OGH 10ObS11/22y

OGH10ObS11/22y28.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dora Camba (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*, Ungarn, vertreten durch Mag. Dr. Eva Neudörfler, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 2021, GZ 7 Rs 73/21 p‑70, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. März 2021, GZ 30 Cgs 44/18f‑65, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00011.22Y.0728.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf pauschales Kinderbetreuungsgeld für ihre am 28. 10. 2015 geborenen Zwillinge I* und F* für den Zeitraum von 28. 10. 2015 bis 27. 6. 2017. Strittig ist ausschließlich die Frage, ob die für die Klägerin im fraglichen Zeitraum bestehende Anmeldung an der im Spruch genannten Adresse (*, Vö*) als hauptwohnsitzliche Meldung iSd § 2 Abs 6 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung dieses Absatzes (BGBl I 2009/116) zu qualifizieren ist.

[2] Die Kinder lebten seit ihrer Geburt gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Vater an der Adresse *, Vö*, Ungarn, im gemeinsamen Haushalt.

[3] Die Klägerin hatte im klagegegenständlichen Zeitraum zwei Meldungen: an der Adresse *, Vá*, war sie mit einem Wohnsitz (lakóhely), an der Adresse *, Vö*, war sie mit einem Aufenthaltsort (tartózkodási hely) gemeldet.

[4] Das Kind I* ist an der Adresse *, Vö*, seit 30. 12. 2015, das Kind F* seit 29. 1. 2016 mit einem Wohnsitz angemeldet. Die Qualifikation dieser Anmeldungen als hauptwohnsitzliche Meldungen iSd § 2 Abs 6 KBGG wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Unstrittig ist auch, dass der Vater der Kinder an dieser Adresse hauptwohnsitzlich gemeldet war.

[5] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. 5. 2018 lehnte die beklagte Partei (damals noch: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse) den Antrag auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes ab.

[6] In der dagegen erhobene Klage brachte die Klägerin zusammengefasst vor, der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen habe sich an ihrer Aufenthaltsadresse befunden. Nachdem sie vom zuständigen Mitarbeiter der Beklagten darüber informiert worden sei, dass diese Meldungen bei der Bearbeitung des Antrags auf Kinderbetreuungsgeld Schwierigkeiten bereite, habe sie unverzüglich (am 18. 5. 2018) die „Aufenthaltsadresse“ in die „Wohnadresse“ abgeändert. Im ungarischen Meldesystem gebe es den angemeldeten Wohnsitz und den Aufenthaltsort. Alle Bürger hätten einen angemeldeten Wohnsitz. Dies sei ein Wohnsitz, an dem der Angemeldete nur dann lebe, wenn er gleichzeitig über keine Aufenthaltsortsmeldung verfüge. Wohne ein Bürger nicht an seinem angemeldeten Wohnsitz, müsse er sich am tatsächlichen dauernden Aufenthaltsort anmelden, wo er für fünf Jahre – verlängerbar – angemeldet bleiben könne. Demnach sei der Aufenthaltsort im Sinn der ungarischen Meldevorschriften dem Hauptwohnsitz im Sinn des österreichischen Meldegesetzes gleich zu halten.

[7] Darüber hinaus seien die österreichischen Behörden an die Familienstandsbescheinigung für die Gewährung von Familienleistungen (früheres Formular E401) gebunden, aus der sich ergebe, dass die Familie ihren Lebensmittelpunkt an der Adresse *, Vö*, habe und dort gemeldet sei.

[8] Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, von den nach ungarischem Recht zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Anmeldung entspreche die Anmeldung am „Wohnsitz“ am ehesten der Definition des Hauptwohnsitzes gemäß § 1 Abs 7 MeldeG. Bei einer Anmeldung am „Aufenthaltsort“ (tartózkodási hely) mangle es an der Absicht, diesen Ort zum Mittelpunkt der Lebensinteressen zu machen.

