OGH 8Ob67/22v

OGH8Ob67/22v29.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Dr. Weixelbraun‑Mohr und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache des Schuldners T*, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen Beendigung des Abschöpfungsverfahrens, über den Revisionsrekurs der Gläubigerin T* T* AG *, vertreten durch Dr. Peter Hauser, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 21. Februar 2022, GZ 32 R 55/21i‑105, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 23. November 2021, GZ 9 S 8/14y‑91, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00067.22V.0629.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 2. 7. 2014 wurde über das Vermögen des Schuldners das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. In der Tagsatzung vom 23. 10. 2014 wurde der vom Schuldner angebotene Zahlungsplan angenommen und mit Beschluss des Erstgerichts vom nächsten Tag bestätigt.

[2] Am 18. 4. 2016 beantragte der Schuldner die Annahme eines modifizierten Zahlungsplans, hilfsweise die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens, weil er aufgrund einer schweren Depression nicht mehr in der Lage sei, einer ganztägigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, wobei er dem Erstgericht eine Abtretungserklärung für den Zeitraum von sieben Jahren nach Rechtskraft der Einleitung des Abschöpfungsverfahrens vorlegte.

[3] Nachdem der angebotene Zahlungsplan nicht angenommen worden war, leitete das Erstgericht mit Beschluss vom 20. 12. 2016 das Abschöpfungsverfahren ein und sprach aus, dass die bisherige Dauer des Zahlungsplans im Ausmaß von 395 Tagen auf die Laufzeit des Abschöpfungsverfahrens anzurechnen sei.

[4] Der Schuldner beantragte am 25. 10. 2021 das Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären und ihm die Restschuldbefreiung zu erteilen.

[5] Das Erstgericht wies den Antrag auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und Restschuldbefreiung ab. Die Voraussetzungen der Beendigung des Abschöpfungsverfahrens lägen nicht vor, weil Abschöpfungsverfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des IRÄG 2017 bereits anhängig waren, nach § 280 IO nur im Fall des Ablaufens der Abtretungserklärung oder fünf Jahre nach dem 1. 11. 2017 beendet werden könnten.

[6] Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss aufgrund des dagegen erhobenen Rekurses des Schuldners dahin ab, dass das Abschöpfungsverfahren beendet und dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt wurde. Nach § 198 Abs 1 Z 2 IO sei die bisherige Frist des Zahlungsplans auf die Dauer des Abschöpfungsverfahrens zur Hälfte anzurechnen. Da das Abschöpfungsverfahren mehr als vier Jahre gedauert habe und dem Schuldner 395 Tage anzurechnen wären, sei die in § 280 IO für die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und die Restschuldbefreiung normierte fünfjährige Frist verstrichen. Die Anrechnung sei schon deshalb geboten, weil dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, dass er den Schuldner trotz Anrechnung der Dauer des Zahlunsplans gleich behandeln wolle wie einen Schuldner, dessen Abschöpfungsverfahren erst später eingeleitet wurde.

[7] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs im Hinblick auf die Frage zu, ob bei der Beendigung des Abschöpfungsverfahrens nach § 280 IO die Dauer des Zahlungsplans nach § 198 Abs 1 Z 2 IO anzurechnen sei.

[8] Gegen diesen Beschluss richtet sich der RevisionsrekurseinerGläubigerin mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts bestätigt werde, in eventu das Verfahren zu unterbrechen und ein Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem VfGH einzuleiten.

[9] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Ändert sich die Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners ohne dessen Verschulden, sodass er fällige Verbindlichkeiten des Zahlungsplans nicht erfüllen kann, und ist im Zahlungsplan darauf nicht Bedacht genommen worden, so kann er nach § 198 Abs 1 IO neuerlich die Abstimmung über einen Zahlungsplan und die Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens beantragen. Im vorliegenden Fall richtete sich die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens nach der Rechtslage vor dem IRÄG 2017.

