OGH 6Ob108/22h

OGH6Ob108/22h22.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. T*, vertreten durch Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagten Parteien 1. I* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Linz, und deren Nebenintervenientin H* Rechtsanwälte GmbH, *, 2. Dr. G*, vertreten durch BLS Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. März 2022, GZ 6 R 13/22g‑24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 25. November 2021, GZ 45 Cg 59/21x‑16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00108.22H.0622.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien sowie der Nebenintervenientin jeweils die mit 2.234,70 EUR (darin 372,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit des Abtretungsvertrags, mit dem er im Jahr 2016 seinen Geschäftsanteil an einer GmbH an die Erstbeklagte verkaufte; hilfsweise wird dessen Aufhebung angestrebt.

[2] Die Nebenintervenientin (eine Rechtsanwälte GmbH) war über Auftrag der Erstbeklagten als Vertragserrichterin, der Zweitbeklagte als Notar tätig.

[3] Das Erstgericht wies die Klage ab.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es trat der Beurteilung des Erstgerichts, es fehle für die Feststellung der Unwirksamkeit des Abtretungsvertrags oder dessen Aufhebung in Ansehung des den Vertrag beurkundenden Notars an dessen Passivlegitimation. Soweit sich die Vorwürfe des Klägers zu einer fehlerhaften Errichtung des Notariatsakts überhaupt bewahrheitet hätten (auf die verneinte Anfechtung wegen Irrtums, laesio enormis und Wegfall der Geschäftsgrundlage war der Kläger schon in der Berufung nicht näher eingegangen), ließe sich daraus keine Nichtigkeit des Notariatsakts ableiten.

[5] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Reichweite des § 66 NO iVm § 54 NO keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege, insbesondere nicht zur Frage, ob Verstöße gegen die Prüf‑ und Belehrungspflicht beim Mantelakt anders als beim „normalen“ Notariatsakt einen Solennitätsverlust bewirken könnten; klärenswert erscheine auch die Frage nach der Verallgemeinerungsfähigkeit des Rechtssatzes RS0049494.

[6] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Das Begehren auf Feststellung der Unwirksamkeit des in Notariatsaktsform abgeschlossenen Abtretungsvertrags (in eventu dessen Aufhebung) auch gegenüber dem Zweitbeklagten, gründete der Kläger darauf, dass dieser im Rechtsstreit gegen die (andere) Partei des Vertrags notwendiger Streitgenosse sei. Die damit von ihm angesprochene Passivlegitimation des Zweitbeklagten berührt die vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Rechtsfragen aber nicht.

[8] 1.1 Die Zulässigkeit seiner Revision im Verfahren gegen den Zweitbeklagten kann der Kläger auch bloß darauf stützen, dass „zum vorliegenden Fall“ (in Ansehung des Bestehens einer notwendigen Streitgenossenschaft in Bezug auf einen Notar) noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege. Allein das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der hier zu beurteilenden Fallgestaltung begründet für sich aber noch nicht eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0102181; RS0110702; RS0107773). Das gilt insbesondere dann, wenn der Streitfall – wie hier – bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann und gelöst wurde (6 Ob 97/21i; RS0042742 [T13]).

[9] 1.2. Eine einheitliche Streitpartei (notwendige Streitgenossenschaft) im Sinn des § 14 ZPO liegt vor, wenn die Gemeinschaftlichkeit der Rechtstatsachen zwangsläufig– nämlich kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses („anspruchsgebunden“) oder kraft gesetzlicher Vorschrift („wirkungsgebunden“) – zu einer Einheitlichkeit der Entscheidung führen muss (RS0035496). Sie ist jedenfalls anzunehmen, wenn für sämtliche Streitgenossen aus der Einheitlichkeit des rechtserzeugenden Sachverhalts ein allen Streitgenossen gemeinsames Begehren abgeleitet wird oder wenn das allen Streitgenossen gemeinschaftliche Rechtsverhältnis seiner Natur nach nur gegen alle oder für alle einheitlich festgestellt oder gestaltet werden kann (RS0035409). Das ist nicht der Fall, wenn trotz Gemeinsamkeit des rechtserzeugenden Sachverhalts keine rechtliche Notwendigkeit für eine in jedem Fall einheitliche Entscheidung besteht (4 Ob 196/11v; 2 Ob 40/20a; 6 Ob 97/21i), abweichende Entscheidungen also nicht zu unlösbaren Verwicklungen führen (RS0035473).

[10] Die Frage, ob eine notwendige Streitgenossenschaft vorliegt, ist nach dem materiellen Recht zu entscheiden und nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (stRsp, s bloß 6 Ob 97/21i).

[11] 1.3. Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, dass hinsichtlich der Beklagten keine notwendige Streitgenossenschaft vorliegt, weil im Rechtsstreit um die Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags zwar sämtliche Vertragsparteien eine notwendige Streitgenossenschaft bilden (RS0083003), der Zweitbeklagte aber gerade nicht Partei des strittigen Rechtsverhältnisses geworden sei, findet in der zuvor erörterten Rechtsprechung Deckung.

