OGH 3Ob94/21a

OGH3Ob94/21a21.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Schmelz Rechtsanwälte OG in Klosterneuburg, wider die beklagte Partei V* GmbH, *, vertreten durch Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen restlicher 9.671,70 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 24. Februar 2021, GZ 1 R 47/21i‑40, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 26. November 2020, GZ 20 C 304/19f‑36, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133342

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit insgesamt 3.480,36 EUR (hierin enthalten 341,56 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger erwarb am 12. März 2019 von der beklagten Autohändlerin nach einer Probefahrt einen gebrauchten Pkw der Marke BMW 325i Coupe mit Erstzulassung im Juli 2008 und einer Laufleistung von ca 72.000 km um einen Kaufpreis von 14.300 EUR. Der Verkäufer teilte dem Kläger sinngemäß mit, dass das Fahrzeug in einem sehr guten Zustand sei.

[2] Am Abend des 31. März 2019 kollidierte der Kläger mit dem Fahrzeug mit einem Reh; dadurch wurde das Fahrzeug an der Motorhaube vorne links und an der Stoßstange vorne links beschädigt. Für die Behebung dieser Schäden wären bei Reparatur in einer Fachwerkstätte Kosten von 4.511 EUR aufzuwenden.

[3] In den rund drei Wochen zwischen dem Kauf des Fahrzeugs und dem Unfall legte der Kläger mit dem Pkw rund 3.200 km zurück. Das Nutzungsentgelt hiefür beträgt 400 EUR.

[4] Aus Anlass des Wildunfalls ließ der Kläger das Fahrzeug vom ÖAMTC überprüfen. Dabei stellte sich heraus, dass es diverse schwere, nach § 57a KFG relevante Mängel aufwies: Das rechte hintere Rad ist ungebremst schwergängig. Der Belag der Bremsklötze rechts hinten ist unzulässig verschlissen, die rechte Bremsscheibe weist starke Riefen und Reibespuren auf. Der rechte vordere Stoßdämpfer ist stark undicht. Die inneren Silentgummilagerungen der beiden vorderen Querlenker sind rissig und porös und unzulässig ausgeschlagen. Die Feststellbremse hat links hinten keine Wirkung. Die Bremsleitungen hinten weisen stellenweise starke Korrodierungen auf. Die Scheinwerferwaschanlage hat keine Funktion, die rechte Düsenabdeckung ist mit einem Tixoband abgeklebt. Die vorderen Reifen sind profilseitig an der Außenseite unzulässig abgenützt, was auf die schadhaften Querlenker zurückzuführen ist.

[5] Aufgrund dieser Mängel hat der Kläger das Fahrzeug seither nicht mehr benützt, sondern bei sich zu Hause abgestellt. Für die Anmeldung des Pkw hatte er 193,50 EUR und für eine Jahresvignette 89,20 EUR bezahlt.

[6] Die festgestellten Mängel wurden nicht durch die rund dreiwöchige Benützung des Fahrzeugs durch den Kläger verursacht, sondern waren bereits im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs vorhanden bzw angelegt. Vor dem Verkauf an den Kläger wurde das Fahrzeug von der Beklagten nicht überprüft; ansonsten hätte sie die Mängel erkennen müssen. Für die Behebung dieser Mängel sind Reparaturkosten von 4.343,15 EUR brutto aufzuwenden.

[7] Aufgrund der unrichtigen Angaben der Beklagten über das Fahrzeug und der schweren Mängel am Fahrzeug hat der Kläger, der von den Mängeln beim Kauf nichts wusste, das Vertrauen zur Beklagten verloren und würde das Fahrzeug nicht von ihr reparieren lassen.

[8] Mit Schreiben seines Rechtsvertreters vom 25. April 2019 begehrte der Kläger gegenüber der Beklagten die Aufhebung des Vertrags. Der Rechtsvertreter der Beklagten antwortete darauf am 3. Mai 2019, dass lediglich die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs konkludent zugesichert gewesen sei, nicht jedoch die Freiheit von Verschleißerscheinungen. Außerdem habe der Kläger der Beklagten Gelegenheit zur Verbesserung zu geben. Er möge das Fahrzeug deshalb zur Betriebsstätte der Beklagten bringen, wo entschieden werden solle, ob bzw welche Beanstandungen berechtigt seien. Sofern eine Mangelhaftigkeit vorliege, für die die Beklagte haftbar sei, werde sie eine entsprechende Verbesserung leisten.

