OGH 3Ob217/21i

OGH3Ob217/21i23.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei M*, vertreten durch Professor Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei I*, vertreten durch Sattlegger, Dorninger, Steiner & Partner, Anwaltssocietät in Linz, wegen einstweiligem Unterhalt, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 21. Oktober 2021, GZ 15 R 216/21x‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00217.21I.0223.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin und gefährdeten Partei (folgend: Klägerin), mit dem sie eine Erhöhung des ihr vom Rekursgericht zuerkannten, vom Beklagten zu zahlenden einstweiligen Unterhalts anstrebt, zeigt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[2] 1.1 Nach gefestigter jüngerer Rechtsprechung ist der fiktive Mietwert einer dem Unterhaltsberechtigten überlassenen Liegenschaft wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs ganz oder teilweise als Naturalunterhalt anzurechnen (RS0047254 [T11]). Anerkannt ist die Anrechnung einer fiktiven Mietersparnis auch dann, wenn der Unterhaltsschuldner nur Miteigentümer der dem Unterhaltsberechtigten zur Verfügung gestellten Wohnung ist (RS0121283 [T2]). Das Ausmaß der Anrechnung ist eine Frage des Einzelfalls (RS0047254 [T8, T13]; RS0121283 [T1]).

[3] 1.2 Für die Höhe des fiktiven Mietwerts ist der Unterhaltspflichtige behauptungs- und beweispflichtig, weil es sich um einen rechtsvernichtenden Einwand handelt (RS0047254 [T22]). Das Rekursgericht legte seiner Unterhaltsbemessung (unter anderem) den im Vorbringen der Klägerin mit „maximal 1.500 EUR“ angesetzten fiktiven Mietwert der Liegenschaft zugrunde, nachdem sie den vom Beklagten für seine Berechnung herangezogenen Betrag als „krass überhöht“ bezeichnet hatte; diese, von der Klägerin vorgebrachte Höhe wurde anschließend vom Beklagten nicht substanziiert bestritten. Aus welchem Grund das Zugrundelegen dieses Betrags (1.500 EUR) durch das Rekursgericht für die Entscheidung über den einstweiligen Unterhalt eine – wie der Revisionsrekurs behauptet – „Missachtung der ständigen Rechtsprechung“ zur Behauptungs- und Beweislast des Unterhaltspflichtigen bedeuten sollte, ist nicht nachvollziehbar und wird von der Klägerin auch nicht konkret aufgezeigt:

[4] 2.1 In der Entscheidung 2 Ob 211/18w stellte der Oberste Gerichtshof klar, dass in den Fällen des Miteigentums an der Ehewohnung bzw des gemeinsamen Wohnungseigentums bei der unterhaltsrechtlichen Anrechnung des fiktiven Mietwerts auch die anteilige eigene Wohnversorgung des unterhaltsberechtigten Ehegatten zu berücksichtigen ist, sofern er mit den Kosten der Wohnversorgung nicht belastet ist (2 Ob 211/18w; s auch RS0121283 [T12]). Eine Anrechnung auf die Leistung des Unterhaltspflichtigen, der über die Wohnung verfügungsberechtigt ist, als Naturalunterhalt hat nur dann nicht zu erfolgen, wenn die Bedarfsdeckung ausnahmsweise wirtschaftlich zur Gänze dem betreuenden Elternteil zuzurechnen ist, etwa weil dieser sämtliche Kreditraten trägt oder bei der nachehelichen Vermögensaufteilung eine Gegenleistung für die Überlassung der Wohnungsnutzung erbracht hat (RS0121283 [T5]).

[5] 2.2 Unstrittig steht das Haus der Streitteile im gemeinsamen Eigentum (je zur Hälfte); eine der beiden volljährigen, noch in Ausbildung befindlichen Töchter der beiden wohnt gemeinsam mit der Klägerin dort und für die zweite Tochter finanziert der Beklagte in einer anderen Stadt eine Mietwohnung. Der Beklagte trägt außerdem allein sämtliche Kreditrückzahlungen, Abgaben und Betriebskosten für das gemeinsame Haus der Streitteile. Wenn daher das Rekursgericht hier für die Wohnversorgung der Klägerin bei der Unterhaltsbemessung einen Anteil des fiktiven Mietzinses als Naturalunterhalt ansetzte und in Abzug brachte, so ist darin aufgrund der damit berücksichtigten besonderen Umstände des Einzelfalls keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu Lasten der Klägerin zu erkennen. In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs wendet sich die Klägerin im Übrigen aber ohnehin nur gegen die Berücksichtigung der Wohnversorgung an sich, nicht aber konkret gegen die Berechnung der Höhe nach.

[6] 3. Die im Rechtsmittel erwähnte vereinzelte Kritik an dieser Rechtsprechung in der Literatur und Einzelmeinungen zweitinstanzlicher Gerichte vermögen ebenfalls keine Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuwerfen. Der (einstweilige) Unterhalt wird nach ständiger Rechtsprechung nicht exakt mathematisch berechnet, sondern im Rahmen einer Ermessensentscheidung ausgemitttelt; bei gehobenen Einkommensverhältnissen – wie hier – besteht außerdem ein größerer Ermessensspielraum des Gerichts für die Unterhaltsfestsetzung (RS0057284 [T6, T7]).

Stichworte