[9] Im ersten Rechtsgang hob der Oberste Gerichtshof zu 10 ObS 41/19f die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück, weil es an Feststellungen zu den während des relevanten Zeitraums geltenden ungarischen Meldevorschriften fehle, auf deren Grundlage beurteilt werden könne, ob die Meldung der Klägerin an der Adresse *, Vö*, als Aufenthaltsadresse den Voraussetzungen des § 2 Abs 6 KBGG genüge.

[10] Im zweiten Rechtsgang brachte die Klägerin ergänzend vor, die Auskunft des ungarischen Justizministeriums, wonach die engere Bindung zu der an der „Wohnadresse“ befindlichen Wohnung bestehe, dürfe nicht dahin verstanden werden, dass sich an der „Wohnadresse“ der Mittelpunkt der Lebensinteressen iSd § 1 Abs 7 MeldeG befinde. Nach ungarischem Rechtsverständnis bestehe die „engere Bindung“ zu einer Wohnung, die im Eigentum stehe; es komme nicht auf die Kriterien des § 1 Abs 8 MeldeG an. Dies sei bei der rechtsvergleichenden Beurteilung zu beachten.

[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang ab. Es traf auszugsweise folgende Feststellungen zur ungarischen Rechtslage:

[12] Im ungarischen Gesetz Nr LXVI aus dem Jahre 1992 über das Register über Personalien und Wohnadressen der Bürger (künftig: Nytv oder ungarisches Registergesetz), sind die Begriffe „Wohnsitz“ und „Aufenthaltsort“ definiert.

[13] Gemäß § 5 Abs 4 Nytv handelt es sich bei der „Wohnadresse“ eines Bürgers um die Adresse seines gemeldeten Wohnsitzes bzw Aufenthaltsorts.

[14] Gemäß § 5 Abs 2 Nytv ist der „Wohnsitz“ (Anmerkung des Obersten Gerichtshofs: lakόhely) eines Bürgers die Adresse jener Wohnung, an der der Bürger lebt.

[15] Nach § 5 Abs 3 Nytv ist der Aufenthaltsort (Anmerkung des Obersten Gerichtshofs: tartózkodási hely) eines Bürgers die Adresse jener Wohnung, in der er sich – ohne die Absicht, seinen Wohnsitz endgültig zu verlassen – für einen über drei Monate hinausgehenden Zeitraum aufhält.

[16] Jeder Bürger ist zeitgleich ausschließlich zur Meldung eines einzigen Wohnsitzes – und wenn er dies wünscht, zusätzlich zur Meldung eines Aufenthaltsorts – berechtigt.

[17] Der Aufenthaltsort hat im Vergleich zum Wohnsitz lediglich einen ergänzenden Charakter, von einem Aufenthaltsort kann dann gesprochen werden, wenn sich der Bürger neben seinem Wohnsitz (also dem Ort, der ihm als lebensführungsmäßiges Zuhause dient) auch an einer anderen Adresse über einen längeren Zeitraum (länger als drei Monate), jedoch nur vorübergehend aufhält. Der Zweck der Meldung des Aufenthaltsorts ist, dass der Bürger auch während dieser Zeit für die Behörden, Institutionen, kommunalen Dienstleister uä erreichbar bzw auffindbar ist.

[18] Gemäß den erläuternden Bestimmungen des Nytv kann nur dann von einem Aufenthaltsort die Rede sein, wenn der Bürger über einen gemeldeten und gültigen Wohnsitz verfügt, an den er zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehren will; eben darauf bezieht sich auch die Wendung „ohne die Absicht, den Wohnsitz endgültig zu verlassen“. Hieraus ergibt sich der ergänzende Charakter und zugleich auch die Zeitweiligkeit des Aufenthaltsortes, schließlich erlischt dieser im Falle mangelnder Erneuerung nach fünf Jahren automatisch. Voraussetzung für die Begründung und Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsorts ist daher, dass der Bürger über einen gemeldeten Wohnsitz verfügt, demzufolge kann die Rede von einem Aufenthaltsort ausschließlich bei Vorhandensein eines Wohnsitzes sein.

