OGH 1Ob17/22i

OGH1Ob17/22i23.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Maga. Julia M. Kolda, Rechtsanwältin in Steyr, gegen die beklagte Partei Land *, vertreten durch Dr. Arno R. Lerchbaumer, Rechtsanwalt in Graz, wegen 606.010 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 17. November 2021, GZ 5 R 67/21v‑38, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 4. Februar 2021, GZ 19 Cg 16/19h‑34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00017.22I.0323.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Über weite Strecken widmet sich der Kläger in seiner außerordentlichen Revision der angeblich falschen Beurteilung des von ihm im Berufungsverfahren geltend gemachten primären Verfahrensmangels und der behauptetermaßen unrichtigen Behandlung seiner Beweisrüge.

[2] Vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannte Verfahrensmängel erster Instanz können aber in dritter Instanz nicht mehr aufgegriffen werden (RIS‑Justiz RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil es der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, „umgangen“ werden (RS0042963 [T58]).

[3] Ebenso kann – weil der Oberste Gerichtshof, keine Tatsacheninstanz ist – die Richtigkeit der Feststellungen von ihm nicht überprüft werden (vgl RS0042903 [T5]). Ob eine im Rahmen der Beweiswürdigung gezogene Schlussfolgerung richtig ist (vgl RS0043150 [T7]), ist daher vom Revisionsgericht nicht zu überprüfen (worauf die Revision aber abzielt). Dies kann – ebenso wie bereits zum Verfahrensmangel ausgeführt – auch auf der Ebene der Beweiswürdigung nicht dadurch umgangen werden, dass ein unerwünschtes Ergebnis der Behandlung der Beweisrüge als Mangel des Berufungsverfahrens releviert (RS0043150 [T8]) oder der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit als Ersatz für die in dritter Instanz unzulässige Beweisrüge herangezogen wird (RS0117019).

[4] 2. Im Rahmen seiner Rechtsrüge, wirft der Kläger dem Berufungsgericht vor, es habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass bei der Prüfung der Geschäftsfähigkeit eines nicht entmündigten Geistesschwachen oder Geisteskranken entscheidend sei, ob er in der Lage ist, die Tragweite des konkreten Rechtsgeschäfts zu beurteilen, seine Wünsche und Vorstellungen zu erwägen und zu formulieren und auch zu beurteilen, inwieweit er einem Rechtskundigen vertrauen könne, dass dieser seine Interessen wahren werde (RS0009075). Der vorliegende Fall sei kein Einzelfall und es gäbe zahlreiche Menschen, die aufgrund der Folgen ihrer Misshandlungen derart traumatisiert seien, dass trotz Erinnerung an das Erlebte innere Hemmungen derart schwer wiegen würden, dass von einer die Verjährung hemmenden partiellen Geschäftsunfähigkeit auszugehen sei. Unter Berufung auf die zu 2 Ob 91/20a ergangene Entscheidung bemängelt er das Fehlen von Feststellungen dazu, ob und wann es dem Revisionswerber möglich gewesen wäre, eine rechtskundige Person aufzusuchen und mit der Klageerhebung zu beauftragen.

[5] 3. Anders als hier lag bei der Klägerin des damals zu beurteilenden Falls (festgestelltermaßen) eine psychische Erkrankung (Polytoxikomanie) vor. Die getroffenen Feststellungen wurden vom Obersten Gerichtshof zum einen als widersprüchlich angesehen. Zum anderen wurde als grundlegender Mangel ihr weitgehend allgemeiner Charakter kritisiert, weil nur festgestellt worden war, dass die Klägerin „über einen längeren Zeitraum“ nicht ausreichend in der Lage gewesen sei, „ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils“ zu regeln und sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht einsehen konnte (während an anderer Stelle widersprüchlich dazu angenommen worden war, dass sie in der Lage gewesen sei, den Inhalt des Vertrags kognitiv zu erfassen und ihr Planungs- und Durchhaltevermögen sowie die Einsicht in die Konsequenzen ihres Verhaltens [nur] „herabgesetzt“ [also nicht ausgeschlossen] gewesen seien). Deswegen wurde dem (damaligen) Erstgericht aufgetragen, konkrete Feststellungen dazu zu treffen, wie sich die Krankheit der Klägerin auf die Einsichts‑ und Dispositionsfähigkeit in Bezug auf das konkret zu beurteilende Rechtsgeschäft (Pflichtteilsverzicht) ausgewirkt hatte.

[6] Im vorliegenden Fall konnte dagegen die vom Kläger – der den Nachweis eines die Hemmung der Verjährung bewirkenden konkreten Sachverhalts erbringen muss (vgl RS0034647) – behauptete persistierende Persönlichkeitsstörung (als Folge von physischen und psychischen Misshandlungen), die (nach seinem Vorbringen) seit seiner Volljährigkeit eine partielle Geschäftsunfähigkeit hervorgerufen haben soll, (ausdrücklich) nicht festgestellt werden. Vielmehr lag nach dem für den Obersten Gerichtshof bindend – wenn auch zum Teil disloziert – festgestellten Sachverhalt ab 1987 keine teilweise Geschäftsunfähigkeit durch irgendeine Form einer Persönlichkeitsstörung vor. Der Kläger war „jedenfalls ab 1987“ in der Lage, zu verstehen, dass er Ansprüche bei einer für die gesetzliche Vertretung verantwortlichen Stelle geltend machen kann. Weder war eine sonstige Symptomatik bei ihm objektivierbar, die dazu führen hätte können, dass er nicht in der Lage gewesen wäre zu erkennen, dass er nach einem erlittenen Schaden vom Schädiger eine Entschädigung fordern kann, noch lag ein Vermeidungsverhalten vor, das ihn gehemmt hätte, willentlich Schadenersatzansprüche gegen verantwortliche Personen und Institutionen zu stellen. Auch wenn bei ihm im Hinblick auf die Verarbeitung seiner Kindheits‑ und Jugenderlebnisse „innere Schranken“ vorhanden gewesen sein sollten, war eine „diesbezügliche psychiatrische Ausprägung, die ihn an der Öffentlichmachung und Geltendmachung von Ansprüchen gehindert hätte“, nicht feststellbar. Dazu hatte das Erstgericht näher erläutert, es hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass beim Kläger nach 1987 eine „psychische Blockade“ bestanden habe, die aus psychiatrischer Sicht zum Vorliegen einer partiellen Geschäftsunfähigkeit im Hinblick auf eine mögliche Anspruchserhebung gegen verantwortliche Personen und Institutionen geführt hätte.

[7] 4. Auf Basis dieser Feststellungen, mit denen Hindernisse bei der Geltendmachung der mit der Klage verfolgten Ansprüche verneint wurden, liegt in der Ansicht des Berufungsgerichts, es könne anhand des festgestellten Sachverhalts die Frage der vom Kläger behaupteten Hemmung der Verjährung beurteilt werden, er sei insofern nicht „lückenhaft“, keine erhebliche Rechtsfrage.

[8] 5. Einer weitergehenden Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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