OGH 15Os101/21y

OGH15Os101/21y20.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Mag. Casagrande als Schriftführer in der Strafsache gegen ***** S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 24. Februar 2021, GZ 36 Hv 51/20m‑61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00101.21Y.1020.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** S***** eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB sowie mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./A./), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./B./), zweier Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, jeweils in der Fassung BGBl 1974/60 (I./C./), sowie der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (II./) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – in W***** und an anderen Orten

I./ „(mit) nachstehende(n) im Tatzeitraum unmündige(n) Personen

A./ eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem sie gegenseitigen Oralverkehr vollzogen, und zwar

1./ zwischen Sommer 2003 und 26. Dezember 2004 in zahlreichen Angriffen, während des ersten Jahres zumindest einmal wöchentlich, mit J***** H***** (geboren ***** 1990);

2./ zwischen 30. Juni 2004 und 29. Juni 2005 in zumindest zwei Angriffen mit ***** P***** (geboren ***** 1992), wobei die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung iSd § 84 Abs 1 StGB zur Folge hatte, nämlich eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung, die in Art und Ausprägung einer komplexen posttraumatischen Störung gemäß DSM-5 entspricht;

B./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von diesen an sich vornehmen lassen, und zwar

1./ an A***** H***** (geboren *****1983)

a./ in S***** zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Frühjahr/Sommer 1995, indem er dessen Penis über der Kleidung intensiv massierte bis dieser steif wurde und seinen erigierten Penis gegen dessen Körper drückte;

b./ zu einem nicht mehr feststellbaren, jedenfalls vor dem 9. Oktober 1997 liegenden Zeitpunkt im Herbst 1997, indem sie gegenseitig Handverkehr vollzogen;

2./ an ***** B***** (geboren ***** 1980),

a./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt in den Jahren 1991/1992, indem er dessen Hand nicht bloß flüchtig über der Bekleidung zu seinem Penis führte;

b./ im Sommer 1992 in zahlreichen Angriffen, indem er an diesem Handverkehr durchführte und von diesem Handverkehr an sich durchführen ließ;

3./ an ***** Z***** (geboren ***** 1977) zwischen Ende des Jahres 1989 und 24. Februar 1991 in zahlreichen zumindest monatlichen Angriffen, indem er von diesem Handverkehr an sich durchführen ließ;

4./ zwischen Sommer 2003 und 26. Dezember 2004 in zahlreichen Angriffen, während des ersten Jahres zumindest einmal wöchentlich, an J***** H***** (geboren ***** 1990), indem er an diesem Handverkehr durchführte und von diesem Handverkehr an sich durchführen ließ;

5./ zwischen 30. Juni 2004 und 29. Juni 2005 in zumindest zwei Angriffen mit ***** P***** (geboren ***** 1992), indem er an diesem Handverkehr durchführte und von diesem Handverkehr an sich durchführen ließ;

C./ auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, und zwar

1./ A***** H***** (geboren ***** 1983) zu einem nicht mehr feststellbaren, jedenfalls vor dem 9. Oktober 1997 liegenden Zeitpunkt im Herbst 1997, indem er von diesem Oralverkehr an sich durchführen ließ, wodurch dieser eine psychische Erkrankung im Sinn einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik im Rahmen einer komplexen posttraumatischen Belastungsreaktion, sohin eine an sich schwere Körperverletzung erlitt;

2./ ***** B***** (geboren ***** 1980),

a./ im Sommer 1992 in zahlreichen Angriffen, indem er je einmal an diesem Oral- und Analverkehr durchführte und von diesem wiederholt Oralverkehr an sich durchführen ließ;

b./ in P***** (Tschechien) und in S***** zwischen Sommer 1993 und 15. Juni 1994 in zahlreichen Angriffen, indem er von diesem Oralverkehr an sich durchführen ließ;

3./ ***** Z***** (geboren ***** 1977) neben W***** auch einmal in F***** zwischen Ende des Jahres 1989 und 24. Februar 1991 in zahlreichen zumindest monatlichen Angriffen, indem er an diesem Oral- und Analverkehr durchführte und von diesem Oralverkehr an sich durchführen ließ, wodurch dieser eine psychische Erkrankung im Sinn einer kombinierten Persönlichkeitsstörung aus dem Cluster C mit ängstlichem und vermeidendem Verhalten im Ausmaß einer an sich schweren Körperverletzung erlitt;“

IV./ mit einer minderjährigen Person, die seiner Ausbildung und Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen, und zwar

F./ ***** D***** (geboren *****1989) zwischen Sommer und Herbst 2004, indem er dessen nackten Hoden und nackten Penis anfasste und dessen Vorhaut nach hinten zog.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der dagegen aus Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