[19] Der Bürger, der sowohl über einen Wohnsitz als auch einen Aufenthaltsort verfügt, hält sich lebensführungsmäßig an seinem Wohnsitz auf, er kann sich jedoch vorübergehend auch an seinem Aufenthaltsort aufhalten.

[20] Die Höchstdauer des Wohnens am Aufenthaltsort ist im Gesetz Nytv nicht festgelegt, es ist lediglich die Erneuerung des Aufenthaltsorts alle fünf Jahre vorgeschrieben. Daraus folgt, dass der Bürger auch über einen längeren Zeitraum an seinem Aufenthaltsort wohnen kann.

[21] Darüber hinaus hielt das Erstgericht als Feststellung fest, dem Begriff „österreichischer Hauptwohnsitz“ im Sinn der Definition des § 1 Abs 7 MeldeG entspreche in Ungarn am ehesten der Begriff „Wohnsitz“ (lakόhely).

[22] Rechtlich führte es aus, den Feststellungen zufolge entspreche die Meldung der Klägerin am „Wohnort“ *, Vá*, am ehesten der österreichischen hauptwohnsitzlichen Meldung. Die Klägerin habe daher im relevanten Zeitraum keine gemeinsame hauptwohnsitzliche Meldung mit ihren Kindern gehabt.

[23] Das Berufungsgericht gab der Revision der Klägerin nicht Folge. Es ließ die Revision zu, weil keine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Erfordernissen einer hauptwohnsitzlichen Meldung im Ausland in der hier vorliegenden Konstellation vorliege.

[24] Rechtlich erachtete es die Beurteilung des Erstgerichts als zutreffend, weil die Meldung der Klägerin an der Adresse *, Vá*, am ehesten der österreichischen hauptwohnsitzlichen Meldung entspreche.

[25] Die von der Klägerin vorgelegte Beilage ./C sei eine Familienstandsbescheinigung, in der lediglich die Anschrift angeführt sei, die aber keinen Rückschluss auf den Meldestatus zulasse. Auf eine allfällige Bindungswirkung komme es daher nicht an.

[26] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Abänderung und Klagestattgebung anstrebt; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[27] Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[28] Die Revision ist zulässig, sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[29] 1.1. Für die Anwendung der Anspruchsvoraussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ iSd § 2 Abs 6 KBGG kommt es darauf an, ob im jeweils zu betrachtenden Mitgliedstaat ein dem österreichischen Melderecht vergleichbares System existiert, nach dem einer Person die Meldung oder Registrierung des Hauptwohnsitzes möglich ist (RIS‑Justiz RS0132841), wobei der Begriff des Hauptwohnsitzes iSd § 1 Abs 7 MeldeG zu verstehen ist (10 ObS 45/19v SSV-NF 33/44; 10 ObS 41/19f; 10 ObS 88/21w).

[30] Existiert im zu betrachtenden Mitgliedstaat ein derartiges System, ist die Vornahme einer hauptwohnsitzlichen Meldung entsprechend der Ausgestaltung des jeweiligen Systems Voraussetzung für den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes (10 ObS 45/19v SSV-NF 33/44; 10 ObS 41/19f; RS0132841). Die Frage, welche Art der Anmeldung nach dem Rechtssystem eines anderen Mitgliedstaats der hauptwohnsitzlichen Meldung iSd § 2 Abs 6 KBGG entspricht, ist rechtlich zu beurteilen und einer Feststellung nicht zugänglich.

[31] 1.2. Nach § 1 Abs 7 MeldeG ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen. Trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.

[32] 1.3. Im Verfahren ist nicht strittig, dass der dem Hauptwohnsitz gemäß § 7 Abs 1 MeldeG entsprechende Ort des tatsächlichen Mittelpunkts der Lebensinteressen der Klägerin in der Wohnung an der Adresse *, Vö*, liegt, an der die Klägerin im relevanten Zeitraum – offenbar iSd § 5 Abs 3 Nytv – mit einem Aufenthaltsort (tartózkodási hely) gemeldet war. Dass ihr an dieser Adresse eine Meldung mit einem Wohnsitz gemäß § 5 Abs 2 Nytv (lakóhely) unmöglich gewesen wäre, behauptet sie nicht. Sie änderte vielmehr nach ihrem eigenen Vorbringen die Meldung als Aufenthaltsort (tartózkodási hely) in eine Meldung als Wohnsitz (lakóhely), nachdem sie von der Beklagten über die Problematik ihres Meldestatus informiert worden war.