[11] 2. Nach damaliger Rechtslage erforderte die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens mit Restschuldbefreiung nach § 199 Abs 2 IO idF BGBl 2010/29 eine Erklärung des Schuldners, nach der er den pfändbaren Teil seiner Einkünfte für die Zeit von sieben Jahren nach Einleitung des Abschöpfungsverfahrens an einen Treuhänder abtritt. Wurde das Abschöpfungsverfahren aufgrund eines Antrags auf Abänderung des Zahlungsplans eingeleitet, war die bisherige Frist des Zahlungsplans nach § 198 Abs 1 Z 2 IO idF BGBl 1993/974 auf die Dauer des Abschöpfungsverfahrens zur Hälfte anzurechnen. Durch die Verkürzung des Abschöpfungsverfahrens soll den bisherigen Bemühungen des Schuldners im Rahmen des Zahlungsplans Rechnung getragen werden (Kodek, Privatkonkurs3 [2021] Rn 13.267).

[12] 3. Da das vorliegende Abschöpfungsverfahren vor dem 1. 11. 2017 eingeleitet wurde, ist nach wie vor § 213 Abs 1 IO idF BGBl 2010/29 anzuwenden, wonach das Gericht das Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären hat, wenn drei Jahre verstrichen sind und die Insolvenzgläubiger zumindest 50 % ihrer Forderungen oder nach Ablauf der Abtretungserklärung zumindest 10 % ihrer Forderungen erhalten haben (8 Ob 99/18v = RIS‑Justiz RS0132296). Diese Voraussetzungen sind unstrittig nicht erfüllt.

[13] 4. Mit dem IRÄG 2017 strebte der Gesetzgeber eine Verkürzung des Abschöpfungsverfahrens und eine Erleichterung der Restschuldbefreiung an, um Schuldnern dadurch eine rasche Rückkehr in eine produktive Berufssituation zu erleichtern (ErlRV 1588 BlgNR 25. GP  1 und 12). Dementsprechend wurden die Vorschriften über das Abschöpfungsverfahren dahin geändert, dass nach § 199 Abs 2 IO idF IRÄG 2017 eine Abtretungserklärung des Schuldners für die Zeit von fünf Jahren ausreicht und das Gericht nach § 213 Abs 1 IO idF IRÄG 2017 danach das Abschöpfungsverfahren zu beenden und unabhängig von einer quotenmäßigen Befriedigung der Gläubiger eine Restschuldbefreiung auszusprechen hat. Diese Vorschriften sind nach § 279 Abs 1 IO aber nur auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 31. 10. 2017 eröffnet wurden, weshalb sich der Schuldner im vorliegenden Fall nicht darauf berufen kann.

[14] 5. Nach § 280 IO ist aber auch ein Abschöpfungsverfahren, das vor dem 31. 10. 2017 eröffnet wurde, auf Antrag des Schuldners zu beenden, wenn die Abtretungserklärung abgelaufen ist oder „seit dem 1. November 2017 fünf Jahre der Abtretungserklärung“ abgelaufen sind. Durch diese Übergangsregelung soll sichergestellt werden, dass ein „Altverfahren“ nicht länger dauert als ein am 1. 11. 2017 eingeleitetes Neuverfahren (Kodek, Privatkonkurs "neu" – Das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017, Zak 2018/73, 46; Huger in Koller/Lovrek/Spitzer § 280 IO Rz 6). Auch in solchen Abschöpfungsverfahren ist eine Restschuldbefreiung ohne Mindestquote möglich (vgl auch Konecny, IRÄG 2017 und Neues im Insolvenzrecht für natürliche Personen, ecolex 2017, 1160 [1164]).

[15] 6. Die wesentlichen Neuerungen des IRÄG 2017 im Bereich des Abschöpfungsverfahrens, nämlich die Verkürzung des Zeitraums der Abtretungserklärung von sieben auf fünf Jahre und der Entfall des Erfordernisses einer Mindestquote, werden damit für anhängige Verfahren nur teilweise und in zeitlicher Abstufung wirksam: Während eine Mindestquote nach § 280 IO auch in sämtlichen anhängigen Verfahren entfällt, kommt die Verkürzung des Abschöpfungszeitraums auf fünf Jahre in diesen alten Verfahren, wenn überhaupt, nur zeitverzögert und nicht in vollem Ausmaß zum Tragen (8 Ob 6/18t; 8 Ob 32/18s; 8 Ob 49/18s).

