European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00112.22G.0630.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die deutsche Klägerin und der niederländische Beklagte waren vom 1. 7. 2016 bis zu ihrer einvernehmlichen Scheidung am 30. 9. 2019 verheiratet. Die Ehe wurde vor dem Erstgericht geschieden, das damals aufgrund einer Vereinbarung der örtlichen Zuständigkeit „auf die gegenständliche Scheidungsvereinbarung“ angerufen wurde. In Österreich hatten die Streitteile nie einen gemeinsamen Aufenthalt. Ebenso wie bereits im Zeitpunkt der Scheidung lebt die Klägerin heute in Wien und der Beklagte in den Niederlanden. Der Ehe entstammten keine gemeinsamen Kinder.
[2] Die Klägerin begehrt, bestimmte (vermögensrechtliche) Teile des Scheidungsfolgenvergleichs wegen Irrtums und Arglist für nichtig zu erklären und aufzuheben, hilfsweise den gesamten Vergleich für nichtig zu erklären und aufzuheben. Sie stellt weiters ein Feststellungsbegehren, dass ihr der Beklagte für sämtliche Nachteile hafte, die ihr infolge des vertragswidrigen Verhaltens im Rahmen des Scheidungsverfahrens entstanden seien. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts stützte die Klägerin in erster Instanz (noch) auf die Gerichtsstandsvereinbarung.
[3] Die Vorinstanzen wiesen die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig.
[4] Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[5] 1. Die Vorinstanzen verneinten, dass die zwischen den Streitteilen abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarung auch das gegenständliche Verfahren umfasst. Die Klägerin hält ihren dazu in erster Instanz noch vertretenen gegenteiligen Standpunkt in dritter Instanz nicht mehr aufrecht. Im Rechtsmittel wird die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vielmehr (nun) ausschließlich auf die Annexzuständigkeit nach Art 5 EuEheGüVO gestützt. Dazu werden allerdings keine erheblichen Rechtsfragen aufgeworfen.
[6] 2. Das Rekursgericht verneinte eine Annexzuständigkeit und berief sich auf 9 Ob 32/20a (= RS0133407). Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass beim ursprünglichen Scheidungsgericht die Feststellung der Unwirksamkeit eines Scheidungsfolgenvergleichs angestrebt wurde. Der 9. Senat sprach aus, dass die Annexzuständigkeit nach Art 5 EuEheGüVO entsprechend Art 12 Abs 2 lit a und c Brüssel IIa‑VO nach rechtskräftigem Abschluss des Eheverfahrens endet. Die auf fehlende internationale Zuständigkeit gestützte Zurückweisung der Klage durch die Vorinstanzen wurde daher vom Obersten Gerichtshof bestätigt.
[7] 3. Damit ist die im Rechtsmittel aufgeworfene Rechtsfrage durch eine – zu einer vergleichbaren Fallkonstellation ergangenen – höchstgerichtliche Entscheidung bereits geklärt. Das schließt die Zulässigkeit des Rechtsmittelsaus (vgl RS0112921 [T8]).
[8] 4. Der Hinweis der Klägerin, dass sich das Rekursgericht nur auf eine einzige Entscheidung stützen kann, begründet nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (idS auch 4 Ob 29/15s mwN). Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet und auch vom Schrifttum (vgl in casu zB Fucik, iFamZ 2021/39 [Entscheidungsanmerkung]; Nademleinsky, EF‑Z 2021, 152 [Rechtsprechungsübersicht]) ohne Kritik übernommen wurde und zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RS0103384). Das gilt umso mehr für den hier vorliegenden Fall, weil die (bisher einzige) Vor‑Entscheidung auch der einhelligen Lehre (Weber in Gitschthaler, Internationales Familienrecht Art 5 EuEheGüVO, Rz 14; Garber in Mayr, Handbuch IZVR 5.89; Simotta, ZvglRWiss 2017, 59) gefolgt ist.
[9] 5. Die Klägerin macht geltend, dass die Vorentscheidung bzw der Verweis auf Art 12 Brüssel IIa‑VO deshalb nicht einschlägig sei, weil es gegenständlich nicht um den Schutz minderjähriger Kinder gehe. Dabei blendet sie allerdings aus, dass auch jener Ehe keine Kinder entsprangen, die dem Verfahren 9 Ob 32/20a zugrundelag.
[10] 6.1. Abgesehen von den aus Art 12 Abs 2 lit a, lit c Brüssel IIa-VO abzuleitenden Wertungen, ergibt sich das Ergebnis der Vorinstanzen auch aus dem klaren Wortlaut des Art 5 EuEheGüVO. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt aber auch dann nicht vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RS0042656).
[11] 6.2. Die Bestimmung des Art 5 EuEheGüVO knüpft die (Annex‑)Zuständigkeit für güterrechtliche Fragen des angerufenen Scheidungsgerichts an den Antrag auf Scheidung (bzw Trennung oder Ungültigerklärung der Ehe). Nur in „Verbindung mit diesem Antrag“ besteht die Annexzuständigkeit. Das angerufene Gericht soll in diesem Fall neben der Entscheidung über die Scheidung auch für Fragen des ehelichen Güterstands zuständig sein. Das soll eine parallele Prüfung beider Anträge vor einem einzigen Gericht ermöglichen. Im Anlassfall ist die Anfechtungsklage aber weder mit einem solchen Antrag (auf Scheidung etc) verbunden noch kommt eine Prüfung mehrerer Rechtsschutzanträge in Betracht.
[12] 7. Die Frage, inwieweit sich eine klagende Partei im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich auf die Annexzuständigkeit berufen muss, kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels ebenfalls nicht stützen. Das Rekursgericht hat die Voraussetzungen der Annexzuständigkeit inhaltlich geprüft und im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung verneint. Auf die Richtigkeit der „Reservebegründung“, wonach sich die Klägerin auf Art 5 EuEheGüVO gar nicht gestützt hätte, kommt es daher nicht an.
[13] 8. Wegen der aufgezeigten klaren Rechtslage war der Anregung auf Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens nicht zu folgen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)