[12] Der Kläger kommt in der Revision zur Gefahr „unlösbarer Verwicklungen“ durch divergierende Entscheidungen auf seine ursprüngliche Argumentation zum Fortbestand der Notariatsaktsurkunde als solcher auch noch im Falle der Nichtigerklärung des zugrundeliegenden Notariatsakts gegenüber der Vertragspartei zurück (indem er darauf verweist, dass Notariatsakte sehr wohl öffentlich werden können, zumal es häufig vorkomme, dass Anteilsabtretungsverträge in die Urkundensammlung des Firmenbuchs aufgenommen werden). Dabei bleibt jedoch von vornherein im Dunkeln, inwieweit dieses Vorbringen seinen Standpunkt stützen soll, zumal die angesprochene Urkunde ja selbst dann unter der vom Zweitbeklagten vergebenen Geschäftszahl bestehen bliebe, wenn die Nichtigkeit des Notariatsakts (auch) ihm gegenüber festgestellt würde. Im Übrigen steht fest, dass im Falle der gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit (gegenüber der Erstbeklagten) unter der betreffenden Geschäftszahl der Vermerk der Nichtigkeit gemacht bzw das die Nichtigkeit feststellende Urteil beigeheftet würde.

[13] 2. Auch zur Abweisung hinsichtlich der Erstbeklagten kann die Revision keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen:

[14] 2.1. Über weite Strecken stellt sie sich als Versuch dar, die für den Kläger nachteilige Beweiswürdigung in dritter Instanz anzugreifen und die (Vollständigkeit der) Sachverhaltsgrundlage in Zweifel zu ziehen.

[15] 2.1.1. Da der Oberste Gerichtshof aber nur Rechtsinstanz und nicht auch Tatsacheninstanz ist, kann vor ihm die Beweiswürdigung der Vorinstanzen nicht bekämpft werden (RS0043414 [T11]; RS0043371). Die (letztlich auch auf eine „Umwürdigung“ abzielenden) Bestrebungen des Klägers, sekundäre Feststellungsmängel als Folge einer (vermeintlichen) Widersprüchlichkeit der getroffenen (Negativ‑)Feststellungen zu Beginn und Dauer des Termins, zur Verlesung und zur durchgängigen Anwesenheit aller Unterzeichner darzulegen, scheitern an der insoweit eindeutigen und im Einzelfall nicht korrekturbedürftigen Auslegung des Ersturteils durch das Berufungsgericht (RS0118891).

[16] 2.1.2. § 292 Abs 2 ZPO verlangt nach jüngerer, mittlerweile verfestigter Rechtsprechung den Beweis des Gegenteils. Der nach § 292 Abs 1 ZPO anzunehmende volle Beweis fällt daher nur weg, wenn (positiv) bewiesen – also das Gericht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon überzeugt – wird, dass der beurkundende Umstand nicht zutrifft. Eine bloße Negativfeststellung kann den nach § 292 Abs 1 ZPO erbrachten vollen Beweis nicht erschüttern (ausführlich dazu 2 Ob 62/19k mwN; vgl auch 2 Ob 196/20t; zur abweichenden beweisrechtlichen Situation [nur] im Rahmen der amtswegigen Überwachung des Zustellvorgangs, aufgrund derer sich die Rsp beim Zustellnachweis mit dem Gegenbeweis begnügt, s zuletzt 3 Ob 225/21s).

[17] 2.1.3. Wieso der Nachweis, dass vereinzelte im Notariatsakt beurkundete Tatsachen (etwa vertauschte Hausnummern [5a, 1a]) unrichtig sind, den Verlust der gesetzlichen Vermutung nach § 292 Abs 1 ZPO auch in Ansehung der hier in Frage stehenden Umstände, nämlich der vollständigen und vor allen Parteien durchgeführten Verlesung, bewirken sollen, ohne dass es einer Widerlegung eben dieser Umstände bedürfte, legt der Kläger nicht nachvollziehbar dar, sodass es keiner Befassung des Obersten Gerichtshofs mit dieser Frage bedarf.

[18] Im Übrigen folgte aus dem vom Kläger postulierten Wegfall der gesetzlichen Vermutung gerade nicht, dass nunmehr der Prozessgegner dazu verhalten wäre, diese Umstände nachzuweisen. Noch immer wäre – nach den allgemeinen Beweislastregeln (für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der für die Partei günstigen Rechtsnorm [RS0039939; RS0106638]), an ihm gelegen, den Beweis zu führen, dass die Verlesung eben nicht (vollständig) bzw nicht in Anwesenheit aller beteiligten Parteien stattgefunden hatte (was ihm aber nicht gelungen ist). Durch die Beseitigung der besonderen Beweiskraft der öffentlichen Urkunde wäre für den Kläger somit nichts gewonnen.

