European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00046.21K.0915.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung der ***** K***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB abgewiesen.
[2] Dem Antrag (ON 9) zufolge hat ***** K***** am 19. Jänner 2020 in W***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer schizoaffektiven Störung, einer Polytoxikomanie und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit hirnorganischen Anteilen beruhte, den Polizeibeamten ***** L*****, also einen Beamten, dadurch, dass sie ihm einen Fußtritt gegen dessen linkes Knie versetzte, als dieser sie zwecks Unterbringung nach dem UbG zur Begleitung zum Rettungsdienst aufforderte,
I./ mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht;
II./ während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper zu verletzen versucht,
sohin eine Tat begangen, die als (jeweils) das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 (richtig:) erster Fall StGB (I./) und der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (II./) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.
Rechtliche Beurteilung
[3] Der gegen die Abweisung des Unterbringungsantrags aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 11 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu.
[4] Das Erstgericht traf folgende Sachverhaltsfeststellungen:Der Polizeibeamte L***** fragte die Betroffene, ob diese mit den Beamten in ein psychiatrisches Krankenhaus mitkommen wolle. Dies verneinte sie und wollte die Wohnungstüre schließen, worauf sich L***** – einen Schritt nach vorne machend – in die Türe stellte, um dies zu verhindern. Daraufhin trat die bloßfüßige – zu diesem Zeitpunkt zurechnungsunfähige – Betroffene mit ihrer rechten Fußsohle gegen das linke Knie des Polizeibeamten, wodurch dieser nicht verletzt wurde. Dass die Betroffene bei dem Tritt eine Verletzung des Polizeibeamten billigend in Kauf nahm, konnten die Tatrichter nicht feststellen (US 2).
[5] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) macht mit dem Ziel der Subsumtion der Anlasstat als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB zutreffend Feststellungsmängel geltend.
[6] Die Beschwerdeführerin legt durch ausdrücklichen Hinweis auf die Zeugenaussage des Polizeibeamten L***** in der Hauptverhandlung (ON 21 S 5) hinreichend deutlich und bestimmt dar, dass in der Hauptverhandlung vorgekommene Indizien für eine Tatbestandsverwirklichung des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nicht durch Feststellungen geklärt wurden (RIS‑Justiz RS0116735, RS0118580):
[7] Denn der Polizeibeamte L***** sagte in der Hauptverhandlung nicht nur aus, dass er die Betroffene gefragt habe, ob sie ins Otto‑Wagner‑Spital oder eine ähnliche Einrichtung gehen möchte (vgl US 2), sondern auch, dass er zu ***** K***** – nachdem diese gemeint hatte, nicht mit Polizisten mitzufahren, und die Polizeibeamten aufgefordert hatte, den Wohnungseingangsbereich zu verlassen – gesagt habe, dass er den Wohnungseingangsbereich nicht verlassen werde und „weiterkommen“ möchte (ON 21 S 5), woraufhin die Betroffene gegen das Knie des Beamten getreten habe, als dieser das Schließen der Wohnungstüre durch K***** verhindern wollte.
[8] Aus dieser von der Staatsanwaltschaft ins Treffen geführten Aussage(‑passage) ergeben sich in Zusammenschau mit den Feststellungen zum Geschehensablauf (US 2) – wie von der Beschwerdeführerin aufgezeigt – Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene den Polizeibeamten durch den (festgestellten) Tritt gegen dessen Knie, mithin mit Gewalt, an einer – aufgrund der Äußerungen des Beamten auch vom (zumindest bedingten) Vorsatz der Betroffenen umfassten – Amtshandlung, nämlich ihrer Verbringung in eine psychiatrische Abteilung (§ 9 UbG), zu hindern trachtete, sohin also nicht nur eine Ausführungshandlung im Sinn des § 269 Abs 1 erster Fall StGB setzte, sondern auch mit entsprechendem, auf sämtliche Tatbestandsmerkmale bezogenem Vorsatz agierte.
[9] Zufolge der erforderlichen Aufhebung des angefochtenen Urteils war auf das weitere Vorbringen nicht mehr einzugehen.
[10] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen.
[11] Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
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