European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00096.22G.0622.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, denklagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 6.130,83 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 1.021,81 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Beklagte – ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen – ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke, auf denen sich ein von ihr betriebener Verschiebebahnhof befindet. Die Kläger wohnen seit vielen Jahren in unmittelbarer Nähe zu diesem Bahnhof.
[2] Mit ihrer Klage begehren die Kläger, der Beklagten gemäß § 364 Abs 2 ABGB die von ihrer Liegenschaft ausgehenden und auf die Grundstücke der Kläger einwirkenden Lärmimmissionen zu untersagen, nämlich das durch Verschubarbeiten hervorgerufene metallische, hochfrequente Quietschen, soweit dadurch auf den Grundstücken der Kläger Pegelspitzen von (je nach Grundstück) zwischen LA,Sp = 70 und LA,Sp = 89 dB überschritten werden; in eventu die durch Verschubarbeiten hervorgerufenen metallischen Lärmimmissionen mit einer dominanten Frequenz mit entweder ca 1,6 kHz oder ca 2,7 kHz (und jeweils ganzzahlig Vielfachen davon); in eventu das durch Verschubarbeiten hervorgerufene metallische, hochfrequente Quietschen, soweit dadurch das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigt wird.
[3] Zusammengefasst bringen sie vor, ungefähr im Herbst/Winter 2019 sei zu der seit jeher mit dem Betrieb des Verschiebebahnhofs verbundenen Lärmbelästigung ein extrem lautes, eindringliches, hochfrequentes, metallisches „Quietschen“ hinzugekommen, das mehrmals täglich und auch in der Nacht zu hören sei. Diese lärmerhöhende Veränderung des Verschubbetriebs, der überhaupt kein Genehmigungsverfahren vorangegangen sei, sei auf Ende des Jahres 2019 (oder zu einem unbekannten Zeitpunkt davor) in Betrieb gesetzte Teile des Verschiebebahnhofs zurückzuführen. Insbesondere seien die Bremsanlagen am Bahnhof in einer Art und Weise geändert worden, die bewilligungspflichtig gewesen wäre, weil sie zu einer massiven Lärmerhöhung geführt hätte. Die Lärmspitzen von bis zu 110 dB und einer dominanten Frequenz von ca 1,6 kHz (oder ca 2,7 kHz) seien gesundheitsgefährdend, ortsunüblich und würden die ortsübliche Nutzung wesentlich beeinträchtigen. Das für den Betrieb eines Verschiebebahnhofs untypische Quietschen könnte mit zumutbaren Vorkehrungen auf ein ortsübliches Maß vermindert werden.
[4] Die Beklagte erhob unter anderem die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs. Selbst für den Fall, dass den Klägern im eisenbahnrechtlichen Bewilligungsverfahren keine Parteirechte zugestanden wären, sei im Sinne der oberstgerichtlichen Judikatur zu 1 Ob 47/15s dennoch von einer behördlich genehmigten Anlage auszugehen, zumal eine bescheidmäßige Genehmigung erfolgt sei, der eine Bedachtnahme der Behörde auf die Anrainerinteressen zugrunde gelegen sei. Dass den Klägern allenfalls nicht explizit Parteistellung eingeräumt worden sei, ändere nichts daran. Eine nachträgliche Befassung des ordentlichen Gerichts mit Immissionsfragen, die bereits im verwaltungsbehördlichen Genehmigungsverfahren abgehandelt worden seien, erscheine nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs systemwidrig.
