OGH 9ObA5/21g

OGH9ObA5/21g24.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Klein Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Stadt Graz, 8011 Graz, Hauptplatz 1/Rathaus, vertreten durch Mag. Peter Edelsbrunner, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung (Revisionsinteresse: 21.800 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Dezember 2020, GZ 6 Ra 63/20m‑12, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00005.21G.0224.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die dem Kreis der begünstigten Behinderten angehörige Klägerin ist Vertragsbedienstete der Stadt Graz und war zuletzt als Reinigungskraft eingesetzt. Unstrittig ist, dass bei der Klägerin am 27. 11. 2019 eine bereits ein Jahr dauernde Dienstverhinderung wegen Krankheit bestand.

Rechtliche Beurteilung

[2] Auf ihr Dienstverhältnis kommt das Gesetz vom 5. 3. 1974 über das Dienst- und Gehaltsrecht der Vertragsbediensteten der Landeshauptstadt Graz (Grazer Gemeindevertragsbedienstetengesetz [G‑VBG]), LGBl 1974/30, zur Anwendung. Dessen § 22 Abs 10 normiert, dass bei ein Jahr andauernden Dienstverhinderungen wegen eines Unfalls, einer Krankheit oder aus Gründen des Abs 8 oder wegen Haft, das Dienstverhältnis mit Ablauf dieser Frist endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf.

[3] Die – in der außerordentlichen Revision der Klägerin bekämpfte – Ansicht der Vorinstanzen, das Dienstverhältnis habe mit 18. 1. 2020 geendet und bestehe seither nicht mehr aufrecht fort, findet im G‑VBG Deckung und steht auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zu § 8a Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) BGBl 1970/22 idF BGBl 1999/17:

[4] 1. Anders als in § 24 Abs 9 3. Satz Vertragsbedienstetengesetz 1948 (VBG 1948) in Bezug auf privatrechtliche Dienstverhältnisse zum Bund ist im G‑VBG keine Verpflichtung des Dienstgebers enthalten, den Vertragsbediensteten zuvor über den bevorstehenden Ablauf der Einjahresfrist und das kraft Gesetzes eintretende Ende des Dienstverhältnisses nach § 22 Abs 10 G‑VBG schriftlich zu verständigen. Dass die Beklagte die Klägerin auf die bevorstehende ex-lege Beendigung ihres Dienstverhältnisses (infolge des einjährigen Krankenstandes) mit Ablauf des 27. 11. 2019 nicht aufmerksam gemacht hat, um ihr Gelegenheit zu entsprechenden Dispositionen zu geben, führt daher nach dem G‑VBG nicht zum Fortbestehen des Dienstverhältnisses.

[5] 2.1 Im Hinblick auf die Zugehörigkeit der Klägerin zum Kreis der begünstigten Behinderten (§ 2 BEinstG) hatte die Beklagte jedoch die in § 8a BEinstG normierte Verständigungspflicht zu beachten, nach der der Behindertenausschuss spätestens drei Monate vor Ablauf der Einjahresfrist zu verständigen ist, um diesem die Möglichkeit zu geben, zur Zweckmäßigkeit einer Vereinbarung über die Fortsetzung des Dienstverhältnisses Stellung zu nehmen. Im vorliegenden Fall hätte die Verständigung des Behindertenausschusses spätestens am 27. 8. 2019 erfolgen müssen.

[6] 2.2 Wenngleich die Beklagte diese Frist nicht eingehalten hat und dem Behindertenausschuss die Verständigung über den bevorstehenden Ablauf der Einjahresfrist zum 27. 11. 2019 erst am 18. 10. 2019 zukommen ließ, hindert auch dies die Beendigung des Dienstverhältnisses kraft Gesetzes nicht. Es trat durch die verspätete Verständigung lediglich die Folge ein, dass die Beendigung erst drei Monate nach der Verständigung des Behindertenausschusses wirksam werden konnte, also am 18. 1. 2020 (vgl 9 ObA 86/18i). Wie sich dazu aus den Gesetzesmaterialien zur BEinstG‑Novelle BGBl I 1999/17 ergibt, war die Verständigungspflicht des Behindertenausschusses in der Praxis in vielen Fällen unbeachtet geblieben und endeten daher Dienstverhältnisse, ohne dass dem Behindertenausschuss Gelegenheit eingeräumt worden war, Stellung zu nehmen. Um dem entgegenzuwirken, wurde die Nichtbefassung (bzw verspätete Befassung) des Behindertenausschusses insofern sanktioniert, als eine Beendigung des Dienstverhältnisses – unbeschadet der dienstrechtlichen Vorschriften – frühestens drei Monate nach erfolgter Verständigung des Behindertenausschusses eintreten kann (ErläutRV 1518 BlgNR 20. GP  12 f; 9 ObA 86/18i). Die Nichtverständigung führt demnach zu einem Hinausschieben des Endigungstermins. Dies dient dazu, ein gesetzeskonformes Verhalten des Arbeitgebers zu erreichen, um die Stellungnahme des Behindertenausschusses tatsächlich zu ermöglichen ( Mayr in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 , § 8a BEinstG Rz 2). Mit dieser Rechtslage und der einschlägigen Entscheidung 9 ObA 86/18i stehen die Entscheidungen der Vorinstanzen in Einklang.