[4] Mit Verfahrensrüge (Z 3 iVm § 252 StPO) kritisiert der Beschwerdeführer, es habe kein Grund vorgelegen, der es dem Erstgericht „gemäß § 252 StPO erlaubt hätte, die betreffenden Schriftstücke, Akten bzw Protokolle in der Hauptverhandlung zu verlesen“. Dabei übergeht er jedoch, dass nach dem – ungerügt gebliebenen – Hauptverhandlungsprotokoll „einverständlich“ (dh auch mit Zustimmung des Verteidigers) der gesamte Akteninhalt gemäß § 252 Abs 2a StPO vorgetragen wurde (ON 60 S 30). Der behauptete Nichtigkeitsgrund liegt also nicht vor (vgl RIS‑Justiz RS0127712).

Soweit die Verfahrensrüge (Z 4) weiters moniert, das Erstgericht habe seine Manuduktionspflicht dadurch verletzt, dass es den – durch einen Verteidiger vertretenen (ON 60 S 2 iVm ON 41) – Angeklagten „nicht zur Stellung der Beweisanträge, insbesondere zu den in Frage stehenden schweren Verletzungsfolgen der Geschädigten“, angeleitet habe, übersieht sie, dass eine Manuduktionspflicht nur gegenüber einem unvertretenen Angeklagten besteht (RIS‑Justiz RS0096346 [T3, T5 und T6]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 315). Dass der in der Hauptverhandlung anwesende Verfahrenshilfeverteidiger offenkundig versagt hätte, wodurch eine gerichtliche Anleitungspflicht ausgelöst worden wäre (RIS‑Justiz RS0096569), wird von der Rüge nicht behauptet.

[5] Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) sind die Feststellungen des Erstgerichts „hinsichtlich des Ausmaßes und der Kausalität der psychischen Beeinträchtigungen“ keineswegs undeutlich (vgl zu Z*****: US 10; A***** H*****: US 13; J***** H*****: US 14; P*****: US 15).

[6] Die (Mit‑)Kausalität (vgl RIS-Justiz RS0091997 [T2], RS0092036) der Missbrauchshandlungen für die gesundheitlichen Folgen wurde von den Tatrichtern durch Verweis auf die beiden eingeholten Sachverständigengutachten und deren Erörterung in der Hauptverhandlung (ON 60 S 21 ff) auch zureichend begründet (US 17 f; Z 5 vierter Fall). Indem die Rüge auch für die diesbezüglichen Erwägungen der Tatrichter eine Begründung einfordert, bekämpft sie bloß deren Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen Schuld.

[7] Die Tatsachenrüge (Z 5a) richtet sich gegen die Feststellungen zu den Tathandlungen betreffend D***** (IV./F./) sowie zur – keinen entscheidenden Umstand bildenden – pädophilen Neigung des Angeklagten, unterlässt es aber – entgegen den Vorgaben der Prozessordnung (RIS‑Justiz RS0117446) – konkrete aktenkundige Beweismittel zu nennen, die erhebliche Bedenken qualifiziert nahelegen könnten.

[8] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) vermisst „detaillierte Feststellungen“ zur Mitkausalität der Tathandlungen für die bei den Tatopfern eingetretenen schweren Gesundheitsschädigungen. Sie übergeht dabei aber (vgl RIS‑Justiz RS0099810) die dazu getroffenen Konstatierungen des Erstgerichts (vgl neuerlich US 10, 13 und 15 iVm US 17 f) und bekämpft solcherart neuerlich bloß – in diesem Rahmen unzulässig – die Beweiswürdigung der Tatrichter.

[9] Weshalb die Feststellungen zu der vom Tatopfer P***** erlittenen, in Art und Ausprägung einer komplexen posttraumatischen Störung gemäß DSM‑5 entsprechenden Persönlichkeitsentwicklungsstörung (I./A./2./; US 15) nicht zur Annahme der Qualifikation nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB ausreichen sollten, legt die Subsumtionsrüge (Z 10) nicht argumentativ aus dem Gesetz abgeleitet dar (vgl aber RIS‑Justiz RS0116569).

[10] Die Sanktionsrüge (Z 11) vermisst „genauere“ Sachverhaltsfeststellungen zu der vom Erstgericht bei der Strafbemessung als erschwerend gewerteten „teilweise erniedrigende[n] Tatbegehung“ (US 21; zum „Schlucken des Ejakulats“ [US 9, 11, 14, 15] vgl RIS‑Justiz RS0095315 [T6]), erstattet damit aber lediglich ein Berufungsvorbringen (RIS‑Justiz RS0099869; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 680).

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

[12] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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