OGH 14Os16/22t

OGH14Os16/22t31.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. März 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M., in der Strafsache gegen * S* und eine Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten S* und * G* sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 17. November 2021, GZ 13 Hv 41/21d‑57, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00016.22T.0331.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * S* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (A./1./) sowie jeweils eines Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (A./2./) und der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (A./3./), * G* des Vergehens der Unterlassung der Hilfeleistung nach § 95 Abs 1 StGB (B./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben am 5. Februar 2021 in R*

A./ S*

1./ * W* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem er mit einem Radlader gegen ihr Bein fuhr, wodurch sie stürzte und eine Fraktur des linken Sprunggelenks sowie eine Prellung samt Abschürfung am rechten Knie erlitt;

2./ nach der zu A./1./ geschilderten Tat die wehrlos am Boden liegende W* mit Gewalt zur Unterlassung der Verständigung der Rettung genötigt, indem er ihr unter Anwendung erheblicher Körperkraft das von ihr mit beiden Händen festgehaltene Mobiltelefon entriss;

3./ im Zuge der zu A./2./ geschilderten Tat W* dadurch geschädigt, dass er ihr Mobiltelefon aus deren Gewahrsam dauernd entzog, ohne die Sache sich oder einem Dritten zuzueignen, indem er das Gerät in seinen Geschäftsräumlichkeiten versteckt aufbewahrte;

B./ G* es bei einem Unglücksfall unterlassen, die zur Rettung eines Menschen aus der Gefahr des Todes oder einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung offensichtlich erforderliche Hilfe zu leisten, indem sie es unterließ, der mit einem Bruch des linken Sprunggelenks am Boden liegenden W*, die ihr mitteilte, sie sei gerade von S* mit einem Radlader angefahren worden und benötige die Rettung, Hilfe zukommen zu lassen, sondern in Kenntnis der Hilfsbedürftigkeit der Genannten und ohne die Rettung zu verständigen oder sonst Hilfe herbeizuholen, diese am Boden liegend zurückließ.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die jeweils auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagten, die ihr Ziel verfehlen.

[4] Den Verfahrensrügen (Z 4) ist voranzustellen, dass Grundlage derselben nur Anträge von Beschwerdeführern sein können, diesie in der Hauptverhandlung (vgl § 239 erster Satz und § 257 erster Satz StPO) gestellt haben. In Schriftsätzen eingebrachte Anträge erfüllen diese Voraussetzung nur, wenn sie vom Antragsteller in der Hauptverhandlung wiederholt werden (RIS‑Justiz RS0099099, RS0099511; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 309 ff). Anträge anderer Beteiligter wiederum muss ein Beschwerdeführer – um aufdie Abweisung oder Nichterledigung derselben Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO stützen zu können – in der Hauptverhandlung durch entsprechende Willenserklärung zu seinen eigenen gemacht haben (vgl RIS‑Justiz RS0099244).

[5] Bei der Prüfung der Berechtigung eines Antrags ist ausschließlich die Verfahrenslage im Zeitpunkt der Stellung desselben in den Blick zu nehmen und sind nur die bei der Antragstellung vorgebrachten Gründe maßgeblich (RIS‑Justiz RS0099618).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*:

[6] Soweit die Verfahrensrüge die Abweisung von Anträgen auf Durchführung eines Lokalaugenscheins im Beisein eines Sachverständigen aus dem Kraftfahrzeugbereich, auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens sowie auf „Inaugenscheinnahme“ eines USB‑Sticks (vgl ON 56 S 5) kritisiert, bezieht sie sich nicht auf in der Hauptverhandlung gestellte Anträge des Beschwerdeführers.

[7] Durch die Abweisung (ON 56 S 5) des Antrags (ON 49 S 9) auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Biomechanik „zum Beweis dafür, ob die Verletzungen von Frau W* mit dem von ihr geschilderten Ablauf des Sturzes in Einklang zu bringen sind“, wurden – der Rüge (Z 4) zuwider – Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt, weil der Antrag schon nach dem Vorbringen bloß auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (RIS‑Justiz RS0118123; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 331).

