OGH 3Ob199/21t

OGH3Ob199/21t23.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A*, 2. M*, (3.), 4. Th*, 5. St*, 6. R*, 7. Ma*, 8. * G*, 9. I*, 10. H*, 11. N*, 12. F*, 13. L*, 14. H*, 15. C*, 16. El*, 17. E*, 18. A*, und 19. * Rut*, alle vertreten durch Dr. Christian Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Land Tirol, *, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wegen Unterlassung, (hier: wegen einstweiliger Verfügung), über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 7. Oktober 2021, GZ 2 R 152/21a‑12, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 25. August 2021, GZ 10 Cg 80/21m‑2, aus Anlass des Rekurses als nichtig aufgehoben und der Sicherungsantrag der klagenden Parteien zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00199.21T.0223.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.249,56 EUR (darin 208,26 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die klagenden und gefährdeten Parteien (folgend: Kläger) beantragten die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der dem beklagten Land und Gegner der gefährdeten Parteien (folgend: Beklagte) zur Sicherung des ihnen infolge Eingriffs in ihre Erziehungsrechte „nach §§ 20 und 139 ABGB“ zustehenden Unterlassungsanspruchs verboten werden sollte, bei Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren für eine Impfung gegen COVID-19 mit den Aussagen zu werben, dass (1.) die Impfung das Risiko senke, an Corona zu erkranken, dass (2.) Jugendliche ab 14 Jahren zur COVID-19-Impfung weder eine Zustimmung noch eine Begleitung durch Erwachsene bräuchten, und (3.) „unter Heranziehung sachwidriger Anreize, wie dass die Impfung gewährleiste, dass Distance Learning, Freunde face-to-face zu treffen, Fußballspielen oder mit den Freundinnen oder Freunden beim Serienabend abzuhängen einfach und spontan und ohne ständiges Testen wieder möglich sein würde, sowie Inaussichtstellen einer Gewinnchance für eines von drei iPhones“.

[2] Das Erstgericht wies diesen Sicherungsantrag ab. Nach § 173 Abs 1 ABGB könnten mündige Minderjährige die Einwilligung in medizinische Behandlungen nur selbst erteilen, sofern nicht eine – hier nicht behauptete – Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit vorliege; für die 12‑ bis 14‑Jährigen werde im Antrag außerdem eine konkrete objektive Gefährdung nicht einmal behauptet. Das Informationsschreiben („Flyer“) richte sich an alle Empfänger in den Schulen und nicht nur an die Kinder der Kläger, weshalb eine Einstweilige Verfügung, die dies generell verbiete, in die Rechte von Dritten eingreife, die nicht am Verfahren beteiligt seien. Darüber hinaus handle es sich um eine Information der Schüler über die Vorteile der Corona‑Impfung und nicht um die Impfung selbst.

[3] Das Rekursgericht hob diesen Beschluss aus Anlass des Rekurses der Kläger als nichtig auf und wies den Sicherungsantrag wegen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmender Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Ein Begehren nach einem gerichtlichen Vorgehen sei dann unzulässig, wenn damit die Vornahme oder Rückgängigmachung eines Hoheitsakts einer Verwaltungsbehörde angestrebt oder sonst auf deren hoheitliches Handeln Einfluss genommen werden solle. Die von den Klägern kritisierte „Werbung“ für eine Impfung stehe in einem engen inneren und äußeren Zusammenhang mit dem im Rahmen der Hoheitsverwaltung zu vollziehenden Gesundheitswesen. Ob die in der „Werbung“ enthaltenen Informationen – wie von den Klägern behauptet – irreführend seien, sei bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs nicht zu prüfen. Selbst eine allfällige Überschreitung der Befugnis oder Zuständigkeit der betreffenden Behörde ändere nichts an der Qualifizierung als hoheitlicher Akt.

[4] Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob eine von einer Gebietskörperschaft durchgeführte „Werbung“ für eine Impfung hoheitlichen Charakter habe, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

[5] Mit ihrem Revisionsrekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung streben die Kläger die Erlassung der Einstweiligen Verfügung an.

