European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00061.21K.0718.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.307,10 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger war bei der Beklagten seit März 2010 als Vertragsbediensteter beschäftigt. Er ist begünstigter Behinderter iSd § 2 BEinstG. Ab dem 13. 5. 2019 war er durchgehend im Krankenstand. Mit Schreiben vom 30. 1. 2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Dienstverhältnis gemäß § 24 Abs 9 VBG 1948 nach einjährigem Krankenstand, sohin mit Ablauf des 12. 5. 2020, enden werde. Sollte er den Dienst bis dahin wieder antreten, würden weitere Krankenstände innerhalb von sechs Monaten ab dem Wiederantritt des Dienstes der Ersterkrankung angerechnet werden und würde das Dienstverhältnis nach einjähriger Krankenstandsdauer enden. Ein inhaltsgleiches Schreiben erging am selben Tag an den Behindertenausschuss.
[2] Am 1. 4. 2020 trat der Kläger seinen Dienst wieder an. Diesen Umstand und dass das Dienstverhältnis des Klägers daher nicht mit Ablauf des 12. 5. 2020 ende, teilte die Beklagte dem Behindertenausschusses am 17. 4. 2020 auf dessen Anfrage mit, dies unter nochmaligem Hinweis auf die Anrechnung weiterer innerhalb von sechs Monaten nach Wiederantritt eintretender Dienstverhinderungen und die Beendigung nach insgesamt einjähriger Krankenstandsdauer.
[3] Vom 20. 7. 2020 bis 11. 9. 2020 war der Kläger neuerlich im Krankenstand. Mit Schreiben vom 2. 9. 2020 teilte ihm die Beklagte die Beendigung seines Dienstverhältnisses mit Ablauf des 31. 8. 2020 gemäß § 24 Abs 9 VBG mit. Den Behindertenausschuss informierte die Beklagte davon am 9. 12. 2020.
[4] Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Dienstverhältnis über den 31. 8. 2020 hinaus aufrecht sei. Nach seiner Wiedererkrankung am 20. 7. 2020 habe die Beklagte entgegen § 24 Abs 9 VBG 1948 und § 8a BEinstG verabsäumt, ihn und den Behindertenausschuss neuerlich von der möglichen Beendigung des Dienstverhältnisses zu verständigen.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe mit der einmaligen Mitteilung ihrer Verständigungspflicht Genüge getan.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Zweck der strittigen gesetzlichen Verständigungspflicht liege darin, dem Vertragsbediensteten die Rechtslage vor Augen zu führen und eine Stellungnahme zur allfälligen Zweckmäßigkeit einer Verlängerungsvereinbarung zu ermöglichen. Die Annahme einer wiederholten Verständigungspflicht bei mehreren zusammenzurechnenden Dienstverhinderungen widerspreche sowohl dem Wortlaut als auch dem Zweck der Regelung.
[7] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die strittige Rechtsfrage in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht behandelt worden sei.
[8] Die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers strebt die Klagsstattgebung an, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, jedenfalls aber ihm keine Folge zu geben.
[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[10] 1. Gemäß § 24 Abs 9 VBG 1948 endet dann, wenn Dienstverhinderungen wegen Unfall oder Krankheit ein Jahr gedauert haben, das Dienstverhältnis des Vertragsbediensteten mit Ablauf dieser Frist, es sei denn, dass vorher seine Fortsetzung vereinbart wurde. Bei der Berechnung der einjährigen Frist gilt eine Dienstverhinderung, die innerhalb von sechs Monaten nach Wiederantritt des Dienstes eintritt, als Fortsetzung der früheren Dienstverhinderung. Der Dienstgeber hat den Vertragsbediensteten spätestens drei Monate vor Ablauf der Frist nachweislich vom bevorstehenden Ende des Dienstverhältnisses gemäß Satz 1 zu verständigen. Erfolgt die nachweisliche Verständigung später, so endet das Dienstverhältnis drei Monate nach dieser Verständigung, sofern der Vertragsbedienstete bis dahin den Dienst nicht wieder angetreten hat und vor Ablauf dieser Frist auch keine Verlängerung des Dienstverhältnisses vereinbart worden ist.
