OGH 13Os30/22v

OGH13Os30/22v20.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher in der Finanzstrafsache gegen * S* und einen Angeklagten wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 80 Hv 84/21y des Landesgerichts Klagenfurt, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten * W* gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 17. Februar 2022, AZ 8 Bs 45/22m, (ON 61) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00030.22V.0420.000

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Die Vorsitzende des Schöffensenats des Landesgerichts Klagenfurt verhängte (auf Antrag der Staatsanwaltschaft, ON 1 S 17 f) mit Beschluss vom 20. Jänner 2022 über den Angeklagten * W* die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO (ON 51).

[2] Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Graz der gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde des * W* nicht Folge und ordnete aus dem selben Haftgrund die Fortsetzung der Untersuchungshaft an.

[3] Dabei ging das Beschwerdegericht vom dringenden Verdacht (§ 173 Abs 1 erster Satz StPO) aus, * W* habe im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Salzburg-Land als faktischer Geschäftsführer der N* GmbH im einverständlichen Zusammenwirken mit der unternehmensrechtlichen Geschäftsführerin

vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung von Umsatzsteuer um insgesamt 1.304.095,19 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, indem sie Umsatzsteuervoranmeldungen nur teilweise einreichten und die Umsatzsteuer nicht entrichteten, und zwar für jeden der Monate Mai 2016 bis November 2016, Jänner 2017, März 2017, April 2017, Juni 2017, August 2017 bis Oktober 2017, März 2018 bis August 2018 und Dezember 2018 bis November 2019 in im Beschluss jeweils einzeln ausgewiesener Höhe, sowie

am 4. Dezember 2019 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz * D* durch Täuschung über Tatsachen zur Überweisung von 15.900 Euro verleitet, die * D* im angeführten, 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigte.

[4] In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses Verhalten als mehrere Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG und als Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die dagegen gerichtete Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten * W* wendet sich gegen die Annahme des Haftgrundes und behauptet Substituierbarkeit der Haft durch Anwendung gelinderer Mittel.

[6] Die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren überprüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806).

[7] Die von § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO geforderte Prognoseentscheidung gründete das Beschwerdegericht (ausgehend von der dargelegten dringenden Verdachtslage) auf die Umstände, dass der Beschwerdeführer bereits fünf Vorstrafen wegen strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen (ON 37) und eine finanzbehördliche Vorstrafe (ON 10 S 299 verso) aufweist und ihn auch die Verurteilung zu einer (mehrmonatigen, am 17. Mai 2017 verbüßten [ON 37 S 3]) Haftstrafe nicht davon abhalten konnte, über mehrere Jahre (mutmaßliche) Abgabenverkürzungen (allein an Umsatzsteuer in der Höhe von gesamt etwa 1,3 Mio Euro) zu begehen. Zudem sei der Beschwerdeführer nach der Aktenlage (ON 40 S 11 ff) in einem seit Juni 2020 betriebenen und einen Rückstand von 305.000 Euro an gleichartigen Abgaben aufweisenden Einzelunternehmen seiner Tochter tätig gewesen und habe er auch dieses (im gleichen Geschäftsfeld wie die N* GmbH angesiedelte) Unternehmen gegenüber den Finanzbehörden vertreten (BS 7 f).

[8] Diese Ableitung entspricht den Gesetzen folgerichtigen Denkens ebenso wie grundlegenden Erfahrungssätzen und ist solcherart unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116732 und RS0118317).

[9] Soweit die Grundrechtsbeschwerde einzelne Elemente der dargestellten Argumentationskette anhand eigener Plausibilitätsüberlegungen bekämpft, ohne sich an der Gesamtheit der Erwägungen des Beschwerdegerichts zu orientieren, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RIS‑Justiz RS0119370).

[10] Beruft sich die Grundrechtsbeschwerde auf die Erreichbarkeit der Haftzwecke durch gelindere Mittel, hat sie diese konkret zu bezeichnen (RIS‑Justiz RS0116422). Der Hinweis der Beschwerde auf vor der Verhängung der Untersuchungshaft „unterbreitete Auflagen“ wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Im Übrigen lässt die Beschwerde offen, worin dem Beschwerdegericht in seiner Einschätzung, der Hintanhaltung des Haftgrundes könne durch gelindere Mittel nicht begegnet werden (dazu BS 8), ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre.

[11] Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.

Stichworte