[19] 2.1.4. Ist im vorliegenden Fall gemäß den Vorinstanzen „nach dem festgestellten Sachverhalt“ von einer „tatsächlich erfolgten Vorlesung des Vertrages und des Mantels“ „in Anwesenheit aller Beteiligten“ auszugehen, fehlen entscheidungswesentliche Feststellungen nicht.

2.2. Zur Belehrungspflicht:

[20] 2.2.1. Der Oberste Gerichtshof billigte bereits in der Entscheidung 6 Ob 49/11s ausdrücklich (§ 510 Abs 3 S 2 ZPO) die Ansicht, dass bei einer Verletzung der notariellen Belehrungspflicht der Notariatsakt vollauf wirksam bleibe. Den Standpunkt, dass die Verletzung der Belehrungspflicht nicht zum Verlust der Kraft einer öffentlichen Urkunde führt und die Wirksamkeit des Notariatsakts grundsätzlich nicht berührt, hat der Oberste Gerichtshof überdies jüngst unter Hinweis auf die unterbliebene Nennung eines Verstoßes gegen § 52 NO in § 68 Abs 1 NO erneut bekräftigt (6 Ob 122/21s [ErwGr 3.4]; siehe auch schon 9 Ob 82/04f [zur Belehrungspflicht]).

[21] 2.2.2Der Kläger vermag in seiner Revision keine stichhaltigen Gründe darzulegen, die eine neuerliche Überprüfung dieser Position geboten erscheinen lassen, wenn diese Aussage gerade zum Fall einer notariellen Bekräftigung einer Privaturkunde nach § 54 NO fiel und in dieser Entscheidung ganz grundsätzlich erläutert wurde, dass die Privaturkunde durch die Mantelung ergänzender Bestandteil des Notariatsakts selbst wird (6 Ob 122/21s [ErwGr 3.2.]). Überdies lässt der Kläger die höchstgerichtlich gebilligte Erwägung (vgl 6 Ob 49/11s [ErwGr 2.]) unberücksichtigt, dass die notarielle Belehrungspflicht (§ 52 NO) – anders als die Pflicht zur Dolmetschbeiziehung nach § 63 Abs 1 NO – der „intellektuellen Erfassung des Vertragsinhalts in materieller Hinsicht“ und nicht dem Verständnis des mittels Notariatsakts zu errichtenden Vertrags nach seinem Wortsinn (dessen Zurkenntnisnahme etwa auch die Verlesung [vgl § 68 Abs 1 lit f NO]) dient. Inwieweit der Kläger, der internationale Betriebswirtschaft studiert hatte, den Vertrag nicht verstanden hätte, legt er nicht dar. Der mittels Notariatsakt geschlossene Vertrag selbst unterliegt im Streit zwischen den Vertragsparteien ohnehin (gegebenenfalls) der Korrektur nach den materiell‑rechtlichen Regelungen des ABGB. Für eine Ungleichbehandlung der Belehrungspflicht bei einem „gewöhnlichen“ Notariatsakt und der Solennisierung einer Privaturkunde kann der Kläger eine sachliche Rechtfertigung nicht aufzeigen.

[22] 2.3. Auch kann keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, dass (bei eindeutiger Indentifizierbarkeit) ein Vertauschen von Hausnummern (5a statt 1a als Firmenbuchadresse der Erstbeklagten bzw 1a statt 5a bei der Adresse der Amtshandlung, wobei diesen Adressen jeweils Räumlichkeiten zugeordnet sind, die in einem „hausintern“ durchgängigen Gebäudekomplex liegen) und die Nennung der Erstbeklagten als „Partei“ (ohnehin unter Zusatz der für sie tatsächlich erschienen Personen, samt deren Generalien und dem Hinweis auf deren Vertretungsverhältnis) nicht zur Nichtigkeit des Notariatsakts führen.

[23] Bestehen angesichts des klaren Gesetzeswortlauts und Gesetzeszwecks keine ernstlichen Zweifel und auch kein Meinungsstreit in der Lehre zur Auslegung einer Bestimmung (hier § 68 Abs 1 lit a, c und e NO), ist dazu im Interesse der (bereits gegebenen) Rechtssicherheit auch keine „Klarstellung“ durch den Obersten Gerichtshof erforderlich (vgl RS0107348).

[24] 3. Ebensowenig bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob der in RS0049494 zur notariellen Beurkundung einer Erhöhung des Stammkapitals einer GmbH, zum Notariatsakt über die Übernahmserklärung und der zum Gesellschaftsvertrag (an sich) bereits zum Ausdruck gebrachte Gedanke, dass durch die rechtskräftige Eintragung im Firmenbuch Formmängel heilen können, für (alle) Formmängel von Notariatsakten generell verallgemeinerbar ist. Haften dem Notariatsakt (der notariellen Beurkundung nach § 54 NO) nämlich keine zu dessen Nichtigkeit führenden Mängel an, wäre die Beantwortung dieser Frage mangels Präjudizialität (vgl RS0088931) für den vorliegenden Fall rein hypothetischer Natur (vgl RS0111271).

[25] 4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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