OGH 2Nc24/21h

OGH2Nc24/21h22.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Steger und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 36.665,42 EUR sA, über die Befangenheitsanzeige des ***** im Verfahren zu AZ ***** den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020NC00024.21H.1022.000

 

Spruch:

Es besteht ein zureichender Grund, die Unbefangenheit des ***** in der Rechtssache ***** in Zweifel zu ziehen.

 

Begründung:

[1] Das im Spruch genannte Verfahren ist im ***** Senat des Obersten Gerichtshofs angefallen. Die Klägerin macht darin gegen einen Kraftfahrzeughersteller Ansprüche aufgrund des Erwerbs eines Kraftfahrzeugs mit dem wesentlichen Vorbringen geltend, dass sie der Hersteller durch Einbau eines „abgasmanipulierten“ Dieselmotors vorsätzlich in die Irre geführt habe.

[2] ***** ist Mitglied des ***** Senats. Er gibt bekannt, dass er 2011 ein Fahrzeug eines Herstellers gekauft habe, das sich als „abgasmanipuliert“ herausgestellt habe. Er habe bisher keine Ansprüche geltend gemacht. Sollte sich in Zukunft herausstellen, dass er das Fahrzeug aufgrund einer möglicherweise noch immer vorhandenen Abschalteinrichtung nicht mehr benützen dürfe oder dadurch einen Wertverlust erleide, schließe er die Geltendmachung von – bei Annahme von Arglist wohl auch nicht verjährten – Ansprüchen gegen den Fahrzeughersteller nicht aus. Er zeige den möglichen Anschein einer objektiven Befangenheit an.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Befangenheitsanzeige ist begründet:

[4] 1. Nach § 19 Z 2 JN kann ein Richter abgelehnt werden, wenn ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Nach § 22 Abs 2 GOG haben Richter Gründe anzuzeigen, die ihre Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen geeignet sind; darüber ist nach § 22 Abs 3 GOG auch ohne Ablehnung durch eine Partei im Verfahren nach den §§ 23 bis 25 JN zu entscheiden.

[5] 2. Ein zureichender Grund, die Unbefangenheit eines Richters iSv § 19 Z 1 JN in Zweifel zu ziehen, liegt nach ständiger Rechtsprechung schon dann vor, wenn bei objektiver Betrachtungsweise der äußere Anschein der Voreingenommenheit – also der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche Motive (RS0045975) – entstehen könnte (RS0046052 [T2, T10]; RS0045949 [T2, T6]), dies auch dann, wenn der Richter tatsächlich (subjektiv) unbefangen sein sollte (RS0045949 [T5]). Dabei ist zur Wahrung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzuwenden (vgl RS0045949).

[6] 3. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass aufgrund vergleichbarer Sachverhalte bei verschiedenen Gerichten eine große Zahl von Zivilverfahren gegen Hersteller und gegen Vertragshändler von Kraftfahrzeugen bestimmter Marken anhängig ist. Wegen des hohen Marktanteils besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dafür zuständige Richter ebenfalls ein betroffenes Kraftfahrzeug erworben haben. Im Allgemeinen könnte das den Anschein der Befangenheit nur dann begründen, wenn der Richter selbst Ansprüche gegen den Hersteller oder einen Vertragshändler geltend macht oder (erfolglos) geltend gemacht hat. Denn in diesem Fall bestünde jedenfalls objektiv der Verdacht, dass der Richter wegen seiner eigenen Betroffenheit nicht unvoreingenommen an die Sache herangehen könnte (vgl EGMR 21. 6. 2018, 5734/14, Aviso Zeta AG). Hingegen ließe sich aus dem Nichterheben von Ansprüchen keinesfalls ein „Statement“ dahin ableiten, dass der Richter Ansprüche für aussichtslos hielte und auch nicht bereit wäre, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Auch die bloße Möglichkeit, dass er entgegen seinem bisherigen Verhalten zukünftig doch noch Ansprüche geltend machen könnte, wird mangels weiterer Indizien nicht ausreichen, den Anschein der Befangenheit zu begründen.

[7] 4. Anderes gilt allerdings für Richter des Obersten Gerichtshofs. Wegen des Präjudizcharakters höchstgerichtlicher Entscheidungen ist es in der konkreten Fallgestaltung nicht ausgeschlossen, dass das Stimmverhalten eines betroffenen Richters auch von eigenen Interessen geleitet sein könnte (vgl 8 Nc 26/15p). Das gilt jedenfalls dann, wenn sich der Richter vorbehält, auch selbst noch Ansprüche geltend zu machen. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil***** offen lässt, doch noch Ansprüche zu erheben. Allein das begründet den Anschein seiner Befangenheit. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass er die Entwicklung der Rechtsprechung durch sein Mitwirken an den im Senat zu treffenden Entscheidungen beeinflusst; sein mögliches Interesse an dieser Entwicklung begründet daher die objektiv nicht widerlegbare Besorgnis, dass er sich dabei nicht allein von sachlichen Motiven leiten lassen könnte. Dass die hier Beklagte nicht Herstellerin des von ***** gekauften Fahrzeugs ist, führt im konkreten Einzelfall schon deswegen zu keiner anderen Beurteilung, weil diese beiden Unternehmen gerichtsnotorisch konzernverbunden sind.

[8] 5. Aus diesem Grund ist iSd § 19 Abs 2 JN auszusprechen, dass ein zureichender Grund vorliegt, die Unbefangenheit des ***** in Zweifel zu ziehen. Das schließt seine Mitwirkung an der Entscheidung in der im Spruch genannten Rechtssache aus.

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