OGH 7Ob126/22p

OGH7Ob126/22p24.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* Ges.m.b.H., *, vertreten durch Prettenhofer Raimann Pérez Tschuprina Rechtsanwaltspartnerschaft (OG) in Wien, gegen die beklagte Partei L* AG, *, vertreten durch Dr. Herbert Holzinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 120.692,91 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 28. April 2022, GZ 18 R 11/22d‑79, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 26. November 2021, GZ 14 C 267/21y‑42, idF des Berichtigungsbeschlusses vom 30. November 2021 (ON 47), bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00126.22P.0824.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.313,72 EUR (darin enthalten 385,62 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin betreibt Handel mit Waren aller Art, insbesondere mit Hygieneprodukten und Hygienepapier. Die Beklagte führt ein Speditions‑ bzw Transportunternehmen. Die Klägerin beauftragte die Beklagte im September und Oktober 2020 mit zwölf (noch gegenständlich zehn) Transporten von Hygienepapier, elf Mal vom Lager der Klägerin in Österreich nach Frankreich bzw Großbritannien sowie ein Mal von Polen nach Großbritannien. Zur Durchführung der Transporte bediente sich die Beklagte elf verschiedener Frachtführer. Nach Ablieferung des Transportguts stellte sich heraus, dass die bestellten Waren an Personen abgeliefert wurden, die jeweils betrügerisch unter Verwendung fremder Namen und zwar der Unternehmen „M* F*“, „S* E*“, „S* S*“, und „B* Limited“ bei der Klägerin Hygieneartikel, ohne Absicht diese zu bezahlen, bestellten.

Auftrag Nr 449:

[2] Die Klägerin erteilte der Beklagten den Auftrag, die Fracht an die „M* F*“, Adresse * L* T*, zu liefern. Am 9. 9 2020, zu einem Zeitpunkt als sich der Lkw bereits bei der angegebenen Entladestelle befand, teilte die zuständige Mitarbeiterin der Klägerin dem zuständigen Disponenten der Beklagten mit, dass sie vom Kunden eben die Information erhalten habe, dass die Ablieferung an eine andere Adresse der M* F*, und zwar * A* erfolgen solle. Weiters nannte sie als Kontaktperson des Empfängers Mr. P* D* unter Angabe einer Telefonnummer. Der Disponent informierte die Mitarbeiterin der Klägerin am 10. 9. 2020, dass der Lkw an der neuen Adresse nicht entladen werden könne, weil dort eine Firma M* F* nicht existiere. Die Mitarbeiterin der Klägerin antwortete darauf per E‑Mail, dass ihre Kontaktperson bei der Empfangsstelle, Mr. P* D*, mitgeteilt habe, dass der Lkw um 9:00 Uhr entladen werde. Der Disponent ersuchte die Mitarbeiterin der Klägerin um die genauen Koordinaten. Die Mitarbeiterin der Klägerin antwortete nach Nachfrage beim Kunden, dass dieser jeden Moment da und die angegebene Adresse korrekt sei. Sieverwies noch darauf, dass die Kontaktperson telefonisch kontaktiert werden solle. Der Fahrer traf nach einem Telefonat des Disponenten mit der von der Klägerin genannten Kontaktperson ein und der Lkw wurde an der Adresse * A*, entladen.

Auftrag Nr 482:

[3] Die Klägerin erteilte der Beklagten am 14. 9. 2020 einen Transportauftrag von P* zur Entladestelle der M* F* * T*. Der Disponent rief die Mitarbeiterin der Klägerin an und teilte mit, dass an dieser Adresse der Lkw schon ein Mal gewesen und weggeschickt worden sei. Er habe bei Google nachgesehen, eine Firma M* F* gebe es dort nicht. Die Mitarbeiterin der Klägerin antwortete, dass sie eben die Information des Kunden erreicht habe, dass der Lkw wie beim ersten Auftrag wieder nach  *A*, müsse. Auch hier wurde als Kontaktperson Mr. P* D* samt Telefonnummer bekanntgegeben. Der Fahrer wurde an der angegebenen Adresse von der bekanntgegeben Kontaktperson erwartet und der Lkw entladen.