[5] Das Erstgericht verwarf diese Einrede. Die geltend gemachten nachbarrechtlichen Ansprüche seien zivilrechtlicher Natur. Ob für die angeblichen Umbauten Bewilligungen vorliegen würden oder nicht, sei nur im Hinblick auf die Abgrenzung des Untersagungsanspruchs nach § 364 ABGB vom Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB strittig. Die Argumentation der Beklagten, dass Immissionsfragen nach der Bewilligung der Anlage nicht vor den Zivilgerichten zu verhandeln wären, würde den Regelungszweck des § 364a ABGB ad absurdum führen.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten Folge, hob das bisherige Verfahren wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs als nichtig auf, wies die Klage zurück, bewertete den Entscheidungsgegenstand für jeden Kläger mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Die Kläger leiteten ihre Ansprüche nicht aus fehlerhafter „privatrechtlicher“ Errichtung und/oder Erhaltung der Schienen des Verschiebebahnhofs, sondern aus den Bremsgeräuschen der auf den Schienen fahrenden Lokomotiven ab. Die Ursache des Lärms sei daher „letztlich“ der hoheitsrechtliche Akt der Freigabe der Schienen des Verschiebebahnhofs für den Verkehr der in § 57 EisbG genannten Zugangsberechtigten. Gewähre aber letztlich die Schienen-Control Kommission jenen Lokomotiven, deren Bremsvorgänge auf den Schienen den Lärm verursachten, hoheitsrechtlich den „Zugang zur Eisenbahninfrastruktur“ (§ 56 EisbG), könne diese hoheitsrechtliche Regelung des „Gemeingebrauchs“, die zu einer hoheitsrechtlichen Verpflichtung der Beklagten zur Duldung des mit Bescheid bewilligten Gebrauchs führe, nicht mit den privatrechtlichen Mitteln des Nachbarrechts erzwungen werden. Da die Kläger mit ihrer Behauptung nachbarrechtlicher Eingriffe in Wahrheit auf hoheitliches Handeln Einfluss nehmen wollten, sei der ordentliche Rechtsweg unzulässig.
[7] Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für Streitigkeiten um den durch Eisenbahnverschubarbeiten verursachten, auf benachbarte Liegenschaften einwirkenden Lärm der ordentliche Zivilrechtsweg für zulässig erachtet worden sei.
[8] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Kläger mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses.
[9] Dem tritt die Beklagte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung entgegen.
[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt, weil die Rechtsansicht des Rekursgerichts, für die vorliegende Klage sei der Rechtsweg unzulässig, korrekturbedürftig ist.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Für die Zulässigkeit des Rechtswegs ist in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und der in der Klage behauptete Sachverhalt maßgebend (RIS‑Justiz RS0045584; RS0005896). Es kommt darauf an, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den die Zivilgerichte zu entscheiden haben (6 Ob 208/18h; 8 Ob 28/13w mwN). Maßgeblich sind die Natur und das Wesen des geltend gemachten Anspruchs, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung ist (RS0045584 [T20]; RS0045644 [T19]). Ohne Einfluss ist hingegen, ob der behauptete Anspruch begründet ist (RS0045584 [T30, T35]; vgl auch RS0045491).
[12] Unzweifelhaft ist der geltend gemachte nachbarrechtliche Untersagungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB zivilrechtlicher Natur.
[13] Der Rechtsweg ist auch ausgeschlossen, wenn zwar – wie hier – ein privatrechtlicher Eingriff behauptet wird, das Begehren auf Unterlassung jedoch zeigt, dass in Wahrheit der beklagten Partei hoheitliches Handeln untersagt werden soll (RS0010522), was allerdings voraussetzt, dass sie selbst Hoheitsträger ist. Einem Begehren, wonach die Gerichte einem Rechtsträger ein bestimmtes Tun oder eine bestimmte Unterlassung auftragen sollen, steht der Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung entgegen. Der Rechtsweg ist daher immer unzulässig, wenn mit dem begehrten gerichtlichen Vorgehen in Wirklichkeit die Vornahme oder Rückgängigmachung eines Hoheitsaktes einer Verwaltungsbehörde angestrebt wird oder sonst auf deren hoheitliches Handeln Einfluss genommen werden soll (vgl RS0010522 [T9, T11]; 1 Ob 34/07t mwN). Dementsprechend können Maßnahmen der Hoheitsverwaltung, wie die Regelung und Sicherung des Gemeingebrauchs an öffentlichen Straßen, mit den privatrechtlichen Mitteln des Nachbarrechts nicht erzwungen werden (RS0010522 [T19]). Der bloße Umstand, dass Immissionen im Bereich der „Daseinsvorsorge“ verursacht werden, reicht zur Qualifikation als „hoheitlich“ allerdings nicht aus (vgl RS0010537; Oberhammer/Scholz‑Berger in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 § 364 ABGB Rz 14).