[16] 7. In allen laufenden Verfahren, in denen die Abtretung vor dem 1. 11. 2015 wirksam wurde, bleibt es unverändert bei einer insgesamt siebenjährigen Laufzeit (8 Ob 26/18h; 8 Ob 31/18v; 8 Ob 39/18w). Nur wenn der Abschöpfungszeitraum erst nach diesem Datum zu laufen begonnen hat, verringert sich nach § 280 IO die effektive Gesamtdauer sukzessive bis zum 1. 11. 2022, wodurch die Verkürzung auf fünf Jahre erst jenen Schuldnern ungeschmälert zugute kommt, deren Abtretungszeitraum am 1. 11. 2017 oder später begonnen hat (8 Ob 5/18w; 8 Ob 20/18a; 8 Ob 44/18f). Dass der Schuldner im vorliegenden Fall – woran sich das Rekursgericht stößt – trotz Anrechnung der Dauer des Zahlungsplans ein längeres Abschöpfungsverfahren erdulden muss als ein Schuldner, dem das Abschöpfungsverfahren erst später bewilligt wurde, ist damit eine Folge der Übergangsregelungen zur Verkürzung der Dauer des Abschöpfungsverfahrens von sieben auf fünf Jahre.

[17] 8. Die Revisionsrekurswerberin macht zutreffend darauf aufmerksam, dass eine Anrechnung der Zeit des Zahlungsplans auf die Frist des § 280 IO einer doppelten Begünstigung des Schuldners gleichkäme, weil sich nicht nur die siebenjährige Dauer der Abtretungserklärung, wie sie von § 199 Abs 2 IO idF BGBl 2010/29 verlangt wurde, entsprechend vermindern würde, sondern dem Schuldner auch noch eine Beendigung des Abschöpfungsverfahrens vor Ablauf der fünfjährigen Wartezeit nach § 280 IO ermöglicht würde. Dies hätte zur Folge, dass ein Schuldner, dem in der Zeit von 1. 11. 2015 bis 1. 11. 2017 ein Zahlungsplan und erst später das Abschöpfungsverfahren bewilligt wurde, eine Restschuldbefreiung früher erreichen könnte als ein Schuldner, der sich sogleich dem Abschöpfungsverfahren unterzogen hat, was mit einer „Anrechnung“ der Zeiten des Zahlungsplans nicht vereinbar ist.

[18] 9. Eine Verkürzung der Fünfjahresfrist des § 280 IO verbietet sich auch deshalb, weil die Anrechnung der Dauer des Zahlungsplans nach § 198 Abs 1 Z 2 IO entgegen dem damaligen Wortlaut des Gesetzes richtigerweise nicht „die Dauer des Abschöpfungsverfahrens“, sondern nur die „Dauer der Abtretungserklärung“ betrifft, die für die nachfolgenden Obliegenheiten des Schuldners maßgebend ist (ErlRV 950 BlgNR 27. GP  29). Insbesondere unter den Voraussetzungen der vorzeitigen Einstellung nach § 211 IO hängt die Dauer des Abschöpfungsverfahrens nämlich nicht vom Verlauf bestimmter Fristen ab. Der Gesetzgeber hat § 198 Abs 1 Z 2 IO deshalb mittlerweile dahin umformuliert, dass der Schuldner die Frist des Zahlungsplans auf „die Dauer der Abtretungserklärung“ anrechnen kann (BGBl 2021/147).

[19] 10. Die Abtretungserklärung des Schuldners für die Dauer von sieben Jahren nach Rechtskraft des Beschlusses vom 20. 12. 2016 ist auch unter Anrechnung von 395 Tagen noch nicht abgelaufen. Die Fünfjahresfrist des § 280 IO richtet sich nach dem Inkrafttreten des IRÄG 2017 und endet unabhängig von der Gesamtdauer des jeweiligen Abschöpfungsverfahrens stets am 1. 11. 2022, weshalb auch die Dauer eines vorherigen Zahlungsplans keine Verkürzung dieser Frist bewirken kann.

[20] 11. Es war somit dem Revisionsrekurs Folge zu geben und der den Antrag auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und Restschuldbefreiung abweisende Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

Stichworte