Auftrag Nr 518:

[4] Am 18. 9. 2020 stellte die Klägerin eine Anfrage an die Beklagte hinsichtlich eines Transports nach Großbritannien mit der Entladestelle in Großbritannien, *, K*. Am 21. 9. 2020 teilte sie der Beklagten mit, dass sich die Anlieferstelle geändert habe auf * H*. Sie übermittelte dann mit Mail den Transportauftrag mit Abholtermin 28. 9. 2020 in P*, in dem sie die Entladestelle mit „B* Limited“, * H*, bekanntgab. Nach Auskunft des Kunden sollte es sich dabei um ein Außenlager handeln. Am 29. 9. 2020 fragte der zuständige Disponent der Beklagten per Mail bei der Klägerin nach, ob die Anlieferung an der genannten Adresse in Ordnung gehe. Die Mitarbeiterin der Klägerin bestätigte dies und teilte mit, dass die Kennzeichen von Lkw sowie Aufleger der Kontaktpersonbei der Warenannahme bekannt gegeben worden seien. Die Ablieferung verzögerte sich dann auf den 2. 10. 2020; an diesem Tag lieferte der Fahrer das Transportgut an der Entladestelle „B* Limited“ * H*, ab.

Aufträge Nr 519 und 520:

[5] Die Klägerin beauftragte die Beklagte am 22. 9. 2020 mit den Transporten Nr 519 und  520 gleichfalls zur Entladestelle B* Limited“, *, H*.

[6] Hinsichtlich des Transportauftrags Nr 519 kündigte der Disponent der Beklagten am 1. 10. 2020 der Klägerin an, dass die Lieferung voraussichtlich am 5. 10. 2020 um ca 12:00 Uhr erfolgen werde und bat, der Entladestelle Bescheid zu geben. Die Mitarbeiterin der Klägerin bestätigte, dass die Entladestelle bereits über die geplante Ankunft informiert worden sei. Am 6. 10. 2020 lieferte der Fahrer das Transportgut an der genannten Adresse ab, wo er bereits erwartet wurde.

[7] Betreffend den Transportauftrag Nr 520 gab der Disponent der Beklagten am 2. 10. 2020 der Mitarbeiterin der Klägerin nochmals das Kennzeichen des Lkw und auch den Namen des Fahrers bekannt und nannte die Zeiten der Entladung am 7. 10. 2020 um 9:00 Uhr. Die Mitarbeiterin der Klägerin teilte mit, den Kunden informiert zu haben. Am 6. 10. 2020 fragte der Disponent der Beklagten bei der Mitarbeiterin der Klägerin nach, ob die Entladung erst am 8. 10. 2020 erfolgen könne, was die Mitarbeiterin der Klägerin dem Kunden bekanntgab. Der Disponent erhielt in weiterer Folge die Mitteilung der Mitarbeiterin der Klägerin, dass der Kunde sie soeben über eine geänderte Adresse informiert habe. Nach Rücksprache mit dem Kunden sei diese 15–20 Minuten von H* entfernt. Die Fracht solle nach *, B*, geliefert werden. Die namentlich von der Klägerin genannte Kontaktperson sei über die Anlieferung informiert worden. Die Ablieferung erfolgte an der zuletzt genannten Adresse.

Auftrag Nr 530:

[8] Mit Transportauftrag Nr 530 vom 24. 9. 2020 beauftrage die Klägerin die Beklagte mit der Durchführung eines Transports von P* zur Entladestelle S* E* A*. An diese Adresse hatte die Beklagte für die Klägerin zu diesem Zeitpunkt schon zwei Mal ohne jede Beanstandung geliefert. Die Klägerin teilte sodann telefonisch und per E‑Mail am 28. 9. 2020 mit, dass der Kunde gebeten habe, die Ware nicht nach A* zu liefern, da das Lager aufgrund eines Zwischenfalls für die nächsten zehn Tage geschlossen worden sei, sondern an S* E*, 4 Rue du C*, * T*. Weiters gab sie eine Kontaktperson und deren Telefonnummer an. Am 30. 9. 2020 wurde das Frachtgut an dieser Adresse abgeliefert.