[14] 2.1 Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts zielt das Begehren der Kläger nicht darauf ab, dass in Wahrheit auf hoheitliches Handeln, nämlich den „letztlich“ mit Bescheid der Schienen-Control Kommission geregelten „Zugang zur Eisenbahninfrastruktur“, Einfluss genommen werden soll. Die Kläger behaupten eine vor Ende des Jahres 2019 erfolgte lärmerhöhende Veränderung des Verschubbetriebs, insbesondere eine bewilligungslose Änderung der Bremsanlagen am Verschiebebahnhof, und wollen die Beklagte zur Unterlassung der angeblich davon ausgehenden untypischen Lärmimmissionen verhalten. Das lässt aber die vom Rekursgericht angesprochene Frage nach der Zugangsberechtigung (vgl §§ 56 f EisbG) zu den Schienen des Verschiebebahnhofs unberührt. Vielmehr gilt ganz Ähnliches, wie der Oberste Gerichtshof bereits in der (den Betreiber einer Eisenbahnanlage betreffenden) Entscheidung 1 Ob 47/15s (zu einer Betriebsbewilligung) festgehalten hat: Auch hier würde mit einem klagestattgebenden Unterlassungsurteil keineswegs in eine allenfalls mit Bescheid nach § 72 Abs 4 EisbG auferlegte Duldungspflicht der Beklagten eingegriffen, wird die Wirksamkeit eines solchen Bescheids davon doch in keiner Weise beeinflusst und steht es der Beklagten – wie auch sonst bei Unterlassungsansprüchen – frei zu entscheiden, durch welche Maßnahmen sie einen gegenüber dem Unterlassungsberechtigten gesetzmäßigen Zustand herstellen will (vgl RS0010566 [T2]).
[15] 2.2 Der Einwand der Beklagten, die Befassung des Zivilgerichts mit Immissionsfragen, die bereits im verwaltungsbehördlichen Genehmigungsverfahren abgehandelt worden seien, erscheine systemwidrig, verkennt, dass die Kläger Lärmimmissionen behaupten, die gerade durch keine Genehmigung gedeckt sein sollen. Wie schon das Erstgericht richtig ausgeführt hat, berechtigt auch eine behördliche Betriebsanlagengenehmigung den Anlagenbetreiber nicht zu Immissionen jeglicher Art und Intensität, sondern ist die Duldungspflicht der Nachbarn schon nach der ratio der Regelung des § 364a ABGB mit der Reichweite der erteilten Genehmigung begrenzt (8 Ob 61/19g unter Verweis auf 1 Ob 194/17m und 1 Ob 47/15s). Im Übrigen betrifft die Frage, welche Immissionen die Kläger hinzunehmen haben, weil sie für den Betrieb der genehmigten Anlage typisch sind und auch nicht durch zumutbare Vorkehrungen hintangehalten oder verringert werden können, nicht die Rechtswegzulässigkeit, sondern die inhaltliche Berechtigung des von den Klägern behaupteten Unterlassungsanspruchs. Darüber ist erst in der Sachentscheidung abzusprechen (vgl RS0045491).
[16] 3. Dem berechtigten Revisionsrekurs der Kläger ist daher Folge zu geben und die rechtsfehlerfreie Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
[17] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 ZPO iVm § 52 Abs 1 Satz 2 und § 41 ZPO. Die Beklagte ist im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs unterlegen; sie hat den Klägern daher deren (vom Hauptverfahren abgrenzbaren) Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen (RS0035955).
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