OGH 4Ob214/21f

OGH4Ob214/21f25.1.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Kodek, MMag. Matzka sowie Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Todeserklärungssache betreffend B* P*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller 1. R* P*, 2. E* O*, 3. Be* P*, 4. E* P*, alle vertreten durch Mag. Bernhard Schwendinger, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 23. September 2021, GZ 3 R 277/21i‑10 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00214.21F.0125.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der österreichische Staatsbürger B* P* wurde 1957 in Vorarlberg geboren, wo er sich bis 2002 aufhielt. Er war seit 1984 bei der B* GmbH angestellt und zuletzt dort als Leiter der Personalverrechnung tätig. Dieses Dienstverhältnis wurde von B* P* per 31. März 2002 gekündigt. Kurz vor dem Ende des Dienstverhältnisses erhärtete sich der Verdacht, er habe sich als Leiter der Personalverrechnung unrechtmäßig bereichert bzw seinen Dienstgeber geschädigt. Im Rahmen des gegen ihn im April 2002 wegen § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall und § 133 StGB eingeleiteten Strafverfahrens ergab sich der Verdacht, dass der Gesamtschaden über eine Million EUR beträgt.

[2] B* P* wurde zuletzt Ende März 2002 in Vorarlberg gesehen, bevor er am 1. April 2002 spurlos verschwand. Davor veräußerte er noch im März 2002 zwei Kraftfahrzeuge und seine Liegenschaft in L*, wobei er sich die Verkaufserlöse jeweils in bar ausbezahlen ließ. Zudem meldete er sich Ende März in L* ab, wobei er keine neue konkrete Adresse anführte, sondern lediglich angab, nach Zürich zu verziehen.

[3] Gegen B* P* wurde im April 2002 ein internationaler und im Februar 2005 auch ein europäischer Haftbefehl erlassen. Die Fahndung nach ihm verlief bislang erfolglos. Auch eine Aufenthaltsermittlung von US-amerikanischen Behörden verlief ohne Ergebnis. Ebenso wenig brachte eine Überwachung seines Fernmeldeverkehrs Hinweise zu seinem Aufenthalt seit dem 1. April 2002.

[4] Es steht nicht fest, ob B* P* noch am Leben ist oder bereits verstorben ist. Im Juli 2020 verstarb seine Mutter.

[5] Die Antragsteller sind die Geschwister des B* P*. Sie beantragen die Einleitung des Todeserklärungsverfahrens betreffend ihren Bruder. Die Klärung der Rechtsnachfolge und Erbansprüche hinsichtlich der gemeinsamen Mutter begründe ihr rechtliches Interesse an der Todeserklärung. Ihr Bruder sei seit dem 1. April 2002 verschollen. Weder Polizei, Verwandte, Freunde noch Bekannte hätten jemals wieder etwas von ihm gehört. Er habe am 31. März 2002 angekündigt, dass er irgendwohin gehe, wo es wärmer sei. In Vorarlberg sei es ihm zu kalt und zu eng. Aufgrund des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs und der Höhe der Schadenssumme habe er sich offensichtlich eine neue Existenz aufgebaut. Die Antragsteller müssten davon ausgehen, dass er „aufgrund seines hohen Vermögens und dem Verkehr in kriminellen und/oder homosexuellen Kreisen in Asien und Amerika einem Tötungsdelikt zum Opfer gefallen ist“, zumal der Aufbau einer neuen Existenz (zB wegen der Fälschung von Ausweispapieren) die Unterstützung durch kriminelle Kreise voraussetze.

[6] Das Erstgericht wies den Antrag ab. Anknüpfend an den eingangs referierten unstrittigen Sachverhalt ging es davon aus, es lägen keine ernstlichen Zweifel am Fortleben des B* P* vor. Es könne nicht von einer für die Todeserklärung notwendigen Verschollenheit im Sinne des § 1 TEG gesprochen werden.

[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Ableben von B* P* spreche.

Rechtliche Beurteilung

[8] In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigen die Antragsteller keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[9] 1.1 Verschollen ist, wessen Aufenthalt während längerer Zeit unbekannt ist, ohne dass Nachrichten darüber vorliegen, ob er in dieser Zeit gelebt hat oder gestorben ist, sofern nach den Umständen hiedurch ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründet werden (§ 1 Abs 1 TEG).