Auftrag Nr 532:

[9] Mit Transportauftrag Nr 532 beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Durchführung eines Transports von P* an die Entladestelle S* E*, 4 Rue du C* T*. Am 2. 10. 2020 teilte der Disponent der Beklagten der Mitarbeiterin der Klägerin mit, dass der Lkw seit 9:00 Uhr an der Entladestelle stehe und bis jetzt nicht entladen worden sei und ersuchte um Prüfung. Die Mitarbeiterin der Klägerin antwortete, dass sie Rücksprache mit dem Kunden gehalten habe, er habe ihr mitgeteilt, dass es aufgrund des starken Regens zur Verzögerung gekommen sei, der Lkw werde aber bereits entladen. Der Fahrer entlud am 2. 10. 2020 an der genannten Entladestelle.

Auftrag Nr 546:

[10] Mit Transportauftrag Nr 546 vom 30. 9. 2020 beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Durchführung eines Transports von P* zur Entladestelle S* E*, 4 Rue du C* T*, unter Nennung einer Kontaktperson. Am 9. 10. 2020 entlud der Fahrer an dieser Adresse.

Auftrag Nr 569:

[11] Mit Transportauftrag Nr 569 vom 8. 10. 2020 beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Durchführung eines Transports von P* an S* S*, 2 Rue du C* T*, unter Nennung einer Kontaktperson. An dieser Adresse befindet sich ein Stadion, eine Entladung ist nicht möglich. Die den Fahrer erwartende Kontaktperson wies diesen an, zu 4 Rue du C* T*, zu fahren, wo der Fahrer letztlich auch entlud. Da die Entladung an einer anderen Adresse erfolgte, fragte der Disponent der Beklagten bei der Mitarbeiterin der Klägerin an, ob dies in Ordnung sei, was diese nach Rücksprache mit dem Kunden bestätigte.

Auftrag Nr 592:

[12] Mit Transportauftrag Nr 592 vom 13. 10. 2020 beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Durchführung eines Transports von P* an die Entladestelle S* S*, 4 Rue du C* T*. Die Ablieferung erfolgte an diese Adresse, an der der Fahrer von einer Kontaktperson erwartet wurde.

[13] Die Klägerin begehrte die Zahlung von 120.692,91 EUR sA. Nach jeweiliger Ablieferung des Transportguts habe sich herausgestellt, dass die Beklagte die Warenlieferung nicht an das jeweilige, in den Transportaufträgen genannte Empfängerunternehmen, sondern vielmehr an eine Betrügerbande abgeliefert habe. Aufgrund von zahlreichen Verdachtsmomenten hätte den von der Beklagten eingesetzten Fahrern jedoch auffallen müssen bzw habe sich geradezu aufgedrängt, dass es sich im konkreten Fall nicht um die Warenübernahme- bzw Entladestelle des im Auftrag angegebenen Empfängers, sondern vielmehr um Betrüger gehandelt habe. Durch die mangelnde Sorgfalt der Beklagten bzw der ihr jeweils zuzurechnenden Fahrer sei es zu einem Verlust des Transportguts im Sinn des Art 17 Abs 1 CMR gekommen und der Klägerin ein Schaden entstanden, bestehend aus Einkaufswert des Transportguts, Einkaufswert des Leerguts und bezahlte Transportkosten, die angesichts der Wertlosigkeit der erbrachten Leistung zurückgefordert würden, wie folgt:

Auftrag 569 9.602,84 EUR

Auftrag 449 9.173,24 EUR

Auftrag 482 9.173,24 EUR

Auftrag 518 10.342,68 EUR

Auftrag 519 9.514,71 EUR

Auftrag 520 9.822,60 EUR

Auftrag 575 8.784,30 EUR

Auftrag 576 12.478,73 EUR

Auftrag 530 12.855,22 EUR

Auftrag 532 9.493,36 EUR

Auftrag 546 8.356,38 EUR

Auftrag 592 11.095,61 EUR.

[14] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der der Klägerin durch einen Bestellbetrug entstandene Schaden sei nicht der Beklagten zuzurechnen, eine Pflichtverletzung der Erfüllungsgehilfen der Beklagten liege nicht vor. Die Klägerin habe selbst sorglos gehandelt und der Beklagten ausdrückliche, immer wieder kurzfristig geänderte und von der Beklagten eingehaltene Anweisungen gegeben.

[15] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es fehle bereits an einem zu ersetzenden Schaden und hinsichtlich des eingetretenen Schadens an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Die Klägerin sei einem Bestellbetrug zum Opfer gefallen. Der Schaden der Klägerin liege schon im Entzug des Guts ohne Erhalt der Gegenleistung bzw einer entsprechenden Sicherung. Selbst wenn man den Schaden erst durch die Ablieferung der Güter als eingetreten ansehen wollte, träfe die Beklagte keine Haftung. Sämtliche Ablieferungen seien nämlich an die von der Klägerin genannten im Sinn der CMR berechtigten Empfänger erfolgt. Mit der Ablieferung des Guts habe der Obhuts‑ und damit Haftungszeitraum des Frachtführers gemäß Art 17 Abs 1 CMR geendet. Aber auch wenn man den Verlust während des Obhutszeitraums der Beklagten bejahen würde, hätte die Beklagte dargelegt, dass es sich um ein unabwendbares Ereignis gemäß Art 17 Abs 2 CMR gehandelt habe. Sie habe ausreichend Sorgfaltsmaßnahmen getroffen, um die ordnungsgemäße Abwicklung des Transports zu gewährleisten. Obwohl sämtliche Ablieferadressen von der Klägerin bekannt gegeben worden seien, habe die Beklagte– im Gegensatz zur Klägerin – Adressen über Google‑Maps überprüft und die Klägerin auf Auffälligkeiten wie bei M* F* aufmerksam gemacht. Schließlich habe die Beklagte in mehreren Fällen nochmals Weisungen nach Ankunft an den Entladestellen eingeholt, um sicherzustellen, dass die Ware an die richtigen Empfänger ausgefolgt werde. Es hätten sich Lagerhallen und/oder Kontaktpersonen an den von der Klägerin bekanntgegebenen Adressen befunden und habe die Beklagte aufgrund der festgestellten Gegebenheiten bei den Entladestellen keinen Verdacht schöpfen müssen, dass es sich um Betrüger handeln könnte.

[16] Der gegen dieses Urteil – mit Ausnahme der Abweisung der Klagebegehren im Zusammenhang mit den Aufträgen Nr 575 und 576 – erhobenen Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht keine Folge. Es liege bereits kein „Verlust“ im Sinn des Art 17 Abs 1 CMR vor. Maßgeblich für den Verlust sei allein, dass der Frachtführer die Pflicht zur Ablieferung an den berechtigten Empfänger (hier: die Betrüger) nicht erfülle. Diese Voraussetzung sei nicht gegeben.

[17] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weiloberstgerichtliche Rechtsprechung zu Art 17 CMR im Zusammenhang mit einem Bestellbetrug fehle; in der – soweit ersichtlich (diesbezüglich einzigen) Entscheidung 4 Ob 157/06a habe sich der Oberste Gerichtshof im Rahmen der Zurückweisung einer außerordentlichen Revision mit der hier relevanten Frage inhaltlich nicht (näher) auseinandergesetzt.

[18] Gegen dieses Urteil im Umfang der Klagsabweisung von 79.245,88 EUR sA (Wert des Transports‑ und Leerguts, die Abweisung des Klagebegehrens im Umfang der Transportkosten ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen) wendet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, es insoweit im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[19] Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

[20] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[21] 1.1 Nach Art 17 Abs 1 CMR haftet der Frachtführer für gänzlichen oder teilweisen Verlust [...], des Guts, sofern der Verlust [...] zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Guts und seiner Ablieferung eintritt [...]. Gemäß Art 17 Abs 2 CMR ist der Frachtführer von dieser Haftung befreit, wenn der Verlust [...] durch Umstände verursacht worden ist, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte.

[22] 1.2 Zu klären ist, ob Fälle eines Bestellbetrugs zum Verlust des Transportguts im Sinn des Art 17 Abs 1 CMR führen. Bei Bejahung dieser Frage, bedürfte es dann der weiteren Prüfung des Vorliegens des hier geltend gemachten Haftungsbefreiungsgrundes nach Art 17 Abs 2 letzter Satz CMR.

[23] 2.1 Der Entscheidung 4 Ob 157/06a lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Die Beklagte hatte dort die – wie sich später herausstellte von Betrügern – bei der Klägerin (Auftraggeberin) bestellte Ware an der ihr bekanntgegebenen Lieferadresse zugestellt und dort jener Person übergeben, die sich dem Fahrer gegenüber als Vertreter der von der Klägerin genannten Empfängerin (einer Kapitalgesellschaft) vorstellte. Spätere Erhebungen ergaben, dass die als Empfängerin bekanntgegebene (tatsächlich existierende) Kapitalgesellschaft an der angegebenen Zustelladresse keine Niederlassung besitzt. Die Vorinstanzen hatten die auf Zahlung des Warenwerts gerichtete Klage der Absenderin gegen den Frachtführer abgewiesen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts könne sich die Beklagte auf die Haftungsbefreiung des Art 17 Abs 2 CMR stützen, weil sie kein Verschulden am Verlust des Ladeguts treffe. Die von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision wurde zurückgewiesen: Der Oberste Gerichtshof sprach aus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts den Grundsätzen der Rechtsprechung entspreche, dass die Falschauslieferung des Transportguts an einen nicht Berechtigten einen Fall des Verlusts des Transportguts darstelle. Ob ein bestimmtes Verhalten unter der generalklauselartig formulierten Haftungsausschlusstatbestand falle, entziehe sich einer generalisierenden Betrachtung und könne regelmäßig nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.

[24] 2.2 Soweit damit – obiter – der Verlust nach Art 17 Abs 1 CMR in Fällen des Bestellbetrugs bejaht wurde, wird dieser Rechtsauffassung nicht beigetreten.

[25] 3. Die Bestimmung der Obhutszeit durch die Begriffe „Annahme“, „Übernahme“ und „Ablieferung“ ist den meisten frachtvertraglichen Haftungsregelungen gemeinsam.

[26] 3.1 Die Annahme bedeutet den Erwerb des mittelbaren oder unmittelbaren Besitzes zum Zweck der alsbaldigen Beförderung (vgl 7 Ob 32/20m).

[27] 3.2 Der Obhuts‑ und damit der Haftungszeitraum des Art 17 Abs 1 CMR endet mit der Ablieferung (Thume in Thume, CMR‑Kommentar3, Art 17 Rn 20). Eine Ablieferung nach Art 17 CMR kann nur an den vom Verfügungsberechtigten bestimmten Ablieferungsort erfolgen (Boesche in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch4, Art 17 CMR Rn 12). Nach Art 12 Abs 24 CMR kann sowohl der Absender als auch der Empfänger oder ein Dritter bis zur Ablieferung verfügungsberechtigt sein (ThumeaaO Art 12 CMR Rn 31). Mit Abschluss des Frachtvertrags ist grundsätzlich zunächst der Absender als Vertragspartner des Frachtführers Inhaber des Verfügungsrechts (Thume aaO Art 12 CMR Rn 32). Nach Art 12 Abs 1 CMR kann dieser insbesondere verlangen, dass der Frachtführer das Gut nicht weiterbefördert, den für die Ablieferung vorgegebenen Ort ändert oder das Gut einem anderen als dem im Frachtbrief angegebenen Empfänger abliefert.

