European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090NC00004.22W.0328.000
Spruch:
Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Die Antragsteller bringen vor, zu beabsichtigen, gegen die näher genannte britische Fluggesellschaft Ansprüche (1.200 EUR sA) aufgrund der Fluggastrechte‑VO gemäß dem angeschlossenen Klagsentwurf wegen Verspätung eines Fluges von Phoenix nach London und dadurch verpasstem Anschlussflug von London nach Wien am 12. 5. 2019 geltend machen zu wollen. Die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts seien nicht gegeben, jedenfalls nicht zu ermitteln. Die Antragsteller hätten ihren Wohnsitz in Österreich. Der Ankunftsort sei am Flughafen Wien‑Schwechat. Es bestehe sohin jedenfalls ein Naheverhältnis zum Inland.
[2] Die Beklagte sei eine Fluggesellschaft mit Sitz in London, Großbritannien. Eine Rechtsverfolgung in Großbritannien wäre aussichtslos. Unmöglichkeit bzw Unzumutbarkeit einer solchen Rechtsverfolgung liege insbesondere deshalb vor, weil
- von den Klägern eine Exekutionsführung in Österreich beabsichtigt sei (insbesondere auf Vermögensgegenstände, die von der Beklagten im Zuge ihrer Geschäftstätigkeit immer wieder nach Österreich verbracht würden [Flugzeuge, sonstige Betriebsmittel etc] bzw auf Forderungen, die der Beklagten aus ihrer Geschäftstätigkeit in Österreich und gegen Schuldner in Österreich erwüchsen),
- jedoch die ausländische Entscheidung insbesondere aufgrund des Brexits und der Nichtzugehörigkeit Großbritanniens zum Lugano Abkommen in Österreich nicht anerkannt bzw vollstreckt würde. Es gelte lediglich das zwischen Österreich und Großbritannien im Jahr 1962 abgeschlossene Abkommen für Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das eine Vollstreckung von Entscheidungen oberer Gerichte normiere. Ausgenommen seien Entscheidungen, die aufgrund von Rechtsbehelfen in Verfahren erlassen worden seien, in denen – wie hier – ein unteres Gericht in erster Instanz entschieden habe. Es sei daher kein ausreichender Rechtsschutz im Ausland gewährleistet;
- für die Kläger – Verbraucher – auch in Anbetracht des geringen Streitwerts die Übersetzungs- und Verfahrenskosten äußerst kostspielig und unverhältnismäßig wären.
[3] Eine Ordination erscheine aus unionsrechtlichen Überlegungen, insbesondere in Hinblick auf den effet utile, geboten. Es werde beantragt, gemäß § 28 JN aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, das für die gegenständliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten habe.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof liegen hier nicht vor.
[5] 1. Gemäß § 28 Abs 1 JN hat der Oberste Gerichtshof dann, wenn für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinne dieses Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn
1. Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist;
2. der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre;
3. die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist.
[6] 2. Die Antragsteller stützen ihren Antrag inhaltlich auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 2, wonach sie ihren Wohnsitz in Österreich hätten und ihnen die Rechtsverfolgung in Großbritannien nicht möglich oder zumutbar wäre.
[7] 2.1. § 28 Abs 1 Z 2 JN soll Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstand im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (RS0057221 [T4], 6 Nc 1/19b).