[11] Nach § 8a BEinstG ist, soweit in dienstrechtlichen Vorschriften für Bedienstete einer Gebietskörperschaft die Beendigung des Dienstverhältnisses wegen langer Dienstverhinderung infolge Krankheit kraft Gesetzes vorgesehen ist, im Falle eines begünstigten Behinderten der Behindertenausschuss spätestens drei Monate vor Ablauf dieser Frist von Amts wegen zu verständigen. Der Behindertenausschuss hat zur Zweckmäßigkeit einer Vereinbarung über die Fortsetzung des Dienstverhältnisses Stellung zu nehmen. Die Beendigung des Dienstverhältnisses wird – ungeachtet der dienstrechtlichen Vorschriften – frühestens drei Monate nach Einlangen der Verständigung beim Behindertenausschuß wirksam.
[12] 2. Im Fall des Klägers sind die zeitlichen Voraussetzungen des § 24 Abs 9 VBG 1948 unstrittig erfüllt und wurde eine Verständigung nach § 8a BEinstG von der Beklagten länger als drei Monate vor dem Ablauf der Jahresfrist durchgeführt.
[13] Nach den Gesetzesmaterialien zu § 8a BEinstG idgF blieb vor der Einführung der Dreimonatsfrist die Verständigungspflicht des Behindertenausschusses in der Praxis in vielen Fällen unbeachtet, sodass Dienstverhältnisse endeten, ohne dass dem Behindertenausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden war. Um dem entgegenzuwirken, sei die Nicht- oder verspätete Befassung des Behindertenausschusses mit dem Hinausschieben des Endigungstermins sanktioniert worden (vgl 9 ObA 5/21g mwN; etwa ErläutRV 1518 BlgNR 20. GP 12 f).
[14] Der Zweck dieser Regelung besteht darin, ein gesetzeskonformes Verhalten des Arbeitgebers zu erreichen, sodass dem Behindertenausschuss eine Stellungnahme zur Zweckmäßigkeit einer Fortsetzungsvereinbarung tatsächlich ermöglicht wird. Er ist zur Stellungnahme aber nicht verpflichtet. Der Dienstgeber ist an eine positive Empfehlung des Behindertenausschusses auch nicht gebunden (K. Mayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm³, § 8a BEinstG Rz 2; Widy in Widy/Auer-Mayer/Schrattbauer, Behinderteneinstellungsgesetz § 8a Rz 5).
[15] Der Gesetzeswortlaut und der beschriebene Regelungszweck erfordern, wie die Vorinstanzen bereits ausgeführt haben, keine Wiederholung der bereits erfolgten Verständigung des Behindertenausschusses für den Fall, dass die sie auslösende Dienstverhinderung dann doch kein ganzes Jahr gedauert hat, aber die Beendigung des Dienstverhältnisses aufgrund einer Zusammenrechnung mit nachfolgenden Krankenständen gemäß § 24 Abs 9 VBG 1948 eintritt. Da zum Zeitpunkt der mindestens drei Monate vor dem frühesten Enddatum liegenden Verständigung regelmäßig noch nicht sicher fest steht, ob es überhaupt zu einer einjährigen Dienstverhinderung kommen wird und wenn ja, ob diese durchgehend sein oder durch Zusammenrechnung erreicht wird, hat der Behindertenausschuss ohnehin bei seiner Stellungnahme bereits diese Varianten mit zu berücksichtigen.
[16] Der Rechtsstandpunkt des Revisionswerbers hätte, wie die Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt, die Konsequenz, dass eine neuerliche Verständigung nach § 24 Abs 9 VBG 1948 im Fall einer zusammenzurechnenden weiteren Dienstverhinderung praktisch nie innerhalb von drei Monaten vor dem nächsten voraussichtlichen Enddatum möglich wäre und sich dieses Enddatum dadurch weiter hinausschieben würde. Eine solche Regelungsabsicht kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, weil der Gesetzeszweck bereits mit der ersten Verständigung erfüllt wurde und für eine praktisch unausweichliche Verlängerung des Dienstverhältnisses trotz gesetzeskonformen Verhaltens des Dienstgebers eine sachliche Begründung fehlen würde.
[17] Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen daher mit der Rechtslage im Einklang.
[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG iVm §§ 41, 50 ZPO.
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