OGH 12Os73/21h

OGH12Os73/21h16.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Lampret in der Strafsache gegen Julian J***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 und 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Julian J***** und Andreas R***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 10. März 2021, GZ 16 Hv 88/20v‑43, sowie deren Beschwerden gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung einer Weisung, GZ 16 Hv 88/20v‑44, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00073.21H.0916.000

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Andreas R***** und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch der Angeklagten Julian J*****, Julian S***** und Andreas R***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und 2 StGB (I./A./) sowie demzufolge in den Strafaussprüchen und der Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung einer Weisung aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Andreas R***** im Übrigen und die Nichtigkeitsbeschwerde des Julian J***** werden zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen und ihren Beschwerden werden die Genannten auf die Aufhebung verwiesen.

Ihnen fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – Julian J*****, Julian S***** und Andreas R***** jeweils des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und 2 StGB (I./A./) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (I./B./), Julian J***** überdies mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben in V***** den Marcel L*****

I./ Julian J*****, Julian S***** und Andreas R***** am 16. Jänner 2020 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB)

A./ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz mit Gewalt eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein Päckchen mit fünf Gramm Marihuana, abgenötigt, wobei die Tathandlung ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes begangen wurde und nur unbedeutende Folgen nach sich zog, indem sie ihn – nachdem ihn Julian J***** aufgefordert hatte auszusteigen und sein WLAN-Gerät herausgerissen und weggeworfen hatte – gemeinsam aus dessen Pkw zerrten, ihn festhielten und ihn anschrien, ihnen Cannabiskraut zu geben,

B./ gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie ihn gegen die Fahrerseite des Pkw drückten und Julian J***** ihm eine Softgun gegen die Schläfe hielt und dabei sagte „Lutsch ihn!“ und „Wo ist deine Mama“,

II./ Julian J***** am 15. Jänner 2020 telefonisch gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen,

1./ um 21:29 Uhr mit einer Verletzung am Körper, indem er sagte: „Ich schlag dich zusammen, wenn ich dich sehe, ich bring dich um!“,

2./ um 22:03 Uhr mit einer Verletzung am Vermögen, indem er sagte: „Ich zerstöre dein Leben und sorge dafür, dass du deinen Job verlierst!“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die vom Angeklagten Julian J***** auf Z 9 lit a und vom Angeklagten Andreas R***** auf Z 5 und 10 jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden. Jene des Zweitgenannten ist, wie auch die Generalprokuratur ausführt, teilweise im Recht.

[4] Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Andreas R*****:

[5] Zutreffend zeigt die Mängelrüge (Z 5) zum Schuldspruch I./A./ eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zum Bereicherungsvorsatz auf.

[6] Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite begründeten die Tatrichter damit, dass „aus dem äußeren Tatgeschehen [...] zwangsläufig auf das Vorliegen der inneren Tatseite“ zu schließen sei (US 12).

[7] Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrundeliegendes Wissen oder Wollen nicht zu beanstanden und bei leugnenden Angeklagten in der Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0116882, RS0098671), doch bedürfen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite hier einer über den bloßen Verweis auf den objektiven Hergang hinausgehenden Begründung im Urteil. Denn die Angeklagten Julian J*****, Julian S***** und Andreas R***** wollten dem Opfer nach den Feststellungen eine „Abreibung“ verpassen, vereinbarten, dass sich Andreas R***** maskieren sollte, um Marcel L***** noch mehr Schrecken einzujagen und machten bereits bei der Vereinbarung, wie diese „Abreibung“ erfolgen sollte, aus, dass sie diesem das mitgeführte Cannabiskraut jedenfalls – allenfalls gewaltsam – wegnehmen wollten, was sie dann auch taten (US 5 f). Das abgenötigte Cannabiskraut ließen sie später zurück (US 7).

[8] Ein Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung durch Zueignung des Cannabiskrauts lässt sich solcherart aus dem äußeren Geschehen gerade nicht „zwangsläufig“ ableiten. Dieser wäre daher einer genaueren Erörterung zu unterziehen gewesen (vgl RIS‑Justiz RS0098671 [T9]).

[9] Bereits dieser Mangel erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs I./A./ bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO), sodass sich ein Eingehen auf das weitere bezughabende Vorbringen erübrigt.