[8] 2.2. Die materiell‑rechtliche Schlüssigkeit der beabsichtigten oder mit dem Ordinationsantrag verbundenen Klage ist nicht Gegenstand der Prüfung der Ordinationsvoraussetzungen (s Garber in Fasching/Konecny, ZGV Bd 13, § 28 JN Rz 163 mwN). Der vorliegende Ordinationsantrag lässt infolge des Brexit aber schon abstrakt ein Bedürfnis nach inländischem Rechtsschutz für Ansprüche aus der Fluggastrechte‑VO Nr 261/2004 nicht hinreichend erkennen:
[9] Die Fluggastrechte‑VO gilt grundsätzlich nicht für aus einem Drittstaat (wie nunmehr Großbritannien) in Österreich ankommende Flüge eines nicht der Gemeinschaft angehörigen Luftfahrtunternehmens (s Art 3 Abs 1 der VO; die von den Antragstellern genannten Entscheidungen betrafen Flüge mit Abflug aus Österreich). Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Austrittsabkommen (Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, 2019/C 384 I/01). Gemäß Art 127 Abs 1 des Austrittsabkommens galt das Unionsrecht, sofern in diesem Abkommen nichts anderes bestimmt war, zwar während des Übergangszeitraums für das Vereinigte Königreich sowie im Vereinigten Königreich. Gemäß Art 127 Abs 3 leg cit entfaltete das nach Abs 1 für das Vereinigte Königreich und im Vereinigten Königreich geltende Unionsrecht während des Übergangszeitraums die gleichen Rechtswirkungen wie innerhalb der Union und ihrer Mitgliedstaaten und war nach denselben Methoden und allgemeinen Grundsätzen auszulegen und anzuwenden, die auch innerhalb der Union gelten. Dieser Übergangszeitraum endete jedoch mit 31. 12. 2020 (Art 126 leg cit). Eine Fortgeltung von Rechten aus der Fluggastrechte‑VO geht daraus nicht hervor. Die Antragsteller legen auch keine andere Rechtsgrundlage dafür dar.
[10] 2.3. Soweit die Rechte aus der Fluggastrechte‑VO in die Gesetzgebung des Vereinigten Königreichs übergeführt wurden (The Air Passenger Rights and Air Travel Organisers` Licensing [Amendment] [EU Exit[ Regulations 19, Pkt 8: Amendment of Regulations [EC] No 261/2004), kann der angestrebte inländische Rechtsschutz auch nicht mehr auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz („effet utile“) gestützt werden, auf den sich die Antragsteller berufen.
[11] 3. Voraussetzung für eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN ist überdies, dass im Inland keine örtliche Zuständigkeit gegeben ist oder sich eine solche nicht ermitteln lässt. Der Ordinationsantrag ist daher abzuweisen, wenn ein Gerichtsstand vorliegt (Garber aaO Rz 18). Der Gerichtsstand des Vermögens kann dabei auch auf Forderungen (§ 99 Abs 2 JN) beruhen oder für ausländische Gesellschaften bei jenem Gericht gegeben sein, in dessen Sprengel sich ihre ständige Vertretung für das Inland oder ein mit der Besorgung der Geschäfte solcher Anstalten und Gesellschaften betrautes Organ befindet (§ 99 Abs 3 JN). Das Fehlen eines Gerichtsstands im Inland ist von Amts wegen zu prüfen, wobei diese Prüfung – in sinngemäßer Anwendung des § 41 Abs 2 JN – aufgrund der Angaben des Antragstellers beziehungsweise aufgrund der Aktenlage erfolgt (s RS0117256). Ergeben sich aus den Behauptungen des Antragstellers Anhaltspunkte für einen Gerichtsstand – etwa weil dessen Vorbingen auf das Vorliegen des Vermögensgerichtsstands nach § 99 JN hinweist – hat keine Ordination zu erfolgen (Garber aaO Rz 13 mwN). Solche Anhaltspunkte bestehen hier aber, weil die Antragsteller selbst auf Vermögen der Beklagten verweisen, das sie in Österreich in Exekution zu ziehen beabsichtigen.
[12] 4. Eine rechtskräftige Entscheidung über die Zuständigkeit in einem bereits anhängigen ordentlichen Verfahren, mit der das Fehlen einer inländischen örtlichen Zuständigkeit feststeht (RS0046450, RS0046443) und an die der Oberste Gerichtshof als Ordinationsgericht gebunden wäre (RS0046568), liegt hier nicht vor. Ein ordentliches Verfahren wurde auch (noch) nicht anhängig gemacht.
[13] 5. Da die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 JN danach nicht erwiesen sind, ist der Ordinationsantrag abzuweisen.
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