[10] 1.2 Die Rechtsprechung verlangt für die Einleitung des Todeserklärungsverfahrens ua das Vorliegen ausreichender Gründe für die Annahme ernstlicher Zweifel am Fortleben der betreffenden Person, „also eine hohe Wahrscheinlichkeit für ihr Ableben“ (RS0075682; 3 Ob 209/03m). Vom Obersten Gerichtshof wurde zu 8 Ob 599/90 bereits geklärt, dass diese hohe Wahrscheinlichkeit dann nicht anzunehmen ist, wenn neben dem möglichen Tod einer Person auch andere Gründe (in casu: Auswandern nach Übersee oder ein Wechsel der Identität) für ihre Unerreichbarkeit genau so wahrscheinlich sind.

[11] 2. Die Beurteilung der Frage, ob ernstliche Zweifel am Fortleben einer Person (bzw eine hohe Wahrscheinlichkeit für ihr Ableben) bestehen, ist naturgemäß stark von den Umständen des Einzelfalls geprägt (arg „nach den Umständen des Falles“ [8 Ob 599/90 und 3 Ob 209/03m]) und wirft schon deshalb im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[12] 3. Das Rechtsmittel gesteht Letzteres auch ausdrücklich zu, geht aber von einer korrekturbedürftigen Fehlentscheidung aus. Eine solche liegt hier aber nicht vor; die Beurteilung der Vorinstanzen hält sich jedenfalls im Rahmen der aufgezeigten Judikatur.

[13] 3.1 Auch von den Antragstellern wird eingeräumt, dass für ein Ableben von B* P* keine hohe Wahrscheinlichkeit vorliegt. Sie stützen die Zulässigkeit des Rechtsmittels aber auf die Entscheidung 3 Ob 209/03m, aus der sie ableiten, es reiche für die Einleitung eines Todeserklärungsverfahrens bereits aus, dass die Vermutung für das Ableben einer Person genauso wahrscheinlich sei wie für das Fortleben.

[14] 3.1.1 Dabei blendet das Rechtsmittel zum einen aus, dass auch diese Entscheidung ausdrücklich eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Ableben verlangt und an die Vorjudikatur (8 Ob 599/90) anknüpft, nach der es nicht ausreicht, wenn der Tod nur genau so wahrscheinlich ist wie andere Gründe für die Unerreichbarkeit.

[15] 3.1.2 Zum anderen weicht der der Entscheidung 3 Ob 209/03m zugrundeliegende Sachverhalt entscheidend von der hier vorliegenden Konstellation ab.

[16] In der zitierten Entscheidung wurden ernstliche Zweifel am Fortleben deshalb bejaht, weil der Vermisste seinen Wohnsitz ohne Mitnahme von persönlichen Gegenständen (auch ohne Pass und Geldtasche) bzw auch ohne jegliches Motiv plötzlich verlassen und seitdem bereits 22 Jahre nachrichtenlos abwesend war, ohne dass er versucht hätte, über sein Vermögen (Liegenschaft, Sparbücher, hohes Kontoguthaben) zu verfügen. Der Oberste Gerichtshof ging in dieser Konstellation davon aus, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Ableben der Person vorliegt.

[17] Demgegenüber ist hinsichtlich B* P* unstrittig, dass er vor seinem Verschwinden sein Vermögen gegen Bargeld veräußerte, sich abmeldete und auch sein Dienstverhältnis beendete. Angesichts dieser Tatsachen und auch aufgrund der Umstände, dass gegen den Vermissten ein Strafverfahren geführt wird und er sich mit hohen Schadenersatzforderungen konfrontiert sieht, ist es jedenfalls vertretbar, wenn die Vorinstanzen ernstliche Zweifel an seinem Fortleben verneinten.

[18] 3.2 Schließlich können auch die Ausführungen zur Entscheidung 3 Ob 209/61 (EvBl 1961/313) die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen. Dieser Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, der das Ableben eines Verschollenen wegen der dort festgestellten Gefahrenlage („Herausholen“ eines seitdem vermissten Kriegsgefangenen aus einem Heimkehrertransport durch sowjetische Offiziere) wahrscheinlicher erscheinen ließ als dessen Fortleben. Hinsichtlich B* P* steht eine solche Gefahrenlage aber weder fest noch wurde sie schlüssig behauptet.

[19] Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

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