[9] Der Kläger begehrt einerseits die Rückzahlung des Kaufpreises von 14.300 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs, und andererseits den Betrag von 282,70 EUR sA. Eine Verbesserung sei ebenso wie ein Austausch hier nicht möglich, wäre ihm aber auch aufgrund seines völlig erschütterten Vertrauens in die Person des Übergebers unzumutbar, zumal hier wohl eine bewusste Sorgfaltswidrigkeit seitens der Beklagten bezüglich der Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs anzunehmen sei. Da nicht von einem geringfügigen Mangel gesprochen werden könne, habe er Anspruch auf sofortige Wandlung aus dem Titel der Schlechterfüllung. Darüber hinaus werde der Kaufvertrag auch wegen Irrtums angefochten; er wäre ohne die durch die unrichtigen Zusicherungen seitens des Mitarbeiters der Beklagten verursachte Fehlvorstellung des Klägers über die Eigenschaften des Fahrzeugs keinesfalls zustande gekommen. Der Irrtum des Klägers sei wider besseres Wissen, das heißt arglistig, zumindest aber fahrlässig verursacht worden, zumal ein professioneller Gebrauchtwagenhändler in der Regel aus wirtschaftlichem Eigeninteresse über die Beschaffenheit der von ihm veräußerten Fahrzeuge bestens im Bilde sei. Folglich habe die Beklagte dem Kläger auch für die frustrierten Kosten der Zulassung und der Jahresvignette in Höhe von insgesamt 282,70 EUR aus dem Titel des Schadenersatzes einzustehen.

[10] Die Beklagte wendete ein, das Fahrzeug sei mangelfrei gewesen. Sollte es aber Mängel aufgewiesen haben, wäre es Sache des Klägers gewesen, die Beklagte zur Verbesserung aufzufordern. Aufgrund des Vorrangs der Naturalherstellung sei das Klagebegehren daher unberechtigt.

[11] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 9.389 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und zur Zahlung weiterer 282,70 EUR sA; das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren 4.911 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs wies es ab.

[12] Der vom Kläger geltend gemachte Gewährleistungsanspruch sei berechtigt, weil die Beklagte ihm zugesagt habe, dass sich das Fahrzeug in einem guten Zustand befinde, obwohl es bereits im Zeitpunkt der Übergabe eine Vielzahl an schweren, nach § 57a KFG relevanten Mängeln aufgewiesen habe, die seine Verkehrs- und Betriebssicherheit ausgeschlossen hätten. Es sei daher nachvollziehbar, dass der Kläger das Vertrauen in die Beklagte verloren habe und eine Reparatur durch diese nicht zulassen wolle, sodass er sich auf die sekundären Gewährleistungsbehelfe stützen könne. Angesichts der Vielzahl der die Verkehrs‑ und Betriebssicherheit ausschließenden Mängel könne keinesfalls von einem geringfügigen Mangel gesprochen werden. Dem Kläger stehe daher das Recht auf Wandlung zu, sodass er Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs habe. Vom Kaufpreis seien jedoch die Reparaturkosten von 4.511 EUR für den Unfallschaden und das Benützungsentgelt von 400 EUR abzuziehen. Darüber hinaus habe der Kläger gemäß § 933a ABGB Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens von 282,70EUR.

[13] Das Berufungsgericht wies infolge Berufung der Beklagten das Klagebegehren zur Gänze ab. Das Ausmaß der Mängel und das Verhalten der Beklagten beim Verkauf reichten nicht aus, um beim Kläger die erforderliche Erschütterung des Vertrauens iSd § 932 ABGB herbeizuführen. Mangels Einräumung eines Verbesserungsversuchs sei dem Kläger daher das Gestaltungsrecht der Wandlung verwehrt. Ebenso wenig gebühre ihm aus dem Titel des Schadenersatzes der Ersatz der Kosten für die Anmeldung des Fahrzeugs und die Autobahnvignette. In erster Instanz habe sich der Kläger auch auf eine Irrtumsanfechtung gestützt. Die von ihm behauptete Arglist habe das Beweisverfahren jedoch nicht ergeben. Nach herrschender Ansicht sei eine Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Anfechtungsgegner den Irrenden klaglos stelle. Könne der Mangel – wie hier – durch Verbesserung behoben werden und biete der Anfechtungsgegner Verbesserung an, könne der Irrende nicht qua irrtumsrechtlicher Anpassung Preisminderung begehren, sondern müsse grundsätzlich Verbesserung hinnehmen; auch die Aufhebung des Vertrags könne durch Verbesserung abgewendet werden. Dadurch werde auch verhindert, dass der gewährleistungsrechtliche Nacherfüllungsvorrang bei Speziesschulden über das Irrtumsrecht „ausgehebelt“ werde. Klaglosstellung durch Verbesserung setze voraus, dass der Irrtum dadurch „saniert“ werde, das heißt der Irrende tatsächlich das erhalte, was er zu erhalten geglaubt habe und somit sein Beschwerdegrund wegfalle. Aufgrund der Verbesserungsbereitschaft der Beklagten könne sich der Kläger derzeit nicht auf einen wesentlichen Irrtum berufen.