[6] Der Beklagte beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs der Kläger zurückzuweisen und hilfsweise, diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

[8] 1. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs sind die Natur und das Wesen des geltend gemachten Anspruchs maßgeblich (RS0045539). Der Rechtsweg ist zulässig, wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch erhoben wird und die Entscheidung darüber nicht durch Gesetz ausdrücklich an eine andere Behörde verwiesen wurde (RS0045438 [T2]; RS0045584 [T32]). Dagegen ist der Rechtsweg ausgeschlossen, wenn zwar ein privatrechtlicher Eingriff behauptet wird, das Begehren auf Unterlassung aber zeigt, dass in Wahrheit der Beklagten hoheitliches Handeln untersagt werden soll (RS0045584 [T52]).

[9] 2. Die Kläger begehren die Unterlassung der näher bezeichneten „Werbemaßnahme“, weil damit in ihre Erziehungsrechte „nach §§ 20 und 139 ABGB“ eingegriffen werde. Damit behaupten die Kläger zwar einen angeblich privatrechtlichen Eingriff der Beklagten, streben aber in Wahrheit die Untersagung behördlichen Handelns an:

[10] 2.1 Im Regelfall erfolgt die Zuweisung zum Bereich des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts durch gesetzliche Bestimmungen, die entweder das betreffende Rechtsgebiet ausdrücklich als öffentliches Recht bezeichnen oder eine Zuweisung an die Verwaltungsbehörden oder die Gerichte zum Ausdruck bringen (RS0045438 [T7]).

[11] 2.2 Die Einordnung von Realakten (hier: Informationsbroschüre) erfolgt durch deren Zuordnung zum Kernbereich der jeweils in Betracht kommenden Verwaltungsmaterie. Dabei ist der enge innere und äußere Zusammenhang des Realakts mit einer bestimmten zu vollziehenden Materie zu prüfen und das Vorliegen von Hoheitsverwaltung wird dann bejaht, wenn der Realakt einen solchen Zusammenhang mit einer Aufgabe staatlicher Vollziehung hat, die ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur ist, sind doch dann alle mit deren Besorgung verbundenen – auch rein tatsächlichen – Verhaltensweisen solche in Vollziehung der Gesetze (1 Ob 306/98a).

[12] 2.3 Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Gesundheitswesens ist – von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen – gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B‑VG Bundessache. Nach Art 102 Abs 1 B‑VG üben im Bereich der Länder die Vollziehung des Bundes, soweit nicht eigene Bundesbehörden bestehen (unmittelbare Bundesverwaltung), der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden aus (mittelbare Bundesverwaltung).

[13] 2.4 Der Landeshauptmann ist zufolge § 1 Abs 1 B‑VG ÄmterLReg der Vorstand des Amtes der Landesregierung. Das Amt der Landesregierung ist im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung administrativer Hilfsapparat des Landeshauptmanns (Ranacher/Sonntag in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B‑VG und Grundrechte, Art 102 B‑VG Rz 6).

[14] 2.5 Der von den Klägern als „Impfwerbung“ inkriminerte „Flyer“ ist nach seinem äußeren Erscheinungsbild ein Informationsblatt des darauf ausgewiesenen Amtes der Tiroler Landesregierung. Der Flyer erweist sich damit nach dem evidenten Sachzusammenhang zwanglos als ein dem Landeshauptmann zuzurechnendes Handeln im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung (Gesundheitswesen) und damit als hoheitliches Handeln.

[15] 3. Der Rechtsweg ist für Begehren ausgeschlossen, mit denen Gerichte einem Rechtsträger ein bestimmtes hoheitliches Tun oder Unterlassen auftragen sollen; einem solchen Begehren steht der Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung entgegen (vgl RS0010522 [T4, T5]). Ein Gericht kann daher einer Verwaltungsbehörde nicht mit einstweiliger Verfügung verbieten, in Verwaltungsangelegenheiten tätig zu werden (vgl RS0010522 [T8]). Das Rekursgericht hat daher für den Sicherungsantrag der Kläger zutreffend die Zulässigkeit des Rechtswegs verneint.

[16] 4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 402 Abs 4 und § 78 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.

Stichworte