OGH 4Ob196/21h

OGH4Ob196/21h16.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch die Raffaseder – Haider Rechtsanwälte OG in Freistadt, gegen die beklagte Partei D* Ltd.STI., *, Türkei, wegen 8.800 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 4. Oktober 2021, GZ 1 R 100/21f‑5, mit dem dieses als Rekursgericht den Beschluss des Bezirksgerichts Kirchdorf an der Krems vom 17. September 2021, GZ 1 C 456/21t‑2, bestätigt hat, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00196.21H.1216.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der klagende Busunternehmer machte Werklohnansprüche für eine Busreise gegen die beklagte Reiseveranstalterin mit Sitz in der Türkei geltend.

[2] Für die inländische Gerichtsbarkeit berief er sich auf den Vermögensgerichtsstand nach § 99 JN. Er brachte dazu vor, dass der Beklagten eine Forderung gegen einen Österreicher zustehe. In einem Vorprozess sei die Werklohnklage des Klägers gegen diesen Österreicher gescheitert, weil dieser nach den Verfahrensergebnissen lediglich Tippgeber gewesen sei. Die Beklagte habe dem Tippgeber aber laut Aussage ihres Geschäftsführers im Vorprozess 4.700 EUR für den Bus bezahlt. Sie habe daher eine bereicherungsrechtliche Kondiktion wegen irrtümlicher Zahlung einer Nichtschuld gegen den österreichischen Tippgeber.

[3] Die Vorinstanzen wiesen die Klage a limine wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück. Nach einer höchstgerichtlichen Entscheidung aus dem Jahr 1905 könnte den Vermögensgerichtsstand nur eine Forderung des Beklagten begründen, die er zumindest außergerichtlich gefordert oder behauptet habe. Dass diese Voraussetzung erfüllt sei, habe der Kläger jedoch nicht vorgebracht.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der Revisionsrekurs ist wegen fehlender aktueller Rechtsprechung zulässig, aber nicht berechtigt.

[5] 1.1. Die Vorinstanzen begründeten die Zurückweisung der Klage im vorliegenden Fall mit einem Hinweis auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 10. 1. 1905. Wie der Entscheidungsveröffentlichung in 137 GlUNF 2922 [1905] entnommen werden kann, konnte eine Forderung des ungarischen Beklagten gegen die österreichische Klägerin damals einen Vermögensgerichts-stand nicht begründen, weil die Klägerin nicht einmal behauptet habe, dass der Beklagte seine Forderung jemals der Klägerin gegenüber geltend gemacht hätte. Eine Aktivforderung der Beklagten, die einen Vermögensgerichtsstand begründen solle, müsse aber zur Zeit der Klagseinbringung bereits in Erscheinung getreten sein.

[6] 1.2. Es besteht zu dieser Frage keine jüngere höchstgerichtliche Judikatur. Jedoch wird die über hundert Jahre alte Entscheidung in der Literatur nach wie vor zitiert. So verweist Simottaauf sie, um zu begründen, dass eine Forderung des Beklagten, die niemals auch nur außergerichtlich behauptet oder geltend gemacht worden sei, nicht als Vermögen iSd § 99 JN angesehen werden könne (in Fasching/Konecny 3 § 99 JN Rz 60 [2013]).

[7] Ebenso fordert auch der BGH in den 1980er und 1990er Jahren als Voraussetzung für den Vermögensgerichtsstand nach der deutschen Parallelbestimmung des § 23 dZPO, dass der mit einer Klage in Anspruch genommene ausländische Gläubiger seine Forderung geltend macht oder sich doch jedenfalls ihrer berühmt haben muss (BGH VIII ZR 270/80 = NJW 1981, 2642; vgl auch BGH IX ZR 229/91 = NJW 1993, 1973).

[8] Gegenteilige Lehrmeinungen oder Entscheidungen werden im Revisionsrekurs nicht zitiert.

[9] 2. Der Kläger versucht nun, in seinem Rechtsmittel aufzuzeigen, dass die von den Vorinstanzen geteilte Auslegung des § 99 JN den Vermögensgerichtsstand obsolet mache.

[10] 2.1. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass ihm oft nicht bekannt sein wird, ob die Beklagte ihre Forderung bereits gerichtlich oder außergerichtlich gegen den Drittschuldner geltend gemacht habe.

[11] Dies führt jedoch den Vermögensgerichtsstand keineswegs ad absurdum. Einerseits kann ein Beklagter auch über andere Vermögenswerte, etwa körperliche Sachen oder verbücherte Rechte im Inland, verfügen. Andererseits wird der Kläger in der Regel ohnehin nur dann von Aktivforderungen eines Beklagten Kenntnis haben, wenn diese Ansprüche in der Umwelt in Erscheinung getreten sind, der Beklagte sie also typischerweise gerichtlich oder außergerichtlich geltend gemacht hat. Schließlich sind die Ansprüche an das Klagsvorbringen auch nicht überbordend, muss der Kläger doch bei Bestreitung des Vermögensgerichtsstands sogar die Richtigkeit der Forderung nachweisen können (RS0046805 [T1]).

[12] Dass die Aktivforderung der Beklagten unstrittig oder bereits gerichtlich festgestellt sein müsse, wurde von den Vorinstanzen – entgegen der Argumentation im Revisionsrekurs – zu Recht gar nicht vorausgesetzt.

[13] 2.2. Weiters argumentiert der Kläger, dass die Ansicht der Vorinstanzen es der Beklagten in die Hand gebe, die klageweise Durchsetzung seiner Forderung zu vereiteln, indem sie eine – wie hier sogar deutlich geringere – Forderung gegen den Drittschuldner einfach nicht geltend mache.

[14] Dabei übersieht der Kläger, dass ihm die Einklagung seines Werklohns unter den gegebenen Umständen nicht überhaupt, sondern nur in Österreich verwehrt ist. Selbstverständlich kann er die Beklagte an ihrem allgemeinen Gerichtsstand in der Türkei unabhängig davon in Anspruch nehmen, ob diese ihre eigenen Forderungen gegen Dritte verfolgt oder nicht.

[15] 2.3. Die Ausführungen des Revisionsrekurses zu den Ergebnissen des Vorprozesses sind nicht relevant, weil gemäß § 41 Abs 1 und 2 JN das Gericht die a-limine-Prüfung seiner Zuständigkeit aufgrund der Klagsangaben durchzuführen hat.

[16] 2.4. Der Revisionsrekurs zeigt im Ergebnis keine überzeugenden Argumente auf, von der Vorentscheidung aus 1905 abzugehen.

[17] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 40 ZPO.

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