European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00046.22S.0406.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Es ist medizinischer Standard, dass ein Arzt einen Patienten bei der Verabreichung oder Verordnung von Penicillin über eine allfällige Allergie oder bekannte Unverträglichkeit befragt und auch über die möglichen (schweren) Nebenwirkungen aufklärt. Der Klägerin wurde zur Behandlung ihrer Erkältung vom Beklagten ein penicillinhältiges Antibiotikum verordnet und – mit der Anordnung, es drei Mal täglich einzunehmen – in der Ordination ausgehändigt. Es steht nicht fest, ob im Zuge des Arzt‑Patienten‑Gesprächs zwischen dem Beklagten und der Klägerin darüber gesprochen wurde, dass es sich bei dem Medikament um ein (synthetisches) Penicillin handelt, und ob der Beklagte die Klägerin über die Nebenwirkungen dieses Medikaments aufklärte. Die Klägerin, die unter einer ihr seit Jahren bekannten Allergie gegen Penicillin leidet und in der Vergangenheit nach der Verschreibung (auch) von (synthetischem) Penicillin bereits massive Beschwerden erlitten hatte, nahm das Medikament ein, weil ihr nicht bekannt gewesen war, dass es sich bei dessen Wirkstoff um ein synthetisches Penicillin handelte.
[2] Für die dadurch verursachten Schmerzen erkannte ihr das Berufungsgericht 2.600 EUR an Schmerzengeld zu.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die Revision des Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf:
[4] 1. Das Berufungsgericht gründete seinen Zuspruch auf zwei Gründe: zum einen auf einen Behandlungsfehler und zum anderen auf die Verletzung der Aufklärungspflicht. Hinsichtlich letzterer sah es eine erhebliche Rechtsfrage darin, dass der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 71/09y – wenn auch ohne nähere Begründung und anlässlich der Zurückweisung einer außerordentlichen Revision – wieder der älteren Rechtsprechung gefolgt sei, wonach den geschädigten Patienten die Beweislast dafür treffe, dass die geschuldete Aufklärung nicht erfolgt sei.
[5] 2. Sogar der Beklagte räumt dazu (in zutreffender Weise) ein, dass das Berufungsgericht die (herrschende) Rechtsprechung zur Beweislast des Arztes für die erfolgte Aufklärung (vgl dazu etwa 8 Ob 628/92 in ausdrücklicher Abkehr von der älteren Rechtsprechung; RS0026777; RS0111528; vgl 3 Ob 225/11a [ErwGr 3.2.] zur einhelligen jüngeren Rechtsprechung), die auch bei medikamentöser Heilbehandlung besteht (1 Ob 84/08x; RS0026529 [T7]), richtig zitiert hat und diese auch zutreffend ist. Er vertritt aber den Standpunkt, für den vorliegenden Fall gehe es gar nicht um eine Verletzung der Aufklärungspflicht, wenn doch – in Kenntnis der Penicillinunverträglichkeit – ein anderes Medikament zu wählen und das tatsächlich verordnete kontraindiziert gewesen wäre; da das Vorliegen eines Behandlungsfehlers von der Klägerin als Patientin nachzuweisen gewesen wäre, ihr dieser Beweis aber nicht gelungen sei (das Berufungsgericht als letzte Tatsacheninstanz ließ die diesbezügliche Beweisrüge der Klägerin unbehandelt), wäre die Klage abzuweisen gewesen.
[6] 3. Ob zutrifft, dass die Klägerin den Beweis für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers nicht erbracht hat, kann aber im vorliegenden Fall als nicht entscheidungserheblich dahinstehen und ändert nichts daran, dass es bei Verschreibung eines penicillinhältigen Medikaments (selbst wenn dessen Verordnung und Verabreichung kontraindiziert gewesen wäre) – nach dem festgestellten medizinischen Standard – in jedem Fall (also auch im Fall eines Fehlers bei der Wahl des Wirkstoffs) die Pflicht des Beklagten als Arzt gewesen wäre, über die möglichen Folgen der Behandlung, in concreto über die mit der Einnahme von Penicillin möglicherweise einhergehenden Nebenwirkungen aufzuklären. Darin, dass ihn das Berufungsgericht angesichts des fehlenden Nachweises der Erfüllung seiner Aufklärungspflicht für die durch das Penicillin verursachten schweren Nebenwirkungen zur Haftung heranzog, liegt demnach keine erhebliche Rechtsfrage.
[7] 4. Auch mit seinem Verweis auf die zu 6 Ob 179/19w gefällte Entscheidung kann die Revision keine Bedenken gegen das angefochtene Urteil wecken. In jenem Fall wurde es dem Patienten als Verletzung seiner Mitwirkungspflicht angelastet, dass er im Aufklärungs- bzw Anamnesegespräch mit dem Anästhesisten, der ausdrücklich nach Allergien oder Unverträglichkeiten gefragt hatte, keine Mitteilung von seiner Diclofenac-Unverträglichkeit gemacht hatte. Hier steht dagegen gar nicht fest, ob der Beklagte (dem als Arzt anlässlich der von ihm beabsichtigten Verschreibung des Medikaments – anders als der Klägerin – bekannt war, dass dieses Penicillin enthält, und dem die möglichen schweren Nebenwirkungen des Wirkstoffs Penicillin bewusst waren oder jedenfalls bewusst sein mussten) die Klägerin im Arzt‑Patienten‑Gespräch zu einer Penicillinunverträglichkeit befragt oder auch nur die Behandlung mit Penicillin thematisiert hatte.
[8] Von einer Erfolgshaftung kann entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung keine Rede sein, zumal auch das Berufungsgericht seine Haftung nicht bloß wegen der von der Patientin erlittenen Schmerzen (als Erfolg) annahm, sondern deswegen, weil er hinsichtlich der Erfüllung seiner (nach dem Stand der Medizin bei Penicillin gebotenen) Aufklärungspflicht über mögliche Nebenwirkungen dieses Wirkstoffs beweisbelastet ist, eine durch ihn erfolgte Aufklärung aber nicht beweisen konnte.
[9] 5. Die (fehlergeneigte) Vorgangsweise, die von den Patienten ausgefüllten und unterschriebenen (Aufnahme-)Patientenbögen nach der (ohne Kontrolle gebliebenen) Übertragung der Daten ins EDV‑System des Beklagten durch die Ordinationsassistentin zu vernichten, wurde nach Bekanntwerden dieses Vorfalls ohnehin dahin verbessert, dass diese eingescannt (und damit digital aufbewahrt) werden. Da seine Haftung schon wegen der Verletzung seiner Aufklärungspflicht zu bejahen ist, kommt es darauf, ob ihm außerdem auch ein Behandlungsfehler vorzuwerfen wäre (und die damit im Zusammenhang stehenden Fragen zur Vollständigkeit der ärztlichen Dokumentation und deren Aufbewahrung durch zehn Jahre hindurch [§ 51 Abs 1 iVm Abs 3 ÄrzteG]) nicht entscheidungswesentlich an.
[10] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296). Der in den Vorinstanzen ausgesprochene Kostenvorbehalt steht einer Kostenentscheidung im – hier vorliegenden – Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (vgl RS0129365 [T3]).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)