OGH 11Os40/22z

OGH11Os40/22z14.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen * T* wegen des Verbrechens nach § 3g VG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 22. Februar 2022, GZ 18 Hv 111/21p‑29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00040.22Z.0614.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch und in der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * T* des Verbrechens nach § 3g VG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.

[2] Danach hat er sich am 20. Jänner 2021 auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er nach Schluss der gegen ihn am Bezirksgericht St. Veit an der Glan zu AZ 5 U 99/20p geführten Hauptverhandlung durch das offene Fenster des Verhandlungssaals 1 im Parterre schrie: „Ihr Hundskrippel, wenn i der Hitler war, tat ich euch alle vergasen und wenn i der Hitler war, dann gehörten die alle erschlagen!“.

[3] Die Geschworenen bejahten die in Richtung des Verbrechens nach § 3g VG gestellte Hauptfrage. Weitere Fragen wurden nicht gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[5] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung des Antrags auf Einholung eines „Ergänzungsgutachtens“ (ON 28 S 12) Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.

[6] Die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen ist gemäß § 127 Abs 3 StPO nur dann geboten, wenn sich die behaupteten Mängel von Befund und Gutachten – hier ein behaupteter Widerspruch bei der Beurteilung der Dispositionsfähigkeit des Angeklagten aus psychiatrischer Sicht – durch Befragung des bereits bestellten Sachverständigen nicht beseitigen lassen (RIS-Justiz RS0120023 [T1]).

[7] Da aber der Verteidiger den vom Gericht beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung mit den aus seiner Sicht offenen Fragen konfrontierte und dieser zu den aufgeworfenen Fragen ausdrücklich und klärend Stellung nahm (ON 28 S 9 f), hätte es im Antrag einer fundierten Darlegung bedurft, weshalb die behaupteten Bedenken gegen das Gutachten (trotzdem) nicht aufgeklärt wurden (RIS-Justiz RS0102833 [T2]; jüngst 15 Os 49/21a Rz 4).

[8] Demgegenüber erschöpft sich das Antragsvorbringen, wonach das Gutachten einerseits von der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt, in Bezug auf die Gefährlichkeitsprognose jedoch von dessen Unfähigkeit, seine Impulse zu steuern, ausgehe (ON 28 S 12), im Wesentlichen in der Behauptung eines (weiterhin) vorliegenden Widerspruchs, ohne sich mit den diesbezüglichen – vorher bestandene Widersprüche ausräumenden – Ergänzungen des Sachverständigen substantiiert auseinanderzusetzen. Solcherart zielte der Antrag insgesamt bloß auf eine Überprüfung der Beurteilung der vorliegenden Expertise in der nicht indizierten Erwartung eines für den Antragsteller günstigeren Ergebnisses und damit auf eine in der Hauptverhandlung unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS-Justiz RS0117263 [T6]).

[9] Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618, RS0099117).

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

[11] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass die vom Erstgericht angeordnete Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB mit nicht geltend gemachter Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StPO behaftet ist. Die Annahme, der Angeklagte werde mit hoher Wahrscheinlichkeit unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades „in Zukunft mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen begehen“ (US 3), stellt mangels jeglicher konkreten Umschreibung der Prognosetaten zumindest ihrer Art nach keine ausreichende Feststellungsgrundlage dar, welche die Beurteilung der befürchteten Begehung einer Tat mit schweren Folgen ermöglichen würde (RIS‑Justiz RS0118581 [T9, T10], RS0113980 [T8, T10]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 721; Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 26).

[12] Diese dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Nichtigkeit war hier von Amts wegen aufzugreifen (§§ 344, 285e erster Fall, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) und erfordert die Kassation des die in Rede stehende Maßnahme betreffenden Ausspruchs und – wegen des untrennbaren Zusammenhangs (§ 289 StPO) auch – die Aufhebung des Strafausspruchs (vgl RIS‑Justiz RS0115054, RS0100108).

[13] Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

[14] Die Kostenersatzpflicht gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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