[33] 1.4. Die Klägerin steht – implizit – auf dem Standpunkt, ihr Meldestatus habe den Vorgaben des ungarischen Registergesetzes entsprochen. Darüber hinaus hält sie an ihrem Rechtsstandpunkt fest, die Meldung als Aufenthaltsort entspreche am ehesten der Meldung am Hauptwohnsitz im Sinn des materiellen Gehalts des § 1 Abs 7 MeldeG.

[34] 2.1. Ein Wohnsitz eines Menschen ist gemäß § 1 Abs 6 MeldeG an einer Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dort bis auf weiteres einen Anknüpfungspunkt von Lebensbeziehungen zu haben.

[35] Der Hauptwohnsitz eines Menschen ist an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen (§ 1 Abs 7 erster Halbsatz MeldeG; vgl 10 ObS 161/21f).

[36] Gemäß § 1 Abs 8 MeldeG sind für den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen eines Menschen insbesondere folgende Kriterien maßgeblich: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

[37] Der Unterschied zwischen einem Wohnsitz (iSd § 1 Abs 6 MeldeG) und dem Hauptwohnsitz (iSd § 1 Abs 7 MeldeG) ist darin zu sehen, dass für einen Wohnsitz bereits eine nicht besonders ins Gewicht fallende Lebensbeziehung maßgeblich sein kann (zB Ferienwohnung), wogegen der Hauptwohnsitz nur an einem Anknüpfungspunkt von zentralen Lebensbeziehungen bestehen kann (ErläutRV 1334 BlgNR 18. GP 13 zu BGBl 1994/505 [Hauptwohnsitzgesetz]).

[38] 2.2. Aus den zum ungarischen Registergesetz getroffenen Feststellungen geht hervor, dass jeder in Ungarn lebende ungarische Bürger über einen Wohnsitz iSd § 5 Abs 2 Nytv (lakóhely) verfügt. Allenfalls kann er zusätzlich einen Aufenthaltsort iSd § 5 Abs 3 Nytv (tartózkodási hely) haben. Hingegen ist es nicht möglich, nur über einen Aufenthaltsort iSd § 5 Abs 3 Nytv (tartózkodási hely) zu verfügen; dieser erfüllt vielmehr eine ergänzende Funktion, die zum Wohnsitz iSd § 5 Abs 2 Nytv (lakóhely) hinzutritt.

[39] Daraus ergibt sich, dass im Fall einer in Ungarn lebenden Person, die nur zu einer einzigen Wohnung Anknüpfungspunkte ihrer Lebensbeziehungen hat, an dieser Adresse eine Anmeldung als Wohnsitz iSd § 5 Abs 2 Nytv (lakóhely) geboten ist.

[40] Verfügt eine in Ungarn lebende Person über Anknüpfungspunkte ihrer Lebensbeziehungen zu mehr als einer Wohnung, stellt sich die Frage, welche davon als Wohnsitz iSd § 5 Abs 2 Nytv (lakóhely), welche als Aufenthaltsort iSd § 5 Abs 3 Nytv (tartózkodási hely) zu qualifizieren und entsprechend anzumelden ist.

[41] 2.3. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Wohnsitz iSd § 5 Abs 2 Nytv und dem Aufenthaltsort iSd § 5 Abs 3 Nytv liegt nach den Feststellungen nicht in der Dauer der zu diesen Orten bestehenden Lebensbeziehungen. Denn (auch) der Anknüpfungspunkt für die Lebensbeziehungen, der am Aufenthaltsort (tartózkodási hely) besteht, kann zulässiger Weise eine unbeschränkte Dauer erreichen. Ob ein Unterschied in der Qualität der an diesem Ort anknüpfenden Lebensbeziehungen bestehen muss, gegebenenfalls, worin dieser Unterschied besteht, geht aus den Feststellungen nicht hervor.

