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (RS0129365 [T3]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte