OGH 9ObA73/22h

OGH9ObA73/22h31.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Christian Lewol (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * L*, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei * S* GmbH, *, vertreten durch Mag. Bert Ortner Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 12.061,66 EUR brutto (Revisionsinteresse: 9.625 EUR brutto sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2022, GZ 9 Ra 2/22p‑27, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00073.22H.0831.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

[1] Der Kläger wurde bei der Beklagten (Betreuungseinrichtung für männliche unbegleitete mündige minderjährige Fremde) nach seinem Dienstvertrag als „Nachtbetreuer/Portier“ aufgenommen. Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass er aufgrund seiner Tätigkeit nicht in die Verwendungsgruppe 2 (ua „Portierinnen“), sondern entsprechend seinem Begehren in die Verwendungsgruppe 7 (ua „Fachkraft für Flüchtlingsbetreuung“) des Kollektivvertrags der Sozialwirtschaft Österreich einzustufen sei.

Rechtliche Beurteilung

[2] In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[3] Nach ihrer Auffassung sei das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, weil es keinen „Blick über den Kollektivvertragsrand“ vorgenommen habe. Mangels kollektivvertraglicher Umschreibung des Berufsbildes Portier habe sich die Beklagte auf das im Kollektivvertrag im Bewachungsgewerbe umschriebene Berufsbild der „Verwendungsgruppe A im Wachdienst“ berufen. Dass der Kläger mit den anwesenden Personen im Bedarfsfall kommuniziere und ihnen allgemeine Hilfestellung leiste sowie die Sicherheit gewährleiste, sei der Arbeit und Kommunikation mit Menschen in der Sozialwirtschaft geschuldet. Die höheren Anforderungen seien von den Kollektivvertragsparteien bei der Festsetzung der Mindestentgelte in der Verwendungsgruppe 2 berücksichtigt worden. Die Leistungen des Klägers gehörten zum entsprechenden Berufsbild eines Portiers.

[4] Mit diesen Erwägungen ist für die Beklagte nichts gewonnen:

[5] 1. Für die Einstufung in eine Verwendungsgruppe kommt es auf die Tätigkeitsmerkmale, auf den Inhalt der Arbeit und die vorwiegend ausgeübte tatsächliche Tätigkeit an (RS0064956; RS0064705). Aus den umfassenden Feststellungen des Erstgerichts geht hervor, dass die Beklagte nach dem mit der Republik Österreich (BMI) geschlossenen Betreuungsvertrag 24h am Tag, sieben Tage die Woche eine ausreichend hohe Anzahl von geschulten und ausgebildeten Betreuern einzusetzen hat. Die Jugendlichen wissen, dass das Büro der Sozialbetreuer rund um die Uhr besetzt ist und sie sich jederzeit an einen Mitarbeiter wenden können. Der Kläger ist einer von zwei Nachtbetreuern. Er hat – ebenso wie die den Tagdienst versehenden und in die Verwendungsgruppe 7 eingestuften Mitarbeiter – den Lehrgang „Interkulturelle Kompetenzen und Diversität“ absolviert und versieht den Nachtdienst jeweils alleine. Hervorzuheben ist zusammengefasst, dass er Ansprechpartner für Jugendliche, ua auch für verschiedene medizinische Probleme, ist, bei Streitereien oder Raufhandel deeskalierend einzugreifen versucht und auch differenzierte Berichts-, Dokumentations- und Verständigungspflichten hat. Die Standeskontrolle kurz vor 22h erfolgt gemeinsam durch Mitarbeiter des Tages- und des Nachtdienstes. Mag auch die Nachtbetreuung von Flüchtlingen nicht die gleiche Intensität an Aktivitäten wie am Tag haben, könnte danach selbst dann nicht von einer überwiegenden Tätigkeit des Klägers als Portier ausgegangen werden, wenn man den Begriff in dem von der Beklagten dargelegten Sinn versteht.

[6] 2. Die konkrete Einstufung in eine Kollektivvertragsgruppe als solche, die anhand der konkreten Tätigkeit zu erfolgen hat, kann stets nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Sie stellt damit – soweit es nicht um eine allgemeine Auslegungsfrage hinsichtlich des Kollektivvertrags geht – regelmäßig keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (vgl RS0110650 [T2]; RS0107154 [T11]). Das ist nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen auch hier nicht der Fall, zumal der Kollektivvertrag speziell für den Bereich der Flüchtlingsbetreuung – und anders als etwa in den von der Beklagten vergleichsweise angesprochenen Bereichen – keine weiteren Differenzierungen nach Verwendungsgruppen kennt.

[7] 3. Die Revision der Beklagten ist mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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