[42] Als Unterschied ergibt sich aus den Feststellungen ausschließlich, dass der Bürger, der sich an seinem Aufenthaltsort iSd § 5 Abs 3 Nytv aufhält, nicht die Absicht hat, seinen Wohnort „endgültig zu verlassen“. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sich ein Bürger, der über einen Wohnsitz (iSd § 5 Abs 2 Nytv) und einen Aufenthaltsort (iSd § 5 Abs 3 Nytv) verfügt, „lebensführungsmäßig“ an seinem Wohnsitz aufhalte, sich jedoch „vorübergehend“ auch an seinem Aufenthaltsort aufhalten könne. Ob auch dieser vorübergehende Aufenthalt ein „lebensführungsmäßiger“ Aufenthalt sein kann und es für die Unterscheidung nur auf die innere, psychische Komponente einer Rückkehrabsicht ankommt, gegebenenfalls, wie eine solche Rückkehrabsicht ausgestaltet sein muss (ob sie etwa zeitlich konkretisiert sein muss oder ob sie im Fall des Eigentums an einer Wohnung stets anzunehmen ist, wie dies das Klagevorbringen nahe legt), geht aus den Feststellungen nicht hervor.

[43] 3.1. Die zum ungarischen Registerrecht getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um verlässlich zu beurteilen, ob die von der Klägerin an der Adresse *, Vö*, während des Anspruchszeitraums vorgenommene Anmeldung als „Aufenthaltsort“ (tartózkodási hely) den Voraussetzungen der hauptwohnsitzlichen Meldung iSd § 2 Abs 6 KBGG genügt.

[44] Nach den (bisher) getroffenen Feststellungen könnte es nach dem ungarischem Registergesetz zulässig sein, an jenem Ort einen Aufenthaltsort iSd § 5 Abs 3 Nytv (tartózkodási hely) anzumelden, an dem sich die Wohnung befindet, an den die Person für einen voraussichtlich drei Monate übersteigenden, möglicherweise sogar jahrelangen Zeitraum den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen (im Sinn der Kriterien des § 1 Abs 8 MeldeG: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften) verlegt, sofern sie nur grundsätzlich noch die Absicht verfolgt, ihren Wohnsitz iSd § 5 Abs 2 Nytv nicht endgültig zu verlassen bzw irgendwann dorthin zurückzukehren.

[45] 3.2. Unklar ist insbesondere, unter welchen Voraussetzungen noch ein Wohnsitz iSd § 5 Abs 2 Nytv (lakóhely) vorliegt, wenn eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen (im Sinn der Kriterien des § 1 Abs 8 MeldeG) für einen drei Monate übersteigenden Zeitraum an einer anderen Wohnadresse hat. Ebenso kann den getroffenen Feststellungen nicht entnommen werden, unter welchen Voraussetzungen eine Person, die Lebensbeziehungen zu mehreren Unterkünften hat, verpflichtet ist, eine bestimmte von ihnen als „Wohnsitz“ iSd § 5 Abs 2 Nytv (lakóhely) oder als „Aufenthaltsort“ iSd § 5 Abs 3 Nytv (tartózkodási hely) anzumelden.

[46] Dies macht die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung erforderlich.

[47] 3.3. Im vorliegenden Fall steht zwar fest, dass die Klägerin im relevanten Zeitraum über zwei Anmeldungen verfügte. Zwischen den Parteien ist auch nicht strittig, dass sich der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen der Klägerin (im Sinn der Kriterien des § 1 Abs 8 MeldeG) in der Wohnung an der Adresse *, Vö*, befand.

[48] Es wurden aber keine Feststellungen dazu getroffen, welcher Art die Lebensbeziehungen der Klägerin zur Wohnung an der Adresse *, Vá*, an der ihr Wohnsitz iSd § 5 Abs 2 Nytv (lakóhely) angemeldet ist, im relevanten Zeitraum waren.