[7] 3.1 Das Fortbestehen des Dienstverhältnisses wurde hier auch nicht dadurch bewirkt, dass die Klägerin nach Erhalt des Schreibens des Behindertenausschusses am 13. 12. 2019 ihren Krankenstand beendet und ihren Dienst wieder angetreten hat:

[8] 3.2 Wie feststeht, reagierte die Beklagte darauf mit Schreiben vom 17. 12. 2019, in dem sie die Klägerin davon in Kenntnis setzte, dass das Dienstverhältnis kraft Gesetzes nach einjährigem Krankenstand ende, die Klägerin diese Voraussetzung bereits mit Ablauf des 27. 11. 2019 erfüllt habe und das Dienstverhältnis drei Monate nach Meldung an den Behindertenausschuss mit 18. 10. 2019, somit mit Ablauf des 18. 1. 2020 enden werde. Die Beklagte hat auf diese Weise klargestellt, dass die ex-lege Beendigung des Dienstverhältnisses nach § 22 Abs 10 G‑VBG erfolgt, sie einem etwaigen Interesse der Klägerin auf Fortführung des Dienstverhältnisses ablehnend gegenüber steht und sie auch nicht in Betracht zieht, mit der Klägerin eine Vereinbarung über die Fortsetzung des Dienstverhältnisses zu treffen.

[9] 3.3 Dieser Vorgangsweise entspricht § 22 Abs 10 G‑VBG, der keine besondere Regelung darüber enthält, dass die ex‑lege‑Beendigung des Dienstverhältnisses durch eine Vereinbarung über die Fortsetzung des Dienstverhältnisses verhindert werden kann. Eine derartige Regelung findet sich aber im VBG 1948, nach dessen § 24 Abs 9 ein vertragliches Dienstverhältnis zwar nach Ablauf der Jahresfrist ex‑lege endet, der Personalstelle aber dennoch das Ermessen darüber eingeräumt ist, ob sie von dieser Beendigungsmöglichkeit Gebrauch macht oder von der automatischen Beendigung Abstand nimmt und dem Dienstgeber die weitere Fortsetzung des Dienstverhältnisses empfiehlt („Kann‑Bestimmung“; Ziehensack , VBG Praxiskommentar § 24 Rz 80). Aus der Überlegung der Revisionswerberin, dass auch § 22 Abs 10 G‑VBG – ungeachtet des Fehlens eines Vorbehalts für die Beklagte – als eine „Kann‑Bestimmung“ zu verstehen sei,ist für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen. Das Zustandekommen einer Vereinbarung über die Verlängerung des Dienstverhältnisses wurde nämlich von den Vorinstanzen nicht angenommen.

[10] 3.5 Wenn die Vorinstanzen nach Lage des Falls auch weder einen konkludenten Verzicht auf die Ausübung der Auflösungsmöglichkeit nach § 22 Abs 10 G‑VBG angenommen haben, noch davon ausgingen, dass konkludent ein unbefristeter Dienstvertrag entstanden ist, stellt dies eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Beurteilung dar, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage begründet und auch im konkreten Fall keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf (RS0042936 [T26]).

[11] 4.1 Wie sich aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 22 Abs 10 G‑VBG ergibt, ist darin die automatische Beendigung des Dienstverhältnisses bei Langzeitkrankenständen vorgesehen. Der Landesgesetzgeber stellt bei der ex-lege‑Beendigung nach deren Bestimmung nicht auf das Vorliegen der Dienstunfähigkeit zu einem (oder mehreren) „Stichtagen“ ab, sondern knüpft die ex-lege Beendigung an das Vorliegen einer zumindest einjährigen Dienstverhinderung infolge Krankheit an (siehe auch Ziehensack in VBG Praxiskommentar § 24 Rz 45, nachdem die Jahreserkrankung nicht mit einer prozessualen Frist oder Ähnlichem gleichzusetzen ist). Im vorliegenden Fall war die Voraussetzung des einjährigen Krankenstands mit Ablauf des 27. 11. 2019 erfüllt. Die Beendigung wurde aber infolge der erst am 18. 10. 2019 erfolgten Verständigung des Behindertenausschusses erst am 18. 1. 2020 wirksam. Bis dahin bestand das Dienstverhältnis noch – wenngleich im Beendigungsstadium – fort.

[12] 4.2 Aus § 22 Abs 10 G‑VBG iVm mit § 8a BEinstG ergibt sich keine „rollierende Stichtagsregelung“ in dem Sinn, dass die Dienstunfähigkeit nicht nur zum „Stichtag“ 27. 11. 2019, sondern auch noch zum weiteren „Stichtag“ 18. 1. 2020 gegeben sein müsste.

[13] 5. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.

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