[10] Der Beschwerde im Übrigen kommt jedoch keine Berechtigung zu:

[11] Entgegen der Beschwerdebehauptung zum Schuldspruch I./B./ steht die Feststellung, wonach das Opfer von den Angeklagten Julian J*****, Julian S***** und Andreas R***** gegen den Pkw gedrückt wurde, während ihm Julian J***** die Softgun zwei Sekunden lang gegen die Schläfe hielt und äußerte „Lutsch ihn!“ und „Wo ist deine Mama!“ (US 4) nicht in Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zu den Erwägungen der Tatrichter, wonach der – als nicht glaubwürdig beurteilte (US 13) – Beschwerdeführer selbst für den Fall, dass er das Opfer nicht aktiv gegen den Pkw drückte, seine unmittelbare Anwesenheit auf der Fahrerseite nicht abstreiten könne (US 13). Sind doch die angeführte Feststellung und die tatrichterlichen Erwägungen zur Verantwortung des Beschwerdeführers keineswegs als nach den Denkgesetzen unvereinbar zu bewerten.

[12] Dem Beschwerdevorbringen (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Kenntnis des Andreas R***** vom Tatplan keineswegs bloß auf dessen allfälliges „Mithören“ gegründet (vgl US 11 f).

[13] Mit dem weiteren Vorbringen „Zur Tatplanung“ lässt der Beschwerdeführer keinen Konnex zu den Kriterien der Nichtigkeitsgründe erkennen. Vielmehr wendet er sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.

[14] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[15] Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Julian J*****:

[16] Während die Frage der Eignung einer Drohung begründete Besorgnis einzuflößen Gegenstand der rechtlichen Beurteilung ist, betrifft die Ernstlichkeit einer sich nach ihrem Wortlaut als Drohung manifestierenden Äußerung wie auch deren Sinn und Bedeutungsinhalt ausschließlich den Tatsachenbereich (RIS‑Justiz RS0092448 [T5]).

[17] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch II./2./ den Bedeutungsinhalt und die Ernstlichkeit der inkriminierten Äußerung bestreitet, geht sie prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) nicht von den gerade dazu getroffenen Feststellungen (US 5) aus.

[18] Weshalb sie nicht geeignet sein sollte, begründete Besorgnis im Sinn des § 74 Abs 1 Z 5 StGB auszulösen, leitet die Rüge nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565).

[19] Soweit der Beschwerdeführer Feststellungen dazu vermisst, wie er die Ankündigung verwirklichen hätte sollen „bzw hätte können“, erläutert er nicht, weshalb es für die Erfüllung des Tatbestands des § 107 Abs 1 StGB erforderlich sein sollte, dass der Täter das angedrohte Übel tatsächlich wahr machen will oder dazu überhaupt im Stande ist (vgl aber RIS‑Justiz RS0092132). Weiters legt er nicht dar, weshalb es für die Erfüllung des Tatbestands erforderlich sein sollte, dass die Drohung beim Opfer tatsächlich Besorgnis erregt (vgl aber RIS‑Justiz RS0092392).

[20] Indem sich der Beschwerdeführer nicht an den Feststellungen zur subjektiven Tatseite orientiert, wonach es ihm darauf ankam, Marcel L***** in Furcht und Unruhe zu versetzen (US 5), verfehlt er erneut die prozessordnungsgemäße Darstellung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit.

[21] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[22] Zur amtswegigen Maßnahme:

[23] Der vom Beschwerdeführer Andreas R***** in Ansehung des Schuldspruchs I./A./ erfolgreich geltend gemachte Grund (Z 5 vierter Fall) kommt auch den Angeklagten Julian J***** und Julian S*****, welche die Nichtigkeitsbeschwerde nicht (aus diesem Grund) ergriffen haben, zustatten.

[24] Es war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur von Amts wegen so vorzugehen, als wäre der Nichtigkeitsgrund auch zu ihren Gunsten geltend gemacht worden (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO).

[25] Dies führte zur Aufhebung des Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO teils in Verbindung mit § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

[26] Mit ihren Berufungen und ihren (impliziten) Beschwerden waren die Angeklagten Julian J***** und Andreas R***** hierauf zu verweisen.

[27] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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