[49] Dies wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren zweckmäßiger Weise festzustellen haben.

[50] In der Folge wird zu erheben sein, welche Art der Anmeldung nach dem ungarischen Registergesetz für eine Person in den konkreten Lebensumständen der Klägerin – also einer Person mit der (konkret festzustellenden) Beziehung zur Wohnung an der Adresse *, Vá*, und mit der festgestellten Beziehung zur Wohnung *, Vö*, (nämlich als faktischer Wohnort gemeinsam mit ihren Kindern und ihrem Ehemann) – für die jeweilige Adresse geboten war.

[51] Sollte sich ergeben, dass unter den konkreten Lebensumständen der Klägerin an der Adresse *, Vö*, nach ungarischem Recht die Anmeldung mit einem Aufenthaltsort iSd § 5 Abs 3 Nytv (tartózkodási hely) geboten war, so wird diese Anmeldung als hauptwohnsitzliche Meldung iSd § 2 Abs 6 KBGG zu qualifizieren sein.

[52] Sollte sich hingegen ergeben, dass die Klägerin aufgrund ihrer konkreten (ergänzend festzustellenden) Lebensbeziehungen zu den beiden Wohnungen nach ungarischem Recht verpflichtet gewesen wäre, an der Adresse *, Vö*, eine Anmeldung mit einem Wohnsitz iSd § 5 Abs 2 Nytv (lakóhely) vorzunehmen, kann ihre Meldung mit einem Aufenthaltsort iSd § 5 Abs 2 Nytv (tartózkodási hely) nicht als hauptwohnsitzliche Meldung iSd § 2 Abs 6 KBGG qualifiziert werden.

[53] Sollte sich ergeben, dass der Klägerin bei den konkret bestehenden Beziehungen zu den beiden Wohnungen (die, wie ausgeführt, erst vollständig zu klären sind), nach ungarischem Recht freisteht, zwischen der Anmeldung nach § 5 Abs 2 oder § 5 Abs 3 Nytv zu wählen, so kann ihr die Wahl einer zulässigen Anmeldung gemäß § 5 Abs 3 Nytv nicht zum Nachteil gereichen. Diese Anmeldung an der Adresse *, Vö*, würde dann dem Erfordernis der hauptwohnsitzlichen Meldung gemäß § 2 Abs 6 KBGG Genüge tun.

[54] 3.4. Da die Aufhebung der angefochtenen Urteile zur Feststellung der Lebensbeziehungen der Klägerin zur Wohnung an der Adresse *, Vá*, sowie aufgrund der aufgezeigten rechtlichen Feststellungsmängel zum ungarischen Recht erforderlich ist, muss auf die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht eingegangen werden.

[55] 4.1. Die Klägerin rügt in ihrer Revision, das Berufungsgericht habe verkannt, dass die vom Bezirksamt S* ausgestellte Familienstandsbescheinigung für die Gewährung von Familienleistungen (Formular E401) eine Bindungswirkung für das vorliegenden Verfahren entfalte.

[56] 4.2. Den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts, dass dieses Dokument bereits unabhängig von einer allfälligen Bindungswirkung zwar eine Wohnanschrift der Klägerin anführt, aber keine Auskunft über ihren Meldestatus gibt, hält die Revision nichts entgegen.

[57] Aus der Familienstandsbescheinigung der Klägerin ist aber jedenfalls nichts zu gewinnen: Wie ausgeführt ist das Vorliegen einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft der Klägerin und ihrer Kinder an der Adresse *, Vö*, während des Anspruchszeitraums ohnehin unstrittig; auch der Meldestatus der Klägerin im fraglichen Zeitraum steht fest. Klärungsbedürftig ist allein die Frage, ob die Anmeldung als Aufenthaltsort gemäß § 5 Abs 3 Nytv (tartózkodási hely) im vorliegenden Fall als hauptwohnsitzliche Meldung iSd § 2 Abs 6 KBGG zu qualifizieren ist.

[58] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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