[8] Zu Recht abgewiesen wurde auch der Antrag (ON 49 S 9) auf Durchführung eines Ortsaugenscheins, der – nach dem Vorbringen in der Hauptverhandlung am 20. Oktober 2021 – gestellt wurde, weil „beide Zeugen“ in der „heutigen“ Hauptverhandlung angegeben hätten, das Opfer sei „rechts und zwar ein bis eineinhalb Meter, des Laders“ gelegen, während Letzteres geschildert habe, es hätte „von hinten nach vorne einen Bauchfleck gemacht“, sodass es „zwingend vor dem Lader“ zu liegen kommen hätte müssen. Denn das Begehren ließ nicht erkennen, warum die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Beweisergebnis erwarten lasse und inwieweit dieses für die Frage der Schuld oder der Subsumtion von Bedeutung ist (RIS‑Justiz RS0118444).

[9] Unterbleiben konnte auch die beantragte (ON 56 S 4 f) Beischaffung des Akts AZ * des Bezirksgerichts J* zum Beweis, dass „der Vorfall nicht wie unter Anklage gestellt, nämlich ein absichtliches Anfahren, stattgefunden“ hat, weil im gegen W* wegen des Verdachts nach § 83 StGB geführten Strafverfahren eine Trunkenheit derselben sowie „im Anschluss daran eine Körperverletzung am Betriebsgelände des Erstangeklagten“ am 19. Juni 2021 verfahrensgegenständlich sei. Es wurde nämlich nicht dargetan, warum die Einsichtnahme in diesen Strafakt tauglich sein soll, die behauptete Tatsache unter Beweis zu stellen (RIS‑Justiz RS0099453).

[10] Die in der Beschwerde enthaltenen ergänzenden Begründungen für die angeführten Beweisanträge sind mit Blick auf das sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebende Neuerungsverbot unbeachtlich (vgl abermals RIS‑Justiz RS0099618).

[11] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) aus erörterten Beweisergebnissen, nämlich den Angaben der Zeugen * B*, * A* und * P* (US 9 f), andere Schlussfolgerungen als die Tatrichter zieht, weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (RIS‑Justiz RS0099674, RS0118780).

[12] Dies gelingt der Beschwerde auch nicht mit den Behauptungen, die Ausführungen des Opfers seien lebensfremd und stünden im Widerspruch zu sämtlichen anderen Zeugenaussagen, sowie dieses habe unmittelbar nach dem Vorfall der Polizei (anstelle der Rettung) ein E‑Mail geschickt, was dafür spreche, dass es ausschließlich dem Beschwerdeführer Schaden zufügen wolle.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten G*:

[13] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung (ON 56 S 5) mehrerer in der Hauptverhandlung gestellter Anträge der Angeklagten deren Verteidigungsrechte nicht verletzt.

[14] Denn diese waren der Sache nach durchwegs bloß auf den Nachweis einer anderen als der konstatierten Verletzungsursache (US 5) gerichtet (ON 36 S 19 f, ON 49 S 9, ON 56 S 4 f), enthielten jedoch kein Vorbringen dazu, inwiefern dieses Beweisergebnis angesichts des gegen die Angeklagte erhobenen Vorwurfs des Unterlassens offensichtlich erforderlicher Hilfeleistung (§ 95 Abs 1 StGB) für die Schuld‑ oder die Subsumtionsfrage von Bedeutung sein soll (vgl dazu aber Kienapfel/Schroll, StudB BT I4 § 95 Rz 13, 22; Jerabek/Roper in WK2 StGB § 95 Rz 5, 13; Leukauf/Steininger/Nimmervoll § 95 Rz 7, 9).

[15] Das von den Beweisanträgen abweichende und diese ergänzende Vorbringen in der Beschwerde ist angesichts des sich aus dem Wesen des Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots unbeachtlich (vgl abermals RIS‑Justiz RS0099618).

[16] Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die Abweisung eines Antrags auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Biomechanik stützt, bezieht sie sich nicht auf einen von ihr in der Hauptverhandlung gestellten Antrag.

[17] Durch Verweis auf die Verantwortung der Angeklagten G* sowie die Angaben der Zeugen * B*, * A* und * P* weckt die Tatsachenrüge (Z 5a) beim Obersten Gerichtshof ebenso wenig erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen wie mit den Behauptungen, das Opfer habe erst Tage nach der Anzeige gegen den Angeklagten S* eine solche gegen die Angeklagte G* zu Protokoll gebracht, und letztere habe der Aufforderung des Opfers Folge geleistet und dessen Kinder angerufen (RIS‑Justiz RS0119583).

[18] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[19] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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