[28] 3.3 Schließlich muss die Ablieferung beim rechtmäßigen Empfänger des Guts erfolgen. Das ist derjenige, an den nach dem Willen des Absenders das Gut abgeliefert werden soll. Als berechtigt ist demnach entweder der vom Absender bei Vertragsabschluss dem Frachtführer genannte und im Frachtbrief bezeichnete oder der vom Absender später einvernehmlich mit dem Frachtführer festgelegte oder aber aufgrund einer ordnungsgemäß erfolgten Weisung bestimmte Empfänger (vgl Thume aaO Art 17 CMR Rn 24,63; Jesser‑Huß in Münchener Kommentarzum HGB4 Art 17 CMR Rn 22; Otte in Ferrari/Kieninger/Mankowski, Internationales Vertragsrecht3 Art 17 CMR Rn 25; Koller, Transportrecht10Art 17 CMR Rn 7).

[29] 3.4 Liefert der Frachtführer demnach an einen– in diesem Sinn – berechtigten Empfänger, tritt kein Verlust während seines Obhutszeitraums ein. Dabei ist irrelevant, ob der im obigen Sinn berechtigte Empfänger ein Betrüger ist, der unter falschem Namen vom Absender gekauft hat (Czoklich in Artmann, UGB3 Art 17–19 CMR Rz 4; Zehetbauer in Zib/Dellinger, UGB Großkommentar IV Art 17–19 CMR Rz 99 iVm Fn 262; Jaegers in Knorre/Demuth/Schmid, Handbuch Transportrecht, B.II Rz 416). Den Frachtführer trifft keine besondere Pflicht, den Absender vor wirtschaftlichen Risiken, die mit der Erfüllung des dem Transportauftrag zugrunde liegenden Geschäfts verbunden sind, zu schützen. Es gehört demnach nicht zu den Pflichten des Frachtführers, betrügerische Handlungen des Vertragspartners des Absenders aufzudecken. Insoweit trägt der Absender allein das Risiko der Zahlungsunwilligkeit und Zahlungsunfähigkeit des Bestellers.

[30] 3.5 Ein Vergleich mit Diebstahl oder Raub des Frachtguts während des Obhutszeitraums verbietet sich. In diesem Fall wird das Frachtgut direkt der Gewahrsame des Frachtführers entzogen. Bei einem Bestellbetrug veranlasst der Betrüger den Absender, ihn dem Frachtführer gegenüber als berechtigten Empfänger anzugeben und von diesem das Transportgut entsprechend dem zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Willen des Absenders übergeben zu erhalten.

[31] 4.1 Die Ablieferung erfolgte hier in allen Fällen an den (vorgeblichen) Vertragspartner der Klägerin und demnach an den von ihr bestimmten Empfänger. Die Beklagte führte die Ablieferung an den bereits im Auftrag angeführten Adressen (Aufträge Nr 518, 519, 532, 546, 592), an den noch vor Beginn der Ablieferung von der Klägerin nach Rücksprache mit dem Kunden geänderten Adressen (Aufträge Nr 482, 530) und an den im zeitlichen Zusammenhang mit der konkreten Ablieferung nach Rückfrage durch die Beklagte geänderten Adressen (Aufträge Nr 459, 520) durch. Beim Auftrag Nr 569 wurde im Auftrag zwar die Adresse 2  Rue du C* T*, angeführt, an welcher der Frachtführer von der Kontaktperson erwartet und angewiesen wurde die Entladung doch an der bereits von früheren Anlieferungen bekannten Entladestelle 4 Rue du C* T*, vorzunehmen. Nach Rückfrage durch die Beklagte und Nachfrage beim Kunden bestätigte die Klägerin die Ordnungsmäßigkeit dieses Vorgehens. An den von der Klägerin genannten Adressen trafen die Frachtführer auch jeweils Repräsentanten der vorgeblichen Vertragspartner und von der Klägerin bestimmten Empfängern an.

[32] 4.2 Vor diesem Hintergrund ist den Vorinstanzen zuzustimmen, dass die Ablieferung jeweils an den berechtigten Empfänger erfolgte und daher kein Verlust des Frachtguts während des Obhutszeitraums der Beklagten eingetreten ist. Da damit schon die Voraussetzungen des Art 17 Abs 1 CMR nicht vorliegen, erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die Ausführungen der Klägerin zur Unvermeidbarkeit nach Art 17 Abs 2 CMR.

[33] 5. Der Revision war der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.

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