[14] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die Frage der Irrtumsanfechtung nach Klaglosstellung umstritten sei.

[15] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, dem Klagebegehren „vollinhaltlich“ stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[16] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[17] Die Revision ist wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[18] 1. Vorauszuschicken ist, dass die Teilabweisung durch das Erstgericht vom Kläger nicht bekämpft wurde und daher in Rechtskraft erwachsen ist; Gegenstand des Verfahrens ist daher nur noch jener Teil des Klagebegehrens, den das Erstgericht als berechtigt erkannte.

[19] 2. Der Kläger wendet sich in seiner Revision nicht gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach der von ihm geltend gemachte Wandlungsanspruch infolge Vorrangs der Verbesserung nicht berechtigt sei. Auf diesen Themenkomplex ist daher in dritter Instanz nicht mehr einzugehen. Gegenstand der Rechtsrüge des Klägers ist ausschließlich die Frage der Irrtumsanfechtung bzw der vom Berufungsgericht bejahten Klaglosstellung des Klägers durch ein angebliches Verbesserungsangebot der Beklagten.

[20] 3.1. Bei der Irrtumsanfechtung gemäß § 871 ABGB muss der Kläger einen Sachverhalt behaupten, aus dem sich ergibt, dass sein Geschäftsirrtum wesentlich war und entweder vom Beklagten veranlasst wurde oder diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste oder rechtzeitig aufgeklärt wurde (vgl RS0093831).

[21] 3.2. Das Erstgericht hat zwar keine ausdrücklichen Feststellungen zur Veranlassung des Geschäftsirrtums des Klägers und zu dessen Wesentlichkeit getroffen, diese Umstände lassen sich allerdings zwanglos aus den getroffenen Feststellungen ableiten. Überdies hat die Beklagte das entsprechende, bereits in der Klage enthaltene Vorbringen des Klägers niemals substanziiert bestritten.

[22] 3.3. Ausgehend davon und nach den getroffenen Feststellungen erweist sich die vom Kläger nach § 871 ABGB begehrte Aufhebung des Vertrags wegen eines wesentlichen, von der Beklagten veranlassten Geschäftsirrtums daher grundsätzlich als berechtigt.

[23] 3.4. Der Vertragspartner des Irrenden kann das Geschäft allerdings aufrecht erhalten, indem er rechtzeitig dem Irrenden das gewährt, was dieser infolge seines Irrtums zu erhalten erwartet hatte. Rechtzeitig ist die Gewährung, wenn sie unmittelbar nach der Behauptung des Irrtums erfolgt (vgl RS0016244).

[24] 3.5. Auf eine solche Klaglosstellung hat sich die – dafür beweis- und damit auch behauptungspflichtige – Beklagte allerdings in erster Instanz niemals berufen, hat sie doch zu der vom Kläger geltend gemachten Irrtumsanfechtung überhaupt kein Vorbringen erstattet. Damit ist hier aber weder zu untersuchen, ob, wie vom Berufungsgericht angenommen, bereits das bloße (im vorliegenden Fall niemals, auch nicht nach Vorliegen des gerichtlichen Sachverständigengutachtens, unbedingt erfolgte) vorbehaltlose Anbot einer Klaglosstellung (durch Verbesserung der Mängel) ausreicht, noch bis zu welchem Zeitpunkt eine Klaglosstellung erfolgen bzw angeboten werden muss, um die Anfechtung abzuwenden.

[25] 4. Das Erstgericht hat daher im Ergebnis zu Recht dem Begehren auf Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrags stattgegeben. Auch den aus dem Titel des Schadenersatzes begehrten Betrag von 282,70 EUR sA hat es dem Kläger ohne Rechtsirrtum zugesprochen, weil dieser Schaden (frustrierte Kosten) durch die unrichtige und damit rechtswidrige Zusicherung der Beklagten, das Fahrzeug befinde sich in einem sehr guten Zustand, verursacht wurde; der Nachweis, dass sie an der unrichtigen Zusage kein Verschulden getroffen habe, ist der dafür behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten (§ 1298 ABGB) nicht gelungen.

[26] 5. Es ist daher das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederherzustellen, ohne dass es auf die in der Revision behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens und die gerügte Aktenwidrigkeit ankäme.

[27] 6. Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Sowohl die Berufungsbeantwortung als auch die Revision des Klägers waren jedoch nur auf der restlichen Bemessungsgrundlage von 9.671,70 EUR zu honorieren.

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