OGH 4Ob115/22y

OGH4Ob115/22y30.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie dieHofräte Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch Stolitzka & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei V* GmbH, *, vertreten durch Maxl & Sporn Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 19.719,98 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 24. Februar 2022, GZ 2 R 16/22w‑43, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. September 2021, GZ 31 Cg 102/18m‑37, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00115.22Y.0630.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.332,54 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 222,09 EUR USt) zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte mietete von der Klägerin ein Kraftfahrzeug, das bei einem vom Beklagtenlenker grob fahrlässig verursachten Verkehrsunfall einen Totalschaden erlitt.

[2] Laut Mietvertrag haftet die Beklagte nur für grob fahrlässig oder vorsätzlich verursachte Schäden am Mietfahrzeug.

Im Vertrag heißt es weiter:

Kommt keine (Teil-)Haftungsbeschränkung i.S. der vorstehenden Bestimmungen zur Anwendung, hat der Mieter [der Klägerin] den gesamten Schaden zu ersetzen. [Die Klägerin] wird die Höhe dieses Schadens durch Vorlage von Rechnungen oder durch Gutachten dafür qualifizierter (gerichtlich beeideter) Sachverständiger dem Mieter nachweisen.

Trifft den Mieter an dem eingetretenen Schaden ein Verschulden, ist [die Klägerin] berechtigt, zusätzlich zu dem nachgewiesenen Schadensbetrag einen einmaligen Pauschalbetrag für Bearbeitung, Generalunkosten und frustrierte Kosten in Höhe von EUR 72 inkl. USt (bei Totalschaden EUR 120) pro Schadensfall dem Mieter in Rechnung zu stellen.

Bestreitet der Mieter die Richtigkeit der von [der Klägerin] vorgelegten Schadensberechnung, ist er berechtigt, selbst binnen einer Frist von 4 Wochen ein Gutachten eines dafür qualifizierten gerichtlich beeideten Sachverständigen einzuholen. Zu diesem Zweck werden ihm von [der Klägerin], falls er dies wünscht, die vom beschädigten Fahrzeug durch den Sachverständigen angefertigten Fotos zur Verfügung gestellt werden. Ergibt dieses Gutachten einen geringeren Schadensbetrag, ist dieser jedenfalls sofort zur Zahlung fällig. Hinsichtlich eines allfälligen Differenzbetrages zwischen den beiden Gutachten werden die Parteien versuchen, zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Gelingt dies binnen weiterer 4 Wochen nicht, ist [die Klägerin] berechtigt, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Ergibt eine derartige Einigung oder Gerichtsentscheidung, dass der vom Sachverständigen des Mieters ermittelte Schadensbetrag richtig (und der von [der Klägerin] ermittelte Wert daher falsch) war, ersetzt [die Klägerin] dem Mieter die angemessenen und zweckentsprechenden Kosten seines Sachverständigen.

[3] Die Klägerin forderte mit Klage Schadenersatz für ihr Fahrzeug, ohne ein Gutachten zur Schadenshöhe eingeholt und der Beklagten zur Verfügung gestellt zu haben.

[4] Die Beklagte bestritt die Haftung dem Grunde nach, weil dem Beklagtenlenker weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Jedenfalls aber sei der Schadensbetrag derzeit weder fällig noch klagbar, weil die Klägerin die von ihr selbst vorgeschriebenen Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung nicht unternommen habe.

[5] Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Die Vertragsbedingungen würden nur dann die Einholung von Sachverständigengutachten zur Schadenshöhe vorschreiben, wenn der Anspruch dem Grunde nach unstrittig sei. Dies ergebe sich insbesondere auch daraus, dass der von der Vermieterin geforderte Schadensbetrag laut Vertragstext sonst trotz Streit über den Grund des Anspruchs sofort zur Zahlung fällig würde, soweit das Gegengutachten des Mieters die Höhe bestätige, und dass weitere Schritte (Einigungsversuche, Klage) ausdrücklich nur für den Differenzbetrag vorgesehen seien. Die Revision sei zulässig, weil die AGB der Beklagten regelmäßig für eine größere Anzahl von Kunden bestimmt seien.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision der Beklagten ist entgegen dem– den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[7] 1. Der Oberste Gerichtshof ist auch zur Auslegung von AGB-Klauseln nicht jedenfalls, sondern nur dann berufen, wenn die zweite Instanz Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung missachtete oder für die Rechtseinheit und Rechtsentwicklung bedeutsame Fragen zu lösen sind (RS0121516 [T3]). Die Zulässigkeit der Revision folgt also nicht schon aus der bloßen Häufigkeit der verwendeten Klauseln allein (RS0121516 [T38]) oder aus dem Umstand, dass es an einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu gleichen oder ähnlichen Klauseln mangelt (RS0121516 [T4]). Dies gilt insbesondere, wenn die betreffende Regelung so eindeutig ist, dass nur eine Möglichkeit der Beurteilung in Betracht zu ziehen ist (RS0121516 [T17]).

[8] 2. Auch im vorliegenden Fall ist die Auslegung eindeutig.

[9] 2.1. Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden zu erforschen. Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind(RS0017915).

[10] 2.2. Schon nach ihren klaren einleitenden Worten regelt die hier strittige Vertragspassage den Fall, dass „keine (Teil-)Haftungsbeschränkung zur Anwendung“ kommt und „der Mieter der Klägerin den gesamten Schaden zu ersetzen“ hat. (Nur) Dann ist die Einholung von Gutachten zur Schadenshöhe vorgesehen.

[11] Im Übrigen haben auch die Vorinstanzen überzeugend dargelegt, dass die sofortige Fälligkeit jenes Teilbetrags, in dem zwei (nur) zur Schadenshöhe eingeholte Gutachten übereinstimmen, keine sachgerechte Rechtsfolge von außergerichtlichen Einigungsversuchen in jenen Fallkonstellationen wäre, in denen auch der Grund des Anspruchs noch strittig ist.

[12] 2.3. Die Beklagte argumentiert, dass ein Gutachten zur Höhe in Einzelfällen auch zu einer Einigung führen kann, obwohl der Anspruch dem Grunde nach strittig war – insbesondere, wenn sich die Schadenshöhe als minimal erweist. Diese Überlegung mag zwar faktisch zutreffen, vermag aber das von den Vorinstanzen erzielte Auslegungsergebnis nicht zu entkräften. Damit wird nämlich nur dargelegt, dass eine Alternative zur tatsächlich erfolgten Vertragsgestaltung nicht in allen Fällen kontraproduktiv wäre.

[13] 2.4. Das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen, dass ein Gutachten nur dann einzuholen ist, wenn der Anspruch dem Grunde nach unstrittig ist, ist daher jedenfalls vertretbar.

[14] 3. Die von der Beklagten thematisierte dogmatische Einordnung der in den AGB vorgegebenen Vorgangsweise als Schiedsklausel, als Schlichtungsklausel oder pactum de non petendo (vgl RS0034169), kann damit als nicht präjudiziell dahinstehen (vgl RS0088931 [T2]; RS0111271).

[15] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision mangels erheblicher Rechtsfrage hingewiesen.

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