OGH 15Ns47/22p

OGH15Ns47/22p29.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. August 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * G* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB, AZ 319 Hv 4/22y des Landesgerichts Korneuburg, über Vorlage durch das Oberlandesgericht Wien gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO (AZ 19 Bs 42/22y) nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150NS00047.22P.0829.000

 

Spruch:

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Linz zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift übermittelt.

 

Gründe:

[1] Mit Anklageschrift vom 10. Jänner 2022, AZ 1 St 34/15h, GZ 319 Hv 4/22y‑258 des Landesgerichts Korneuburg legt die Staatsanwaltschaft Korneuburg * G* als Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB (A./) und * K*, H* M* und P* M* (B./ bis D./) jeweils als Verbrechen der Untreue als Beitragstäter nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB beurteiltes Verhalten zur Last.

[2] Danach haben – zusammengefasst –

A./ * G* im Zeitraum 20. April 2011 bis Ende 2015 in H* und andernorts die ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht, indem er als Prokurist der G* GmbH bei in der Anklageschrift unter 1./ bis 8./ bezeichneten Bauvorhaben für vereinbarungsgemäß gelegte Scheinrechnungen der H* GesmbH über tatsächlich nicht erbrachte Leistungen einen Gesamtbetrag in Höhe von 708.407,21 Euro an diese anweisen ließ, wodurch der G* GmbH ein Vermögensnachteil in dieser Höhe zugefügt und durch die Tat somit ein 300.000 Euro übersteigender Schaden herbeigeführt wurde;

B./ * K* zu den von * G* unter Punkt A./1./f./, m./-p./, A./5./ und A./8./ geschilderten strafbaren Handlungen durch Bestätigung der inhaltlich falschen Lieferscheine zu den in diesen Punkten angeführten Rechnungen über tatsächlich nicht erbrachte Leistungen und Lieferungen beigetragen, wodurch der G* GmbH ein Vermögensnachteil in Höhe von insgesamt 350.154,94 Euro zugefügt wurde;

C./ H* M* als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der H* GesmbH zu den von * G* unter Punkt A./ geschilderten strafbaren Handlungen beigetragen, indem er die Erstellung und Legung von Lieferscheinen über tatsächlich nicht erbrachte Leistungen und Lieferungen an die G* GmbH veranlasste und organisierte und teilweise selbst die angeführten Lieferscheine unterschrieb, wodurch der G* GmbH ein Vermögensnachteil in Höhe von insgesamt 708.407,21 Euro zugefügt wurde;

D./ * Mü* als Disponent der H* GesmbH zu den von * G* unter Punkt A./ geschilderten strafbaren Handlungen beigetragen, indem er die Erstellung und Legung von Lieferscheinen über tatsächlich nicht erbrachte Leistungen und Lieferungen an die G* GmbH veranlasste und organisierte, wodurch der G* GmbH ein Vermögensnachteil in Höhe von insgesamt 708.407,21 Euro zugefügt wurde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen die Anklageschrift erhob der Angeklagte * G* (fristgerecht) einen auf § 212 Z 6 StPO gestützten Einspruch (ON 261).

[4] Mit Beschluss vom 29. Juni 2022, AZ 19 Bs 42/22y, legte das Oberlandesgericht Wien – nach Verneinen der Einspruchsgründe der Z 1 bis 4 des § 212 StPO (vgl RIS‑Justiz RS0124585) – die Akten gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht, nämlich das Landesgericht Linz, zur Führung des Hauptverfahrens zuständig sei.

[5] Gemäß § 31 Abs 3 Z 6a StPO kommt vorliegend dem Landesgericht als Schöffengericht das Hauptverfahren zu.

[6] Die örtliche Zuständigkeit ist auch bei Subsumtionseinheiten hinsichtlich jeder der zusammenzufassenden Straftaten nach den Kriterien des § 36 StPO zu ermitteln. Möglicher Anknüpfungspunkt für die nach § 37 Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO vorzunehmende Beurteilung, welches Gericht für das wegen aller Straftaten gemeinsam zu führende Hauptverfahren örtlich zuständig ist, ist dabei jeder einzelne der Tatorte (weil an jedem eine Ausführungshandlung gesetzt wurde [§ 36 Abs 3 StPO]), es sei denn, ein Umstand, welcher die sachliche Zuständigkeit eines höherrangigen Gerichts (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO) nach sich zieht (hier relevant ein 50.000 Euro übersteigender Schaden – § 31 Abs 3 Z 6a StPO), wäre nach der Verdachtslage durch eine einzige dieser Straftaten verwirklicht worden (RIS-Justiz RS0131445; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 5/1 mwN; Nordmeyer, WK-StPO § 26 Rz 8/1).

[7] Bezugspunkt für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand. Bei der Beurteilung, wo die Straftat begangen wurde, orientiert sich das Gericht – ohne Bindung an die Ortsangaben in der Anklageschrift – an der Aktenlage (vgl RIS-Justiz RS0131309).

[8] Ab Einbringung der Anklageschrift bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit nach der Rangordnung des § 36 StPO. In Einklang mit der staatsanwaltschaftlichen Zuständigkeitsregelung des § 25 StPO ist der Ort der (versuchten) Tatausführung maßgeblich (Oshidari, WK‑StPO § 36 Rz 6; Fabrizy/Kirchbacher StPO14 § 36 Rz 4; RIS‑Justiz RS0127231).

[9] Im Falle gleichzeitiger Anklage – wie hier – mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) ist das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen (§ 37 Abs 1 erster Satz StPO; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 1 f; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 37 Rz 1 f).

[10] Wie das Oberlandesgericht Wien zutreffend ausführt (insb BS 15 f), ergibt sich aus der Aktenlage für die zu A./ angeführten Taten der Tatort P*, welcher sich im Sprengel des Landesgerichts Linz befindet. Nach der Verantwortung des Angeklagten * G* wurden die gesammelten Lieferscheine in die Zentrale der G* GmbH nach P* gebracht. Nach Einlangen der an die genannte GmbH in * adressierten Rechnungen der H* GesmbH sollen diese – nach deren Prüfung auf ihre Richtigkeit – von ihm freigegeben und von seiner Sekretärin an die Buchhaltung zum Zahlungslauf übergeben worden sein (vgl Beschuldigtenvernehmung * G* ON 249 [insbesondere] S 81).

[11] Da demnach nach den bisherigen Verfahrensergebnissen von einem präsumtiven Tatort im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Oberlandesgerichts Linz auszugehen ist, hat dieses Gericht über den Einspruch zu entscheiden (RIS-Justiz RS0124585).

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